Невидь - Агарта (Agarta)

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VÖ: 27.09.2011
Bandinfo: НЕВИДЬ
Genre: Folk Metal
Label: Irond Records
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Lineup  |  Trackliste  |  Credits

Im letzten Jahr hatte ich begonnen, einige Alben vornehmlich russischer Bands zu besprechen, deren Musik mich im Laufe der letzten Jahre begleitet hat und mit denen ich viel verbinde. Angefangen hatte ich mit dem vielseitigen Folk Rock von MELNITSA, dann folgten OMELA mit ihrem Folk Heavy Metal mit klassischem Einschlag. Später ging es dann um KARTIKEYA mit ihrem indisch-folkloristisch inspirierten Progressive-Death-Metal-Alben "Mahayuga" und "Samudra". Kürzlich ging es dann nach einer Art Winterpause mit dem einzigen Album der Viking/Pagan-Metaller von VRATA T’MY weiter.

Nun ist es an der Zeit für einen weiteren Teil, diesmal geht es um die Folk/Pagan-Metaller von NEVID, die mich nach drei vorhergegangenen Alben mit ihrem 2011er Werk "Agarta" vollends zu überzeugen und begeistern wussten. Selbiges blieb allerdings auch die letzte Veröffentlichung, da sich die Band 2014 auflöste. Zwar machte Lesiar danach mit einem Solo-Projekt in ähnlicher Besetzung weiter, damit konnte ich aber bislang nicht viel anfangen. "Agarta" hingegen schafft es phasenweise immer wieder, sich in meiner Playlist und vor allem meinem Kopf festzusetzen.

Bei NEVID sind Musiker am Werk, die ihr Handwerk wahrlich verstehen, was sich an allen Ecken und Enden zeigt. Das nimmt auch kaum Wunder, wenn man einen Blick darauf wirft, wer alles mitwirkt. Zunächst ist da der Sänger für die harten Passagen, Lesiar, der bis 2004 bei BUTTERFLY TEMPLE war. Dazu gesellt sich hier der umtriebige und enorm talentierte Arsafes, der mittlerweile u. a. bei oben genannten KARTIKEYA für Ausrufezeichen sorgt. Hier ist er für Klargesang, Gitarren, Keyboards und die Produktion zuständig. Zudem ist Drummer Alexander Smirnov dabei, der Arsafes auch bei KARTIKEYA und zuletzt ZMEY GORYNICH begleitet. Eine enorm wichtige Rolle kommt zudem Fedor Vetrov zu, den ich schon bei OMELA hervorhob. Er steuert hier sämtliche Streicher, Flöten und Sackpfeifen bei.

Für jemanden, der mit der Arbeit dieser Musiker auch nur ansatzweise vertraut ist, dürfte sich diese Mischung schon ziemlich vielversprechend anhören. Und er sollte, nehme ich mal an, auch nicht enttäuscht werden. Auf diesem Album erwartet den Hörer primär recht progressiv angehauchter Folk/Pagan Metal, der neben den ganzen Einsätzen von Viola, Flöte und Sackpfeife u. a. auch etliche Elemente aus dem DM- und BM-Bereich verarbeitet. Daraus ergibt sich eine erstaunlich vielseitige Mischung von rasenden über treibende bis hin zu besinnlichen Passagen, die dennoch ein großes Ganzes bildet. Das liegt mit Sicherheit daran, dass die einzelnen Lieder sehr kurzweilig gehalten und selten über 4 Minuten lang sind. Aber auch die schon damals vorhandenen außerordentlichen Songwriter-Qualitäten von Arsafes spielen dabei natürlich eine große Rolle.

Häufig ist es bei Folk Metal doch so, dass die Verwendung der folkloristischen, indigenen Elemente zwar interessant ist, es aber sonst einfach massiv an Substanz fehlt, weswegen ich mir da viele Sachen nur einmal anhören kann/will. Das ist hier nicht der Fall, und das hat mehrere Gründe. Einerseits ist da natürlich die vortreffliche Arbeit von Fedor Vetrov, der klassisch ausgebildeter Musiker ist und offenbar genau weiß, was er tut. Da gibt es zu viele Highlights, als dass ich guten Gewissens einfach eines herauspicken könnte. Sein Violaspiel ist nicht nur eine ausgezeichnete Ergänzung zum abwechslungsreichen Gitarrenspiel von Arsafes, sondern weitaus mehr. Wo ich bei vielen Folk-Metal-Kapellen den Eindruck habe, dass sie lieber den Metal sein lassen und sich auf die folkloristischen Aspekte konzentrieren sollten, ist die Gitarrenarbeit auf "Agarta" durchgehend interessant, vielseitig und vor allem druckvoll – besonders im direkten Genrevergleich.

Weiterhin tragen Lesiars aggressiver, vordergründiger Keifgesang und die ganzen männlichen wie weiblichen Clean Vocals dazu bei, dass es eigentlich in jeder Passage Elemente gibt, auf die es sich genauer zu hören lohnt. Zudem lässt sich das Album grob in zwei Teile untergliedern, wobei der erste eher für Folk/Pagan standardmäßig daherkommt, bevor dann mit Lied 7 das erste Zwischenstück in Form eines Gedichtes ertönt. Danach wird es stilistisch etwas inhomogener, der schon bei Lied 3 dominantere Frauengesang kommt mehr zum Tragen, ruhigere Passagen bzw. Lieder wechseln sich mit rasenden stärker ab. Da ich diesen „zweiten Teil“ des Albums noch mehr schätze, möchte ich kurz auf die Triade der Lieder 10, 11 und 12 genauer eingehen, um ein halbwegs angemessenes Bild zeichnen zu können.

Lied 10, „Kuyva“, beginnt für dieses Album extrem rasend mit Keifgesang und einem an BM/DM erinnernden Riff, bevor nach etwa der Hälfte ein Break erfolgt, nach dem Ruhe einkehrt und eine von Viola geprägte Entwicklung zu hören ist, die sich Melodiefolge um Melodiefolge immer weiter intensiviert. Wunderschön. Daran schließt sich mit „Metel“ („Snowstorm“) unmittelbar ein weiterer, im Wechselspiel dargebotener Gedichtvortrag an, der ausgesprochen unpathetisch daherkommt und dann wiederum nahtlos in das nächste Lied hinüberführt, „Serebro nebesnykh slyoz“ („Silver of Celestial Tears“). Dieses Lied ist zunächst von akustischen Gitarren, Viola und vor allem dem Gesang von Oksana Melnik geprägt, die diesem traurig-tragischen Lied einen eigenen Charakter verleiht. Zusammen mit den langsam einsetzenden E-Gitarren-Soli und den Rhythmus-Gitarren steigert sich das Ganze dann immer weiter bis zum abrupten Ende.

Auf die darauf folgenden beiden Lieder (inkl. Bonustrack) könnte ich nach diesem intensiven Höhepunkt eigentlich verzichten, aber das ist auch der einzige größere Minuspunkt neben ein paar wenigen Stellen, die mir zu folkig-tüdelig sind.

Allgemein handelt es sich bei "Agarta" um ein musikalisch über jeden Zweifel erhabenes Stück Musik. Darüber hinaus wird aber auch wirklich ernsthafte Musik geboten, die es erstmal zu verstehen und zu verarbeiten gilt. Das gilt sowohl für die Musik als auch die textlichen Inhalte. Es ist zwar eine Gratwanderung, aber dieses Album entkommt zumindest für mich dem Plakativen, Pathetischen, und hat zudem Langzeitwirkung. Daher kann ich es jedem empfehlen, der die Verbindung klassisch-folkloristischer Instrumentierung mit harten Riffs und Keifgesang ansatzweise so schätzt wie ich. Und auch sonst: Leiht mal ein Ohr, es ist es wert!

 



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Felix Thalheim (18.06.2018)

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