Flusensieb #29 – 9 kurze Platten-Reviews

Zehn Platten der jüngeren Vergangenheit wurden kurz vor der vollständigen Nicht-Beachtung durch den Stormbringer doch noch gerettet und bekommen hier nun die Möglichkeit, sich schnell und präzise zu präsentieren. Dabei gibt es diesmal keinen deutschen Mittelalter-Rock, viel zu lange Bandnamen, die Menschheit als das wahre Böse und Backingvocals, die Geschmackssache bleiben. Außerdem core-olypisches Material mit vielen Genres, Smooth-Chilliges aus vergangenen Jahrzehnten und Punkrock wider den Pop. Gegen Ende gibt es dann doch noch etwas aus der Zunft der Barden, stark gegrowlten Düstersound und Zerrissenheit zwischen dem Wunsch nach einlullendem Frieden und der hilflosen Wut über den Unfrieden. Viel Spaß!

 


 

RATTENFÄNGER – Geisslerlieder

Der RATTENFÄNGER zieht zum zweiten Mal durch die Gassen einer mittelalterlichen Stadt. Sieben Jahre nach seinem ersten Streich spielt er nun einen zweiten. „Geisslerlieder“ lautet er und klingt abgesehen vom anstrengenden Ambient-Intro gar nicht so mittelalterlich, sondern eher klassisch nach Death Metal. Die Namen von Band und Album können auch falsche Erwartungen wecken, denn diese Band kommt nicht aus dem deutschen Sprachraum, sondern aus der Ukraine. Abwechslungsreich ist die Scheibe nicht. Monoton rumpelholzt sich das Todesquartett 42 Minuten durch ihre sieben Knüppelsongs – ganz ohne Flöte! Die Stimme reißt da nichts raus. Etwas stumpf, recht roh, nicht aufregend. Kann man mögen! (jazz)

 


 

DER BLUTHARSCH AND THE INFINITE CHURCH OF THE LEADING HAND – The Cosmic Trigger, Retriggered

Wem die bewusstseinserweiternden Drogen gerade ausgegangen sind, kann sich auch DER BLUTHARSCH AND THE INFINITE CHURCH OF THE LEADING HAND als Substitut psychoaktiver Mittel reinziehen. Wer nicht schon vom einprägsamen Bandnamen alleine high wird, wird von den wabernden Industrial/Elektro-Klängen, die auf „The Cosmic Trigger, Retriggered“ irgendwo zwischen Psycho- und Gothic-Schlagseite mäandern, auf einen Trip der Extraklasse geschickt. Der gemeine Metaller, der nicht schnell genug die Flucht ergreift, wird erbarmungslos in den schwarzen Mahlstrom elektronischer Klänge und repetitiver Gesangslinien gesogen, die einem mit unerbittlicher Beharrlichkeit die Gehirnwindungen auf links drehen. (AM)

 


 

SANKT VELTEN – The Discret Charme Of Evil

Mit „The Discret Charme Of Evil“ bezirzt SANKT VELTEN, das Alter Ego von DARKNESS-Gitarrist/Songschreiber Arnd. Erste Songs wurden schon vor ein paar Jahren online veröffentlicht, darunter „Sex In A Microwave“ und „Dancing In Purgatory“. Die Songs waren damals etwas gewöhnungsbedürftig, jetzt, auch in der Kombination mit den anderen Liedern, wirkt alles runder. Das Album ist nicht DARKNESS-B-Ware, sondern ein eigenständiges, facettenreiches Werk (Musik wie Gesang, man vergleiche „Back Into The Fire“ und „Gods For Sale“), das seine Handschrift trägt, etwa in den gewohnt anspruchsvollen Lyrics. Die braven weiblichen Backing Vocals sind Geschmackssache, erfüllen aber ihren Zweck. 3,5/5 (BS)

 


 

BETRAYING THE MARTYRS – Rapture

BETRAYING THE MARTYRS verteidigen mit ihrem vierten Album „Rapture“ weiterhin verbissen ihren Platz im Core-Olymp – mit Erfolg. Deathcore trifft hier auf Melodik, symphonische Einstreuungen, groovige Gitarren, Synthesizer und gutturale Stimmgewalt (die Stimmfarbe von Victor Guillet muss man wohl mögen, mir teilweise zu aufdringlich). Djent, Blastbeats und Breakdowns machen die druckvolle Soundwand komplett. Eine Fülle an Elementen, die manch andere Bands zu ambitioniert verwenden, BTM bedienen sich dieser aber nicht nur großspurig, sondern picken sich genau die richtige Menge heraus, um die perfekte Mischung zu erzeugen. Ein abwechslungsreiches und technisch exzellentes Album! (AO)

 


 

STEW – People

Schwedischer chilliger und smoother Rock mit ganz viel 60er und 70er Rock. Bei STEW hört man die Einflüsse von HENDRIX und den Größen der Zeit deutlich mitswingen. Ausgezeichnet vom Classic-Rock-Magazine 2018 als Best of Year – Zitat: „[O]de to the days when metal was acid-rock and life was consistently wild.“ Allerdings sehr handzahmes „wild“, dafür ein grandioses Woodstock-Feeling. Das Trio besteht seit 2017 und zelebriert das Jahrzehnt der Wallemähne, der Schlaghosen und alles, was wir Retro-Fans uns auf dem Plattenteller wünschen. Leichte Blues-Einkerbungen, die Vocals von Marcus (markige Stimme, nie überzeichnet), klingt, als ob JIMI H. seine Klampfe zupft, und es macht viel Spaß zuzuhören. (SV)

 


 

DOUBLE CRUSH SYNDROME – Death To Pop

Nach einigen Hördurchgängen mausert sich das Zweitwerk von DOUBLE CRUSH SYNDROME „Death To Pop“ zur mitreißenden Punkrockscheibe. Nicht Hardcorepunk, sondern wie viele Punkbands der ersten Stunde und einige spätere Bands wie GREEN DAY, kurz, knackig, einfach, poppig und eingängig. Im Vorfeld erregte das ANDY-BORG-Cover „Die berühmten drei Worte“ Aufmerksamkeit. Aber punkige Schlager-Coverversionen sind kein Novum und Frontmann Andy Brings hatte schon mit SODOM an einer Schlagerhommage mitgewirkt. Die anderen Songs bieten gute Melodien („With Me“), Gitarrensoli („Souls To Sell“), Riffs und auch einige gute Texte (Wer achtet schon auf Texte?). Anspieltipps: „Tonight“, „Souls To Sell“. 4/5 (BS)

 


 

CORVIDAE – Rabenvolk

Märchenstunde mit Dudelsäcken, Flöten, Gitarren und wir sind auf den Spuren der alten SALTATIO MORTIS, präsentiert von den Franken CORVIDAE. Der Drummer von WINTERSTORM gibt dem Taktstock einen kleinen Schwups für mehr Speed unterm Füßchen. Einige der Ideen wurden bereits ähnlich von anderen umgesetzt (z. B. „Krabat“ von ASP). Wer Met, Minne und Mummenschanz mag, liegt voll richtig. Klar, es wird nichts neu erfunden, die Textstruktur ist schnell mitsingbar, wahlweise auch mit mehr Met intus, aber genau das ist auch ein großer Pluspunkt. „Rabenvolk“ lebt von dem Wunsch nach Geschichten von Liebe und Tod, geheimnisvollen Mächten und strahlenden Helden. Hoch lebe die Zunft der Barden! (SV)

 


 

IATT – Nomenclature

(Melodischer) Black Metal, Death, Groove und ein progressiver Einschlag – IATT (Kurzform für den vormals verwendeten Bandnamen I AM THE TRIREME) präsentieren mit „Nomenclature“ ihren zweiten Longplayer und eine nahezu unerschöpfliche Ansammlung an Genre-Elementen. Unverkennbare BEHEMOTH- und NE-OBLIVISCARIS-Einflüsse lassen sich etwa durch treibende Drums und großartige Harmonien ausmachen und erzeugen eine durchgehend spannende Klangwolke. Starke Growls ergänzen den düsteren Sound optimal, lediglich die Zweitstimme stört die Dynamik und bleibt mir leider nur als höchst unangenehm im Gedächtnis, kommt aber nicht allzu oft zum Einsatz. Glanzstück des Albums: „Molyneuxs Problem“. (AO)

 


 

COUNTERPARTS – Nothing Left To Love

Es ist mitnichten verwunderlich, dass Metalcore und Melodic Hardcore Musikstile sind, die sich in Liebeskummer, Depression und Weltschmerz ergehen. So leicht viele diese Themen als jugendlich belächeln mögen, so essenziell sind sie für die Betroffenen. Zerrissen zwischen dem Wunsch nach einlullendem Frieden und der hilflosen Wut über den Unfrieden. Betäubte Lethargie und empörtes Aufbäumen. Dieses Feld treffen COUNTERPARTS auch auf ihrem sechsten Album „Nothing Left To Love“ mit eindringlicher Präzision: tragische Melodien, verzweifelte Schreie, sanfter Klargesang. Keine musikalisch komplizierten oder gar neuen Pfade, aber ein starker, aber gefühlvoller Treffer in das Herz des Genres. (jazz)

 


 

Mehr Flusensieb!

 

Anmerkung: Dieses Flusensieb enthielt ursprünglich ein Kurzreview, das wir wegen homophoben und NSBM-positiven Aussagen aus den Reihen der entsprechenden Band entfernt haben. Deswegen enthält dieser Artikel nur noch "9 kurze Platten-Reviews".


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