Das große Bullshit-Bingo des Musikjournalismus - Teil 2

Veröffentlicht am 08.06.2019

„Ouuuuh, das ist ein Bingo! Sagt man das so? Das ist ein Bingo?“ (Hans Landa, Inglourious Basterds)

Mit Stolz und auch voller Scham präsentieren wir euch den zweiten Teil, den gehässigen kleinen Bruder unseres Bullshit-Bingo des Musikjournalismus. Wie auch schon beim Vorgänger haben wir direkt vor unserer eigenen Haustüre (aber nicht nur) damit begonnen, voller Enthusiasmus nach Bullshit-Gold zu graben und ein paar echte Juwelen geborgen. Überstrapazierte Floskeln, nichtssagende Begriffe und Worthülsen, die jedem von uns – ob als Täter oder Leser  –  schon einmal über den Weg gelaufen sind. Wir haben sie für euch, gewürzt mit einer großen Portion Selbstironie,  zusammengetragen und wünschen guten Appetit.

 

Amazone, die (gr. a-mazos (ἀμαζός „brustlos“): originär weibliches Bandmitglied, welches sich eine Brust abgebunden hat um Platz für das umgehängte Saiteninstrument („Streitaxt“) zu schaffen. Ohne diese Manipulation ist es von Natur aus bebrüsteten Wesen völlig unmöglich, irgendeine Art von Instrument oder anderem technischem Gerät zu bedienen, weshalb im Normalfall nur Männern diese komplexe Aufgabe vorbehalten bleibt. Derart teil-entweiblicht, wird von der Amazone anerkennend als „Mannsweib“ gesprochen, besonders dann, wenn sie sich durch martialischen Gutturalgesang und bedrohliche Kriegsbemalung eine Führungsposition an der Front erkämpft hat (siehe: „Female-Fronted“, Teil 1).

Audioqualität, die: Das Tagwerk eines Musikjournalisten beinhaltet die subjektive Bewertung von auditiven Sinneseindrücken, die aus der Rezeption von Schallwellenkonglomeraten resultieren, die genau zu diesem Zwecke hergestellt wurden. Grundlage der Beurteilung können dabei sowohl inhaltliche (Songwriting, Virtuosität, Neuartigkeit, Trveness) als auch technische Merkmale (Mastering, Mix, Effekte, Soundstimmung) sein. Diese beiden Aspekte sind nicht unabhängig voneinander, sie können die Schwächen des jeweils Anderen kompensieren oder sich gegenseitig fertig machen. Der alles entscheidende Faktor ist jedoch die Audioqualität der konkreten Songfiles, die Leaking fürchtende Promoter zur Beurteilung aussenden. Ist die Audioqualität überragend, können audiophile Nerds verliebt schwadronieren und mit ihren vergoldeten Studiokopfhörern angeben. Unterschreitet die Bitrate einen gewissen Wert, hört man allerdings das akustische Äquivalent einer Kreuzung aus Pfandflaschenrückgabeautomat und Skype-Telefonat auf dem Dach eines fahrenden Hochgeschwindigkeitszuges mit Rädern aus Blechdosen. In diesem immer häufiger werdenden Fall sind Musikredakteure dazu angehalten, entweder ihrer Phantasie freien lauf zu lassen oder die Arbeit zu verweigern und sich, derart getriggert, mit noch gefüllten Blechdosen zu beschäftigen.

Hipster Black Metal, der: negativ konnotiertes Schlagwort, das immer dann zum Einsatz gerufen wird, wenn ein Black-Metal-Projekt oder eine -Band aus mehr als einem Mitglied besteht und sich nicht zu undefinierbarem, identitätslosem First-Wave-Nachahmerkrach berufen fühlt. Die wohl bekannteste "Hipster Black Metal"-Band dürfte WOLVES IN THE THRONE ROOM sein (die benutzen ein Keyboard, pah!) und wenn man nur eine Millisekunde darüber nachdenkt, schwebt über alledem mal wieder ein banaler psychologischer Grund, den man auch in der Debatte um die Ungleichheit der Geschlechter beobachten kann: Irgendwelche Gockel halten sich nach außen für die Allergrößten, sind innerlich aber dermaßen unsicher gepolt, dass sie sich mit dümmlichen Nicht-Argumenten umgeben und im Extremfall sogar mit Mistgabeln und Fackeln hantieren, um ihre selbst verliehenen Sonderrechte vor dem Urbösen, der absoluten und unumstößlichen Gleichheit, zu verteidigen.

klingt wie: Ein besonderes Schmankerl, weil man es nicht nur häufig in Reviews, sondern, und diese Seite bleibt Normalsterblichen selbstverständlich verborgen, mehrheitlich auf Promozetteln zu lesen bekommt. Dabei gelten oftmals simple Schemata: 1) Je mehr Vergleichsbands gelistet werden, desto abgekupferter klingt meistens die Band. 2) Je mehr prestigeträchtige Vergleichsbands gelistet werden, desto beschissener klingt meistens die Band. Wir von Stormbringer.at schreiben ja auch nicht: „Liest sich wie: Metal Hammer.“ Aus gutem Grund.

Luft nach oben, die: (nicht anwendbar auf Ambient-Space-Metal). Die Feststellung: „Da ist noch Luft nach oben“ wurde von Musikjournalisten erdacht, um die mittelmäßige Bewertung eines musikalischen Werkes vor Fans der Band und Kollegen, die ebenfalls Fans sind, zu rechtfertigen. Auf diese Weise gibt man sich gönnerhaft wohlwollend und unangreifbar gegenüber marodierenden Horden, die ihre Fackeln bereits angezündet und eine Event-Ankündigung, die als Ortsangabe die Wohnadresse des Musikredakteurs enthält, auf Facebook veröffentlicht haben. Diese Formulierung ist schon alleine deshalb eine Luftnummer, weil die meisten Schreiber ihre hellseherischen Fähigkeiten damit maßlos überschätzen. Sollte jemand nachfragen was genau damit bei einem konkreten Album denn gemeint sei, würde die Luft ganz schön dünn werden und die Wortblase platzt. Statt ein Album mit ausgerechnet dieser Begründung abzuwerten schlagen wir vor, zukünftig lobend zu erwähnen, dass noch Luft nach UNTEN sei. Es hätte schließlich hypothetisch schlimmer kommen können!

Machwerk, das: geringschätzende Bezeichnung für Werke, die gemacht wurden. Im musikalischen Bereich handelt es sich um Tondokumente, die gemacht wurden. Gemacht wurden, um Geld zu verdienen, um zu quälen, um zu ärgern und nicht zuletzt: um irgendetwas gemacht zu haben. Oft verwechseln Schreiberlinge Machwerke mit Kunst- oder Meisterwerken – in beide Richtungen. So werden häufig in überschwänglich lobenden Reviews, Alben als großartige „Machwerke“ bezeichnet und damit unabsichtlich herabgewürdigt. Weniger häufig – aufgrund der unangefochtenen Expertise natürlich! – kommt es vor, dass Musikjournalisten eigentliche „Machwerke“ als „Meisterwerke“ (siehe „Meisterwerk“, Teil 1) wahrnehmen.

Objektivität, die: Es kommt eigentlich schon einer gotteslästernden Dreistigkeit gleich, dass wir die gute alte Objektivität nicht bereits im ersten Teil dieses liebevollen Specials besprochen haben. Da sich in letzter Zeit aber wieder die dämlichen Forderungen, man solle doch bitte gefälligst objektiv über ein Album berichten, zu einem gigantischen Fäkalberg türmten, holen wir das nun nach. Zur Begriffsklärung: die Objektivität soll genau dann beim Redakteur zum Tragen kommen, wenn er eine zu der des Lesers gegensätzliche Meinung vertritt und diese auch noch unverhohlenerweise veröffentlicht. Wir vom Stormbringer haben uns dazu allerdings ein fuchsiges Zukunftskonzept ausgedacht, mit dem wir garantiert jeden zufriedenstellen werden: Jedwede Rezension wird per sofort unser gesamtes Wertungsspektrum bedienen. Wir werden also für jede mögliche Wertung ein eigenes Review verfassen und ihr dürft's euch dann aussuchen. Wir wollen ja schließlich nicht, dass ihr ein Album, das ihr grundsätzlich total geil/scheiße findet, nicht mehr total geil/scheiße finden könnt, weil wir Kunstbanausen da anderer Meinung sind.

Schweißtreibende Show, die: Sport ist Mord. Tausende potentieller (Selbst-)Mörder turnen jeden Tag über die Bühnen der Welt. Sie transpirieren, stinken und haben Dreck im Gesicht. Die rostenden Gitarrensaiten und das  klebende Haar sind Beweis der Anstrengung. Das sind noch wahre Arbeiter der Musik! Sie lassen sich nicht von ästhetischen Überlegungen aufhalten und verschwenden keine Sekunde damit, sich um Äußerlichkeiten zu scheren. All dies könnte man meinen, wenn man in Livereports über schweißtreibende Shows fabuliert. In Wahrheit ist aber gemeint, dass der Clubbetreiber nicht nur auf eine Belüftung verzichtet hat, sondern auch darauf, vorher auszurechnen wieviele Menschen eigentlich maximal in den Bunker mit zwei Meter Deckenhöhe passen, wenn sie übereinandergestapelt sind (siehe "Luft nach oben").

theatralisch: Theeeeater, Theater, der Vorhang geht auf und schon wird die Bühne zur Welt! Der Gothic muss weinen auch wenn ihm zum Lachen ist. Der Metaller muss kämpfen, dabei ist ihm vor Dosenbier ganz schlecht (frei nach Katja Ebstein, „Theater“). Musik ist Show und Show ist Theater. Eine Auführung auf einer Bühne, die dem Publikum eine Geschichte erzählt. Mit dem Erfolg einer Musikgruppe steigt jedoch proportional auch der (physische und psychologische) Abstand zum Auditorium. Die daraus entstehende Angst, nicht mehr ausreichend wahrgenommen zu werden, äußert sich in verzweifelten Ausrufen der Feedback-Künstler wie „Murmeldorf am Kübelbachsee, könnt ihr mich hören? Ich habe gefragt KÖNNT IHR MICH HÖREN? Ich will eure Hände sehen!“. Zusätzlich fühlen sich die Akteure gezwungen, auch optisch auf sich aufmerksam zu machen. Wenn die Grenzen des statisch Machbaren im Auftürmen von Marshall-Boxen und -Amps überschritten sind, gibt es nur noch einen Ausweg: Theaterschminke, Klamotten aus dem Bühnendarstellerbedarfsfachversand und eine theatralisch exaltierte Mimik und Gestik. Was Musikredakteurinnen oft mit theatralisch meinen: a) der Gesang wirkt übertrieben oder b) in dem Song kommt eine Drehorgel vor.

Todesblei, das: Ein Begriff, der fast so klingt, als hätte man ihn aus irgendeinem Rollenspiel entwendet und seitdem nicht mehr zurückgegeben. Vermeintlich humoristische Umschreibung für Death Metal, die hauptsächlich von der Klientel bedient wird, die seine(n) Lebensgefährt*in (ob ich das nun wirklich akkurat gegendert habe, weiß ich allerdings nicht...) gerne mal als Schatzi, Pupsi oder Bärchen (bei der Recherche zu diesem Beitrag stellte sich übrigens heraus, dass Blasemaus auf Platz 27. der beliebtesten Kosenamen mit dem Buchstaben B rangiert) betitelt. Wir wünschen herzliches Beileid.

Urgestein, das: pathetische Bezeichnung für Menschen, von denen man vermutet, dass sie schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Erdgeschichte in ihrem Fachbereich zugegen waren (Synonym: „alt“). Gesicht und Habitus eines Urgesteins sind in Granit gemeisselt. Aufgrund der damit verbundenen Unflexibilität dienen Urgesteine als verlässliches Fundament, auf dem ganze Generationen nachfolgender Musikanten pyramidengleich aufgestapelt werden können. Verendet ein Urgestein, entsteht eine gravierende Lücke in den Grundfesten des Musikbusiness, die alles zum Einsturz bringen könnte. Glücklicherweise bietet sich heutzutage die Möglichkeit den entstandenen Hohlraum (im Fundament und im monetären Sektor) durch ein sogenanntes "Hohl-o-gramm" des Urgesteins zu füllen.

 

Habt ihr den ersten, viel besseren Teil des Bingos verpasst? Bitte schließt umgehend diese Bildungslücke:
Bullshit-Bingo Teil 1


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