Titten raus, es ist Wacken!

Text: Marc Folivora
Veröffentlicht am 15.06.2018

Und die Männchen der Gattung Homo Metallicus, gemeinhin langhaarig, ungewaschen und sturzbetrunken, gaffen und grölen, während sie ihre komplizierten, ritualisierten Balzrituale in Matschtümpeln vollführen.

So ungefähr sieht das Bild aus, das die meisten Außenstehenden von der Metalszene haben: Ein Haufen ungepflegter Kerle bar jeder Manieren sauft und lärmt auf einem Acker, während das anwesende Weibsvolk zum Zwecke der Dekoration auf Verlangen seine beiden Argumente in der Abendsonne lüftet. Das Traurige daran: Oftmals stimmt es sogar. Doch woher kommt der Rückfall in altertümliche Klischees, der plötzliche Wandel vom kultivierten Mann von Welt zum Asi-Ferkel, die Kehrtwende der selbstbewussten Frau zur willigen Schlampe? Der Alkohol, beziehungsweise die oftmals konsumierten Mengen davon? Mitnichten. Als Einflussfaktor ist das so gern betriebene kollektive Massenkomasaufen auf einschlägigen Veranstaltungen bestimmt nicht wegzudiskutieren, doch es als alleinigen Auslöser hinzustellen wäre zu einfach.

Die Metalszene beherbergte schon immer schrullige bis stark polarisierende Persönlichkeiten, die sich nur durch die oftmals sehr offene und unkonventionelle Weltanschauung der Metalheads überhaupt entfalten konnten. Dafür wurde die Szene auch immer von seinen Anhängern zur Familie hochstilisiert, in der Offenheit und Toleranz gegenüber Eigenheiten und Minderheiten groß geschrieben wurde.

Zwei wahllos herausgepickte Beispiele fällig? Gaahl (GORGOROTH) ist Schwul? Kurzfristig eine Überraschung, aber eigentlich alles cool. Keith Caputo (LIFE OF AGONY) outet sich als Transsexuell, passt auch sein Äußeres seinem Innersten an und tritt fortan als Mina Caputo auf? Schwieriges Thema, aber hej, wenn sie damit glücklich ist, perfekt.

Womit wir wieder zum Eingangspunkt kommen: Wie verträgt sich die oft propagierte und auch vielfach gelebte Lebenseinstellung eigentlich mit der Realität, wenn es mal um ganz profane Dinge geht? Die Titten und Schwänzchen die wir alle mit uns herumtragen (Ausnahmen soll es auch geben, doch wir wollen jetzt nicht zusehr ins Detail gehen) und die anscheinend des Öfteren – exponentiell mit der Größe der Veranstaltung in ansteigender Häufigkeit – das Denken für uns übernehmen? Ich weiß nicht wie es euch geht, aber mir kommt regelmäßig die Galle hoch, wenn ich den obigen, als Headline fungierenden Spruch hören muss, nicht nur auf dem namensgebenden, zusehends von Partytouristen überschwemmten Kultfestival der Metalfans, sondern als generellen Lockruf der Festivalsaison.

Sehen wir einmal von spaßiger Überzeichnung wie sie STEEL PANTHER betreiben ab, die durch den Spiegel den sie der Szene vorhält durchaus Daseinsberechtigung hat, ist das doch eigentlich ziemlicher Schwachsinn, oder? Wo sind Offenheit und Toleranz, wenn sich ein dutzend gut betankter männlicher Zeitgenossen anmaßt über die Oberweite der Zeltnachbarin, die sie gefälligst herzuzeigen hat, zu richten? Klar, die wirklich körperlichen Übergriffe sind selten. Und wenn sich ein eher leichtgewichtiges Mädel mitten in den wildesten Moshpit schmeißt, dann werden die sich darin tummelnden Schränke auch nicht mit der selben Schubkraft gegen sie rempeln, wie sie das bei ihrer eigenen Gewichtsklasse tun würden. So weit funktioniert der Gesunde Menschenverstand und die Rücksichtnahme auf körperlicher Ebene nach wie vor. Doch im verbalen, beziehungsweise psychologischen Bereich, sieht es da schon ganz anders aus, weil: Titten raus, es ist ja Wacken!

Wer nicht auf Verlangen blankzieht ist eine Spaßbremse und wer auf der Bühne nicht geil aussieht, hat da droben nix verloren. So weit, so rückständig das Bild, das der Homo Metallicus von seinen Weibchen hat. Jetzt könnte man es sich natürlich einfach machen und alle Männer kollektiv als notgeile Böcke verteufeln. Der Gedanke liegt nahe, wenn man sich alleine bei einem Female-Fronted-Konzert (Wozu braucht es diesen Oberbegriff eigentlich?) die erste Reihe ansieht, die geifernd und sabbernd, mit Digitalkameras und Handys bewaffnet, ungeniert in Dekollete und Schritt der Sängerinnen zoomt (Ach ja, dafür. Alles klar.). Glücklicherweise holen die Mädels auf, vornehmlich wenn es in den Metalcore- oder Alternative-Bereich geht, wo dann mitunter die komplette erste Reihe den süßen Sänger anhimmelt. Allerdings geht es hier ohne das Fotografieren von Geschlechtsmerkmalen (die derzeitige Hosenmode der Herren der Schöpfung würde es allerdings begünstigen!) und auch das Verlangen nach einem spontanen Striptease hält sich in Grenzen.

Warum müssen also die Titten unbedingt raus? Sind die Männer schuld, die einfach immer nur mit dem Schwanz denken? Sind die Frauen schuld, weil sie sich bewusst lasziv-aufreizend in die knappsten Fummel schmeißen? Ist die Werbung schuld, die uns die Güter des täglichen Bedarfs ständig möglichst sexualisiert präsentiert - vom Spielzeug bis zu den eingelegten Gürkchen? Oder gar die böse, noch immer patriarchisch geprägte Gesellschaft? Oder ist es einfach nur sich verselbständigender Gruppendruck – einer fängt an, und alle machen es nach? Oder ist es gar eine Mischung aller hier genannter Faktoren, die sich in den geflügelten Worten entlädt?

Also wie wäre es, wenn wir einfach einmal alle versuchen würden, uns über die bornierten Strukturen der harten Metaller und ihrer barbusigen Gefährtinnen zu erheben, und uns auch mal verbal auf der gleichen Ebene begegnen könnten? Zum Beispiel indem wir anfangen, nicht zuerst die optischen Reize der Frontfrau XY zu vermerken, ehe wir zugeben, dass sie ja auch gut singen kann. Wir schreiben ja auch nicht, wie gut Schreihals Z bestückt ist (ob nun an Muckis oder zwischen den Beinen), um ihm dann ein ebenso überraschend kräftiges Stimmpotenzial zu bescheinigen. Ihr merkt selber, wie absolut dämlich das im direkten Vergleich klingt, oder? Also warum sehen wir nicht einfach mal über Hupen und Glocken, bzw Schwengel hinweg und sehen uns als was was wir sind: nämlich gleichwertige Anhänger der Metalszene! Ja Männer und Frauen SIND nicht gleich (hätte ja alleine biologisch keinen Sinn, aber von Bienchen und Blümchen an muss ich euch das jetzt ja nicht erklären), aber als Individuen von gleichwertiger Wichtigkeit und Stellenwert für die Metalszene. Letztendlich zahlen wir nämlich für den Eintritt dasselbe, leisten uns CDs und Shirts um den gleichen Preis, saufen das gleiche lauwarme Bier aus Becher oder Dose und scheißen auf Festivals auch ins gleiche Dixi.

Deshalb:
Kerle: Schaltet ab und zu auch mal die grauen Zellen zwischen den Ohren ein, nicht nur die zwischen den Beinen.
Und Mädels: Vertraut auf euch und eure Fähigkeiten, bevor ihr euch selbst zum Objekt degradiert.

Können wir jetzt bitte wieder über Musik reden?


WERBUNG: Hard
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