Aces high & Feuer frei!

Veröffentlicht am 27.11.2015

Viele Musikfestivals verkommen schleichend zu einem Abklatsch des Oktoberfests, zur modernen Interpretation des antiken „Panem et circenses“. Aber es gibt auch Felsen in der Brandung des Seichten – wie das Rock In Vienna, wo die Musik noch im Mittelpunkt steht, "because nothing else matters".

 

Es war die vielleicht größte Überraschung des letzten Jahres, als erstmals nicht zum Sturm auf das Kuchenbuffet, sondern auf das sonst so windstille Nickelsdorf geblasen wurde, die Hochburg nach einem Jahrzehnt eiserner Monokratie erschüttert wurde: „Ich werde husten und prusten und dir dein Haus zusammenpusten“, donnerte der Wolf – und stellte nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt zum burgenländischen Nova Rock sein Monument auf, das Rock In Vienna.

Ein Stadtfestival ist von der Grundidee her schon einmal eine gute Sache, denn daheim (oder im Hotel) gibt es eine ordentliche Dusche und einen gepflegten Keramikthron, sowie ein vernünftiges Bett. Den sonst alsbald aufsteigenden „beißenden Gestank“, eine Mischung aus überbordendem Testosteron und übermütigem Alkoholkonsum, durfte man also am Festivaldebüt dankenswerterweise missen, fand man nur in seiner englischen Übersetzung im Line-Up wieder, als die Wiener PUNGENT STENCH in brütender Sommerhitze demonstrierten, wie derb der hauptstädtische Schmäh nicht sein kann. Zugegeben: „Mut“ – oder besser: Kreativität – beim Booking fehlte auch hier, es waren die üblichen (wenngleich weitestgehend handverlesenen) Verdächtigen, die sich beim Rock In Vienna lautstark die Klinke in die Hand gaben. Aber der Fokus war ganz klar: Die Donauinsel soll keine Tummelwiese für postpubertäre Spaßpiraten sein, als einzige optische Ablenkung gestattete man sich ein großartiges, an die Wiener Jahrhundertwende angelehntes Bühnendesign der Doppelbühne, für das Joachim Luetke verantwortlich zeichnete. Dass dieser Luxus nicht zum Spottpreis feilgeboten wurde, versteht sich zwar händeringend von selbst, aber es muss positiv hervorgehoben werden: für die Neuauflage 2016 wurde immerhin keine Preisadaption nach oben vorgenommen, und das, obwohl bereits die ersten Ankündigungen versprechen, dass das Rock In Vienna im kommenden Jahr noch eine Spur größer wird.

 

Feuer frei Rammsteins Till Lindemann als eiserner Feuerengel im Madison Square Garden, zu sehen auf der aktuellen DVD „Rammstein in Amerika“.

 

Das Lied von Feuer und Eis

Chad Smith, Schlagzeuger der RED HOT CHILI PEPPERS, dürfte eigentlich nach bald drei Jahrzehnten auf den größten Bühnen der Welt – so auch 2016 neben VOLBEAT, AMON AMARTH, ALICE COOPER und anderen am Nova Rock – nichts mehr überraschen. Außer vielleicht – irgendwo zwischen kindlicher Verblüffung und adulter Hochachtung: RAMMSTEIN.

Das erzählt er zumindest in der Arte-Dokumentation „RAMMSTEIN in Amerika“. Und ja, auch wenn selbst eine HELENE FISCHER (freilich im Amazonenkleid anstatt im martialischen Engelsektoskelett) heute auf der Bühne mit Feuer spielt, ist die Ästhetik RAMMSTEINs unübertroffen. Immerhin ist sie eine Grazie, Till Lindemann ein Koloss, eine Muskelfleisch gewordene Synthese des Unvereinbaren, die mit Gas-Tank auf dem Rücken und Fleischgewehr im Schritt zum Blitzkrieg angestapft kommt. RAMMSTEIN verkörpern die Burleske, Lindemann selbst das Groteske – ein wagnerianisch überfrachteter Thrill aus Sex und Gewalt.

 

Aces High Der Song erschien 1984 auf dem Album „Powerslave“ und erzählt die Geschichte eines
britischen RAF-Piloten, welcher gegen die Deutsche Luftwaffe kämpft. Auch IRON MAIDEN-Sänger Bruce Dickinson ist Pilot und fliegt die Band von Konzert zu Konzert.

 

Während diese protzige Kriegsmaschine mit Abgaswerten eines VW also behäbig, aber dafür effektiv querbeet donnert, auf dass kein Gänseblümchen mehr steht, darf man mit IRON MAIDEN auch auf Luftunterstützung hoffen: Einen aus dem 1. Weltkrieg nachgestellten „Dogfight“ wie letztes Jahr am britischen Sonisphere wird Bruce Dickinson über der Donauinsel zwar wohl nicht fliegen, dem gegenüber gibt sich die rotgrüne Stadtregierung eher reserviert.

Während seine Fokker Dr1 diesmal also am Boden bleibt und keine Schlachten mit einer Junkers CL1 ficht, so fliegt der Sänger und Pilot seine Band und Crew diesmal nicht „lediglich“ mit einer Boeing 757, sondern gleich mit einer 747 ein: Mit einer Länge von mehr als 70 Metern und einer Flügelspannweite von 65 Metern ist die knapp 400 Tonnen schwere „Ed Force One“ ein Koloss, jedoch einer, der Allgewalt nicht nur heuchelt. Denn erst kürzlich bewiesen die Briten mit ihrem 16. Album, „The Book Of Souls“, dass sie es noch immer vermögen, mit vertrackt-progressiven Epen Gänsehaut die Wirbelsäule hinabrieseln zu lassen. Beste Voraussetzungen also für eine euphorische Meute an Festivalbesuchern, die als Stoßtrupp unisono mit Kampfgebrüll aufheulen: „Run to the hills, run for your lives!“

 

Die zweite Auflage des Rock In Vienna findet von 3. bis 5. Juni auf der Wiener Donauinsel statt. Bisher bestätigt sind die Headliner RAMMSTEIN (Freitag), IGGY POP (Samstag) und IRON MAIDEN (Sonntag). Für Freitag wurden auch bereits drei weitere Bands bekannt gegeben, APOCALYPTICA, EISBRECHER und PAIN (man darf wohl auf 1, 2 LINDEMANN-Stücke hoffen?!). Am Samstag rocken zudem MANDO DIAO und GRAVEYARD im Vorprogramm, während am Sonntag mit KREATOR und POWERWOLF ein ordentliches Lüftchen über die Insel geblasen wird. Karten gibt es bei oeticket.com.


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