ELUVEITIE - Ein Ohr voll "Origins"

Veröffentlicht am 20.05.2014

Es ist kein Zufall, dass das neue ELUVEITIE-Album „Origins“ am 1. August in die Stores kommt. ELU sind der mit Abstand erfolgreichste Metalexport der Schweiz, die Texte der Alben – teils im gallischen Original gesungen – drehen sich um die Geschichte und Mythen des Alpenstaates – warum also nicht gleich den geschichtsträchtigen Nationalfeiertag als Releasedatum wählen?

Chrigel Glanzmann: „Eigentlich hatten wir noch die Idee, ein Gratiskonzert auf einem Berg – etwa dem Säntis – zu veranstalten oder auf dem Rütli. Wir haben dann aber schnell gesehen, dass alleine die Infrastruktur so teuer kommt, dass wir uns das nicht leisten können. Schade.“ Und dennoch wird das Releasedatum ein wichtiger Meilenstein sein – für die Schweiz und für die Band – aber dazu später.

Am 14. Mai luden die helvetischen Paganhelden zum Probehören. Wow, das neue Album zweieinhalb Monate vor dem Release anzuhören ist schon eine Ehre. Dann aber noch in den heiligen Hallen der Aufnahmen? Mehr Kult wäre nur noch möglich gewesen, hätte Mastermind Glanzmann zu sich nachhause gebeten – dort wurden ebenfalls wichtige Elemente aufgenommen und der grösste Teil des Albums geschrieben.

Wer jemals ein Album von knapp einer Stunde Laufzeit in einer „ungeschminkten“ Version direkt am eindrücklichen 48-Kanal-Mischpult mit der entsprechenden Soundqualität gehört hat weiss, was Arbeit heisst. Wenn es dann noch um das Erzeugnis einer achtköpfigen Band mit mehreren Gastmusikern geht – das ist Stress pur und nach einer Stunde bist du einfach nur erschöpft. Im aktuellen Fall erschlagen von der Dichte und Kreativität dieses Albums. Auch wenn Drummer Merlin sagt, dass Ven sein Lieblingsalbum von ELU bleibt – was weiss denn der schon…

„Origins“ ist für mich bereits das beste ELU-Album ever, es überflügelt „Helvetios“ klar und mein persönlicher Favorit „Everything Remains…“ muss ebenfalls hinten anstehen.

Der Sound eines Studios ist gnadenlos, jede verfluchte Kleinigkeit ist zu hören. Da wirst du nicht verschont, Gefangene werden nicht gemacht.

Und dir ist bewusst, du wirst anschliessend den Versuch unternehmen, die 16 Tracks einer Leserschaft zu beschreiben, die keinen Ton gehört hat, ausser sie wäre letzthin an einem Konzert gewesen. ELUVEITIE haben dort die eine oder andere „Akkordfolge“ aufblitzen lassen, haben "Sucellos" bereits ans Licht gezerrt.

Das Fiese daran – da kommt keine Promoscheibe mit, die du dir hundertmal anhören kannst, die bereits etwas netter zu deinem Gehör ist, dir etwas Angewöhnung erlaubt. Nein, friss oder stirb, notier dir die Finger wund und geniesse den Moment!

Fangen wir gleich bei der Bewertung an. Meine Favorites – einen schlechten Song gibt es nicht – sind „King“, dann „Vianna“ und „Sucellos“.

„King“ ist der Burner schlichtweg, ein folkiger Song, tanzbar und mit den typischen ELU-Flötensounds. Neben den fetten, schneidenden Gitarrenriffs und virtuosen Drumbeats hat mich besonders Chrigels Stimme beeindruckt. Dass er weit mehr als „simple“ Growls drauf hat wissen wir. Hier erklimmt er aber neue Höhen, zeigt eine andere, eindrückliche Seite seiner Stimme. Grandios!

„Vianna“ ist ein langsamer, balladesker Track. Der Song – melancholisch und mystisch, dunkel und doch wunderschön – mit einer Anna Murphy am Mikrofon, die stimmlich differenzierter und rockiger erscheint, „erwachsen“ klingt. Es ist bestimmt auch kein Zufall, dass sie folgendes Fan-Ranking als aktuell beste Sängerin mit deutlichem Vorsprung anführt: http://www.theranking.com/best-female-vocalists-of-today_r56839

„Sucellos“ ist ein Brecher, eigentlich DAS Brett auf „Origins“. Obwohl das Album insgesamt deutlich schnelle, harte Töne anschlägt – „Sucellos“ schlägt sie alle. Hier scheinen alle Vollgas zu geben, einmal mehr überzeugt Chrigel Glanzmann stimmlich. Dieser Track ist eines der besten Beispiele für die unheimliche Power der Band.

Der Sommer mag bringen, was er will, dieses Album wird die Fanbase der Schweizer Pagangötter weiter anwachsen lassen und ihnen noch mehr Tore auf die grossen Bühnen dieser Metalwelt öffnen. Warum nach dem ersten Swiss Music Award einer Metalband nicht der erste Grammy für eine richtig geile Metalband aus der Schweiz? Ein bisschen Träumen muss erlaubt sein.

Es gibt weitere Zückerchen auf dem Album. „Inception“ ist ein weiteres Stück Hartholz aus dem gallischen Wald, „From Darkness“ zeigt das „neue“ Geigenspiel von Nicole Ansperger, „The Call Of The Mountains“ hat Hitpotenzial, zeigt Anna Murphys Stimmqualitäten, wenn sie etwas tiefere Lagen singt und der Kinderchor des Konservatoriums von Winterthur ist einfach erfrischend.

Wie gesagt, einen Song, der abfällt, gibt es nicht. Am wenigsten beeindruckt hat mich „The Silver Sister“, obwohl Chrigel stimmlich überzeugt, das Gitarrenriffing irgendwie „anders, neu“ klingt und der Track ordentlich Gas gibt.

Erneut hat die Band mit Gastmusikerinnen und Gastmusikern zusammengearbeitet. Allen voran natürlich Alexander Morton, dessen sonore und charismatische Erzählstimme dem Album einen letzten Schliff verleiht, aber auch die schottische Schauspielerin Karen Bartke mit ihrer faszinierenden Stimme. Fredy Schnyder von NUCLEUS TORN – Anna Murphy ist hier ebenfalls mit an Bord – Fredy Schnyder schlägt das Hackbrett bei „Virunus“ und eine weitere, junge Stimme steuert Emily Clays bei.

Ein wenig enttäuscht hat mich der Part von Christine Lauterburg. Also nicht sie, sondern der extrem kurze Auftritt, den die „goddess of Swiss yodeling“ beim Track Nothing beisteuern durfte.

Gibt es ein zusammenfassendes Fazit zu diesem Album? Schwierig. Insgesamt empfinde ich viele Parts deutlich differenzierter, teilweise verspielter. Immer wieder gibt es Phrasierungen, feine Zwischenspiele in diesem hochkomplexen Gesamt.

Dass Chrigel Glanzmann, Tommy Vetterli und die gesamte Band einen neuen Fels in die Brandung der Pagangeschichte gestellt haben, steht fest.

Es war eine enorme Kraftanstrengung, das kauft man Glanzmann und Vetterli nicht nur ab, man sieht es ihnen körperlich an. Acht Wochen Aufnahmedauer „sind zwar für eine Band mit so vielen Musikern eigentlich normal, aber schon extrem anstrengend“, so Tommy Vetterli.

Mag es sein, wie es will – meine Wenigkeit freut sich wie ein Honigkuchenpferd auf die Scheibe, darauf, mehrfach und detaillierter in das Album eintauchen zu können. Ich muss dieses Hammergeschoss mehrfach einschlagen hören und bei jeder Detonation eine neue Feinheit, eine neue Pointe, eine neue Wendung hören.

Schweiz, Europa, Welt, nehmt euch in Acht – die Gallier fallen erneut über euch her!


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