Dream Theater - Octavarium

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VÖ: 06.06.2005
Bandinfo: DREAM THEATER
Genre: Progressive Metal
Label: Warner Music
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Lineup  |  Trackliste

Octavarium. Für viele das meisterwartete Album des Jahres. Ich gebe zu, auch für mich. Mit Erwartungshaltungen ist das ja bekanntlich so eine Sache - je höher die Erwartungen an ein Album gesteckt sind, umso tiefer kann der Fall in die Enttäuschung am Ende sein. Nun, meine Erwartungen waren nach dem - meiner bescheidenen Meinung nach sehr guten - "Train of Thought" Album extrem hoch. Und - um es vorweg zu nehmen: mit "Octavarium" gelang DREAM THEATER das Kunststück, diese Erwartungen sogar noch zu übertreffen.

"ToT" war die bislang härteste Scheibe, die das Traumtheater in ihrer knapp 20-jährigen Bandgeschichte produzierte. Es stellte sich also zu Beginn zwangsläufig die Gretchenfrage, womit die New Yorker ihre Fans diesmal überraschen würden. Schneller, härter, technischer? Kaum möglich, würde ich meinen. Und so schalten DREAM THEATER auf "Octavarium" ein paar Gänge runter, um mit einem Album zu überraschen, das jedem halbwegs objektiven Kritiker den sarkastischen Wind aus seinen Segeln nehmen dürfte.

Das Werk beginnt mit der Fortsetzung der Portnoy´schen Antialkoholiker-Saga, die ja vor gut drei Jahren auf "Glass Prison" seinen Anfang nahm. "The Root Of All Evil", unterteilt in Teil VI ("Ready") und Teil VII ("Remove") beginnt - der aufmerksame Hörer kennt das ja bereits - dort, wo der letzte Ton von "In The Name Of God" endete: mit einem Klavierakkord. Der Song enthält zahlreiche Zitate aus "The Glass Prison" und "This Dying Soul", sowohl musikalischer als auch lyrischer Natur. Der Song selbst ist nicht ganz so hart ausgerichtet wie der Opener auf "Train Of Thought", womit die aktuelle Marschrichtung des Albums angedeutet wird. Die erste "richtige" Überraschung folgt mit "The Answer Lies Within", einer sehr schönen, aber auch sehr einfachen Ballade, mit der Petrucci beweist, daß er sehr wohl noch in der Lage ist, ruhige Nummern mit emotionalem Tiefgang zu schreiben. Das anschließende "These Walls" besticht durch seinen schönen Aufbau und seinen entspannten, lässigen Groove. Mit "I Walk Beside You" schaffen es DREAM THEATER, wirklich zu überraschen. Die ungewohnt poppige Nummer könnte auch auf einem der besseren U2 Alben erschienen sein. Dazu ist diese Nummer mit 4:29 Minuten die kürzeste Nummer auf dem Alben. Daß dermaßen kurze Nummern für die Jungs ja eher eine herausforderung sind, weiß man zwar - merkt man dieser Nummer aber in keinster Weise an. Sehr gelungen. Bis hier hin war "Oktavarium" noch mehr Prog als Metal - doch wir haben ja erst Halbzeit. "Panic Attack" leitet die zweite Hälfte der CD ein, und damit kehrt wieder Härte ein im Hause Traumtheater. Ein erstklassiger, abwechslungsreicher Song - ganz in der Tradition des Überalbums "Scenes From A Memory". Hier zeigt James LaBrie seinen nicht verstummen wollenden Kritikern, wo der Hammer hängt - einfach nur genial. Das anschließende "Never Enough" soll laut Portnoy sehr von dessen momentaner Lieblingsband MUSE beeinflußt worden sein. Der groovend treibende Rhythmus, die leicht angezerrten Vocals und die effektbetonten Gitarren verleihen dem Song einen dezenten Modern Rock-Anstrich. Ein verhältnismässig DT untypischer Song, aber sicher nicht der schlechteste. "Sacrified Sons" widmet sich einmal mehr der Dramatik um Terror, Krieg und Politik. Von Dramatik, Aufbau und Härte noch am ehesten ein Song, der an den Vorgänger "Train Of Thought" erinnert, verfeinert allerdings durch den Einsatz eines (echten!) Orchesters. Gegen Ende unterstreicht Portnoy einmal mehr seinen Status als Urviech hinter den Kesseln - einfach unmenschlich, was dieser Mann leistet! Wer glaubt, soeben den Höhepunkt des Albums gehört zu haben, darf sich auf den Titeltrack "Octavarium" freuen. Dieser Song ist genau genommen nicht in Worte zu fassen - er umfaßt sämtliche Facetten, die DREAM THEATER ausmachen. Der erste Teil des Songs, "Someone Like Him", beginnt mit pinkfloydesker Atmosphäre, und steigert sich instrumental zu einer Nummer, die dezent an frühe SPOCKS BEARD (bzw. an den aktuellen NEIL MORSE) erinnert. Nach und nach setzen diverse Instrumente ein - von Flöten über akustische Gitarren bis hin zu dezenten Synths. Darüber LaBrie´s Gesang - einfach nur schön! Der zweite Teil "Medicate" groovt sehr relaxt mit Piano und sehr entspannter Gitarrenbegleitung. Mit "Full Circle" zieht das Tempo dann deutlich an - Jordan Rudess läßt die Finger glühen. Ein Word-Rap aus Song Titeln und anderen bekannten namen und Zitaten setzt ein, ein schwer einzuordnender, progressiver Part folgt. Anschließend darf man sich beim nochmal deutlich an Fahrt gewinnenden vierten Teil "Intervals" nachdenklich am Kopf kratzen und wundern, wie eine Band es schafft, solche Tracks zu schreiben UND sich zu merken, was da gerade gespielt wurde. Für mich ebenso unverständlich wie großartig. Dieser Part beinhaltet übrigens die agressivsten Vocals, die man von James LaBrie je gehört hat. Im vierten und letzten Teil, "Razor's Edge", wird es dann nochmal so richtig schön Gänsehaut-Symphonisch. Alles in allem einer der besten Songs, die DREAM THEATER seit langem geschreiben haben.

Was haben wir also unterm Strich? Ein ungeheuer anspruchsvolles und facettenreiches Album, das wirklich für jeden Prog Fan etwas bereithält - also sowohl für die "Frickel-Fraktion", als auch für Anhänger der etwas gemäßigteren Abteilungen. Einige Songs tendieren stark in Richtung Prog Rock, andere wiederum bieten ausreichend Nährstoff für jene, die sich am Ideenreichtum und den sprichwörtlichen Egopfaden aller Bandmitglieder (im positiven oder im negativen) ergötzen möchten. Möglicherweise das beste DT-Album seit "Scenes From A Memory", doch um das zu beurteilen, muß man "Octavarium" über eine längere Zeitspanne verteilt gehört haben. Kein Problem, diese CD wird meinen Wechsler noch lange nicht verlassen...



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: adl (17.06.2005)

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