EVERGREY - A Heartless Portrait (The Orphean Testament)

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VÖ: 20.05.2022
Bandinfo: EVERGREY
Genre: Progressive Power Metal
Label: Napalm Records
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Lineup  |  Trackliste

Man kommt ganz schön ins Schwitzen, will man mit dem Tempo mithalten, in welchem EVERGREY neues Material in die Öffentlichkeit werfen. Gefühlt ist gerade erst die letzte gehaltvolle Umdrehung von "Escape Of The Phoenix" verhallt, schon haben die Schweden ein neues Album am Start. (Dabei soll das Live-Intermezzo "Before The Aftermath", das erst Anfang des Jahres dazwischen geschoben wurde, nur am Rande erwähnt werden). Wenn sich die Herren also etwas nicht auf die Fahne schreiben können, dann Langeweile. Dagegen haben sie ihren Stil mittlerweile gründlich und ausreichend etabliert. Ein Gerüst aus Power und Melodic-Säulen, gedeckelt von den markanten, melancholischen und kraftvollen Vocals von Tom Englund, verziert mit einigen soften, akustischen oder auch progressiven Parts, ohne dabei zu sehr in die eine oder andere Richtung zu schlagen. Dementsprechend - auch weil man EVERGREY mittlerweile nach Sekunden erkennen mag - bedarf es schon eines Skalpells, um an der Sound-Oberfläche zu kratzen und etwas tiefer nach der Essenz von "A Heartless Portrait (The Orphean Testament)" zu graben. 

Wer "Escape Of The Phoenix" noch in den Gehörgängen hat, wird sich an die oftmals unglaubliche Weite kreierenden Melodien und hoch fliegenden Riffs erinnern, die dem mythologischen Vogel sprichwörtlich und musikalisch Flügel verliehen. Auf "A Heartless Portrait" bleibt der Sound nun geerdeter, direkter, gleichwohl durch die Melodien weiterhin fließend und angenehm. Die melancholische Grundstimmung verdüstert sich etwas, Dramatik und melancholische Emotionalität verdichten sich. War der "Phoenix" zu vergleichen mit den Elementen Luft und Feuer, liegt nun eindeutig eine sehr verwurzelte Erde und gleichzeitig das Element Wasser vor, das den Hörer tiefer in dramatische Melodien und verträumte Sequenzen zieht. 

Musikalisch wird wieder nach allen Regeln der Kunst gewerkelt. Sich auf bestimmte Gangarten festzulegen, würde in dem Moment zunichte gemacht, in welchem man hörenderweise eine Charakterisierung zu tippen versucht. Dieses Mal scheinen EVERGREY mehr denn je  - natürlich neben den Vocals - jedem Bestandteil der Musik einen herausragenderen, hervorgehobenen Anteil zu verleihen und sowohl rythmisch als auch melodisch für jeden mehr Platz, Raum und Zeit zu schaffen, sich sowohl in den Vordergrund zu schieben, als auch in einer gekonnten Einheit zu verschmelzen. Vermutlich liegt die Großartigkeit dieser Scheibe nicht - wie beim Vorgänger - an den ausladenden und ausufernden Melodien, sondern einfach daran, wie gut ausbalanciert und harmonisierend der doch gleichzeitig so vielschichtige Sound ist. Und dies entdeckt man nicht beim einmaligen Durchhören, dies alles erwächst, wenn man der Scheibe etwas Zeit lässt. 

Songlich erhält man auf "A Heartless Portrait (The Orphean Testament)" zehn Tracks, die, wie schon erwähnt, geerdeter, verwurzelter und teils düsterer ausfallen. Dennoch fehlt angemessen einschlagende Härte wie etwa bei "Midwinter Calls" oder "The Orphean Testament" nicht. Bei ersterem sind auch entsprechend Mitmach-Chants inklusive (wie auch beim dramatischeren Opener "Safe Me"). Etwas mehr sphärische Atmosphäre bringt dann "Call Out The Dark", das sich fast schon samtweich in die Gehörgämge schmiegt. Mit "Ominous" macht man ohnehin eine fatastische emotional-geladene Reise im gediegeneren Stil, das sich mit "Call Out The Dark" als einer der größten Ohrwürmer der Scheibe fortsetzt. "Reawakening" wirkt nach all der emotionalen Dramatik wie der Track, in welchem man wieder nach Luft schnappen und die aufgebaute Spannung aufzulösen vermag. Doch schon mit "The Great Unwashed" wird durch stampfende Rhythmik und dem Wechsel in große Melodien erneut auf große Dramatik gesetzt, ehe "Heartless" diese Gangart mit einem zusätzlichen Schuss Melancholie weiter verfolgt. "Blindfolded" avanciert sich dann durch Speed, Härte und brachiale Soli fast schon als der geheime Rausschmeißer, denn der letzte Track outet sich als die fast schon obligatorische EVERGREY-Ballade, die zum Durchatmen und Wegträumen einlädt - was bei der bisherigen Dramatik und teilweise melodiöser Schwere kein unkluger Schachzug ist. 

Fazit: Kurz und knapp: Obwohl unmissverständlich EVERGREY, hat die Scheibe doch wieder eine eigene Handschrift und ist demzufolge unumstritten großartig geraten. Dunkler, geerdeter, aber gleichwohl mit aller Emotionalität, Dramatik und Melodik, die EVERGREY zu bieten hat. Erneut ein Meisterwerk, anders kann man es nicht beschreiben. 

Hier geht's zum Interview mit Jonas Ekdahl.



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: Lisi Ruetz (20.05.2022)

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