SPIRITBOX - Eternal Blue

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VÖ: 17.09.2021
Bandinfo: SPIRITBOX
Genre: Alternative Rock
Label: Rise Records
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Lineup  |  Trackliste

Die kanadische Truppe SPIRITBOX gehört sicherlich zum heißesten Eisen, das der Metalcore anno 2021 im Ofen hat. Ganz gleich, wo man sich in sozialen Netzwerken umgesehen hat, entstand ein gewaltiger Hype, was den ersten Longplayer "Eternal Blue" betrifft. Bereits 2015 gegründet, brauchte es also um die sechs Jahre, um vor allem Fans der ersten Stunde zu befriedigen. Natürlich gab es Outputs in Form von standalone Singles und einer selftitled EP, aber der Hunger nach mehr wurde mit dem wachsenden Hype nicht gerade geringer. Für die wenigen, die es noch nicht wissen: SPIRITBOX sind quasi eine Neuformierung-Light der einstigen Core-Truppe IWRESTLEDABEARONCE, zu der Sängerin Courtney LaPlante 2012 hinzustieß. Gemeinsam mit Mike Stringer (der im Übrigen auch ihr Ehepartner ist und zum finalen Lineup von IWABO gehörte) gründete sie 2015 SPIRITBOX. Über das Pandemiejahr 2020 hinweg gab es bereits mit "Holy Roller", "Constance", "Circle With Me""Secret Garden" und "Hurt You" den ein oder anderen Appetizer für das anstehende Gesamtwerk. Gerade "Holy Roller" war unter "Tracks of the year 2021" in aller Munde und die Anlehnung des Videos auf den grandiosen Film "Midsommar" hat auch mich spätestens dann aufhorchen lassen. Ich persönlich blieb weiteren Singles größtenteils fern, um dem gesamten Output erstmal relativ neutral gegenüberstehen zu können, obgleich mir nicht entgangen ist, dass die ganzen Songs positive Feedbacks erhaschen konnten. 

Erdrückend und intensiv
"Sun Killer" setzt auf elektronische Elemente, die an Superstar Billie Eilish erinnern, was Courtneys extrem variabler Stimme aber auch sehr gut zu Gesicht steht. Es entsteht eine beklemmende Atmosphäre, die einem fast den Hals abschnürt und spätestens mit Einsetzen der zweiten Strophe nochmals an Intensität hinzugewinnt. Der Opener befasst sich thematisch mit Depressionen, genauer gesagt mit den Depressionen von Sängerin Courtney LaPlante höchstpersönlich. Im wabernden Breakdown am Ende schreit die gute Dame alle Emotionen heraus und lässt eine leere Hülle von Hörer zurück, der aber auch keine Zeit zum Durchatmen hat, da sich "Hurt You" quasi in fließendem Übergang anschließt. Die Spielereien mit diversen elektronischen Elementen übernehmen zu Beginn erneut das Ruder, werden aber mit brachialem Riffing gepaart und ergeben eine wunderbare Symbiose, die uns in die schreiende Strophe führt. Mir gefällt, wie unglaublich clean die gesamte Produktion wirkt und jedes einzelne Detail im instrumentalen Bereich auffängt. Die einen mögen es steril nennen, ich nenne es schlichtweg grandios und kann nicht genug davon bekommen, von einer derartigen Soundwand in den Sessel gedrückt zu werden. Der fast schon poppig angehauchte Chorus versprüht Unbehagen und "Fröhlichkeit" zugleich, so geht es hier thematisch um eine toxische Beziehung unter Menschen, die längst zum Scheitern verurteilt ist, von der man sich aber schlichtweg nicht lösen kann. Ich glaube viele von uns haben schon derartige Erfahrungen durchgemacht und SPIRITBOX kreieren hier sowohl lyrisch als auch musikalisch eine tiefe Narbe, die verheilen soll, aber wohl immer bleiben wird. "Yellowjacket" bringt uns mit Sam Carter von den ARCHITECTS einen Gastbeitrag und es gäbe wohl kaum Jemanden, der prädestinierter gewesen wäre, den Sound von SPIRITBOX zu veredeln, als Sam Carter. Djentiges Riffing wechselt sich hier mit Sprechgesang von Courtney ab und mündet dann immer wieder in eine härtere Gangart, wo die gute Dame wieder ihre unnachahmliche Schreitechnik auspackt. Das Ganze schaukelt sich etwas hoch, bis in Strophe zwei Carter übernimmt und einen durchaus melodischen Chorus anstrebt, der gut ins Ohr geht. Der Song wurde Carter als "unfertig" seinerzeit rübergeschickt und er hat ihn höchstselbst veredelt. Hat dem Track definitiv keinen Schaden zugefügt, im Gegenteil. Courtney und Sam ergänzen sich bestens und es entsteht eine spannende Dynamik. 

Ein Spagat aus Melancholie und Härte
"The Summit" als auch "Secret Garden" streben ruhigere Töne an und versinken ein stückweit in Melancholie. Es ist Balsam für die Seele, Courtney LaPlante singen zu hören. Die junge Frau hat eine unglaublich sanfte Stimme, die gleichermaßen mit viel Energie und Emotion gefüllt wird. "Secret Garden" spricht hier wieder durchaus ein sensibles Thema an und richtet sich an Menschen, die sich nach vielen gescheiterten Beziehungen immer mehr isolieren, um weitere Verletzungen von außen zu vermeiden. SPIRITBOX schaffen es, derart drückende Themen wunderbar mit ihrem Sound zu vollenden. Die elektronischen Spielereien wirken nie aufgesetzt oder deplatziert. Alles wirkt extrem gut platziert und so darf auf Momente des Lücke füllens vergebens gewartet werden. "Silk In The Strings" und "Holy Roller" sind dann mit Sicherheit nach dem Opener die härtesten Vertreter auf "Eternal Blue". Gerade Ersterer strebt eine extrem brutale Gangart an und lässt kaum Luft zum Atmen. Was Courtney hier teils für Lows anschlägt, treibt mir im positiven Sinne Gänsehaut auf. "Holy Roller" wiederum besitzt einen spannenden Groove, der von verzerrten Synthie-Sounds getragen wird. Im letzten Drittel verschlägt es das Album insgesamt wieder eher in Richtung "ruhigere" Töne und Melancholie, obgleich es immer wieder den ein oder anderen Ausbruch geben wird. Der Titeltrack prasselt sanft wie eine Meeresbrise auf den Hörer nieder und hinterlässt etwas Verletztendes, obgleich die Ruhe des Stücks fast schon wieder beruhigend wirkt. "Halycon" spannt vor allem in der letzten Minute einen sehr spannenden Bogen, weicht das zuvor softe Konstrukt mit hartem Riffing und Screams seitens Courtney auf, um immer wieder von ihren Cleans wieder auf den Boden zurückgeholt zu werden. Den Abschluss bildet hier allerdings ein verstörender Breakdown mit einem langgezogenen Scream. "Circle With Me" braucht keine großen Erklärungen, gilt für mich jetzt schon als DIE Hymne der Band und auch lyrisch befasst es sich mit dem Dasein als kreativer Musiker. Werde ich den Leuten da draußen gerecht oder habe ich schlichtweg Vertrauen in meine vorhandenen Fähigkeiten? Bedrückend wird's nochmal mit "Constance", das sich dem Thema Demenz annimmt, wo Courtney durch ihre daran erkrankte Großmutter einen direkten Bezug herstellt. Für mich wahrlich ein Meisterwerk, dieses wirre Konstrukt einer Demenz musikalisch einzufangen. Es hat was von Ruhe und drückt dich mit wabernden Riffs im nächsten Moment in eine große Verwirrung. Das umschreibt die Erkrankung vielleicht auch ganz gut mit simplen Worten.

Das Werk einer Generation?
"Eternal Blue" wurde als mitunter meisterwartete Platte 2021 gehypt und ich muss gestehen, dass der Hype diesem Album gar nicht erst gerecht wird. "Eternal Blue" ist ein Werk, das man immer wieder als Gesamtes auf sich wirken lassen sollte. In ruhigen Momenten oder unterwegs ist es ein Begleiter, der einen mit Gedanken konfrontiert, die einen wesentlichen Bestandteil unseres Daseins ausmacht. Trotzdem vermag es das Album gleichermaßen, einen in die höchsten Höhen zu katapultieren. Es ist unangenehm und sitzt dir im Nacken, aber genau das lässt dich auch stärker daraus hervorgehen, weil es die Band geschafft hat, all diese düsteren Themen mit einem leichten Strahlen der Hoffnung zu umhüllen. Im Mittelpunkt des Ganzen natürlich die unnachahmliche Stimme von Courtney. Für mich ist Metalcore seit Jahren eigentlich tot, um ganz ehrlich zu sein und auch "Eternal Blue" erfindet das Rad nicht neu. Was sie aber im Gegensatz zu SO vielen anderen Bands schaffen? Sie gehen tief unter die Haut, sie offenbaren eine extrem große Liebe zum Detail und fügen mit jedem einzelnen Song ein Puzzle aus 1000 Teilen zusammen. Nichts wirkt komplex, aber es gibt viel zu entdecken. Ich lehne mich mal bewusst ganz weit aus dem Fenster und stelle die Behauptung auf, dass "Eternal Blue" wie damals "Hybrid Theory" von LINKIN PARK das Album einer ganzen Generation werden könnte. Mit mir sind es eigentlich schon zwei Generationen, weil mich "Hybrid Theory" in meiner Jugend geprägt hat und "Eternal Blue" es nun im Erwachsenenalter tut. Vielen Dank für diesen wunderschönen kreativen Output!



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: Sonata (27.09.2021)

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