POWERWOLF - Call Of The Wild

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VÖ: 16.07.2021
Bandinfo: POWERWOLF
Genre: Power Metal
Label: Napalm Records
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Lineup  |  Trackliste

Wer bei POWERWOLF noch ernsthaft an große Überraschungen glaubt, der ist wohl auch der Meinung, der Weihnachtswolf sei Steuerfahnder und der Osterhase habe die Kontrolle über den roten Knopf im Keller des Pentagon. Denn wenn sich die fünf Saarländer zusammenfinden und neue Musik erschaffen, wird das Resultat immer zu 100% der kultivierten DNA entsprechen, die wir alle kennen und lieben. Dass dies selbst dann gilt, wenn sich die Wölfe keinerlei Grenzen setzen und einfach tun, was ihnen gerade in den Sinn kommt, beweist der neue Dreher "Call Of The Wild". Insoweit lautet die wohl einzig sinnvolle Frage, wie gut das neue Material denn geworden ist und ob sich im Angesicht der freizügigeren Herangehensweise beim Komponieren vielleicht doch die ein oder andere Überraschung im Rudel versteckt hat. 

In erster Näherung kann man "Call Of The Wild" sehr gut mit seinem heiliggesprochenen Vorgänger "The Sacrament Of Sin" vergleichen, denn schon die 2018er Platte wagte einen verspielteren und offeneren Ansatz im Songwriting. Bewährte POWERWOLF-Kost inkl. einem deutschen Songtext, vereinzelte Experimente mit neuen Instrumenten und eine niedertourige Ballade inmitten der Wolfsmesse - fertig war die kleine Sensation namens "The Sacrament Of Sin". "Call Of The Wild" bleibt diesem Erfolgsrezept treu und beschreitet bis auf Nuancen präzise den Weg seines Vorgängers. Erstaunlich ist dabei die Symbiose aus Eingängigkeit, Wiedererkennungswert und Ohrwurmqualitäten der neuen Songs, die ihren Pendants auf "The Sacrament Of Sin" durchaus ebenbürtig sind. Der Opener "Faster Than The Flame" bspw. kann seinem Äquivalent "Fire & Forgive" in jeder Hinsicht das Weihwasser reichen und sich mit demselben ein heißes Kopf-an-Kopf-Rennen in puncto Klebrigkeit und Eskalierwirkung liefern.

Generell ist das Hitpotenzial des neuen POWERWOLF-Drehers abermals beträchtlich - "Faster Than The Flame", "Dancing With The Dead", "Call Of The Wild", "Sermon Of Swords", "Undress To Confess"...eine angehende Liveperle reiht sich an die nächste und beweist, dass die Wölfe ihre Kompositionsgabe offenbar mit der Welpenmilch aufgenommen haben. Die ein oder andere Eigenreminiszenz lässt sich dabei nicht verleugnen - "Varcolac" bspw. erinnert in Sachen Riffs und Rhythmus an "Armata Strigoi" - doch fernab dessen wirken die Tracks stets frisch und unverbraucht, was nach nunmehr acht regulären Alben nicht mehr selbstverständlich ist.

Auch die verspielteren Tracks der Platte reihen sich nahtlos in das Gesamtgefüge ein, zumal selbst ein Anflug künstlerischer Freiheit im Hause POWERWOLF nicht zu einem ernsthaften Abweichen vom Pfad der wölfischen Tugend führt. "Beast Of Gévaudan" erinnert mehr oder weniger aufdringlich an die Schwedenpanzer von SABATON (ob das "Beast Of Gévaudan" wohl in den "Fields Of Verdun" residiert?), macht aber überdies einen sehr patenten Job im Schulterschluss mit den linientreueren Tracks der Platte. Das mit gesampelten Dudelsäcken aufwartende "Blood For Blood (Faoladh)" tanzt für POWERWOLF-Verhältnisse erfrischend aus der Reihe (vgl. "Incense And Iron" auf "The Sacrament Of Sin") und bietet seiner irischen Textvorlage ein passendes Soundgewand. Die größte der kleinen Überraschungen auf "Call Of The Wild" findet sich allerdings im bissig-kritischen Text von "Glaubenskraft", der erstmals in der Geschichte der Band Stellung zu aktuellen Ereignissen bezieht und mit dem "Umgang der katholischen Kirche mit den Missbrauchsfällen der letzten Jahre" hart ins Gericht geht. Dass die Wölfe dabei trotz aller berechtigten Kritik niemals ihre markante Zweideutigkeit, Schlüpfrigkeit und Ironie verlieren, macht die Nummer so besonders und treffsicher (auch wenn diese Art von Humor wahrscheinlich nicht jeden Hörer abholen wird). Und sind wir mal ehrlich: Wenn POWERWOLF schon ernste Kritik in ihre Texte einbringen, dann können, ja dürfen sie das nur auf diese originäre und unverkennbare Art und Weise!

Mit dem episch-balladesken "Alive Or Undead" vereint "Call Of The Wild" schließlich alle erfolgsträchtigen Merkmale von "The Sacrament Of Sin", wodurch sich der Kreis schließt und die eingehenden Schlüsselfragen schnell beantwortet werden. Das Grundrezept beider Alben ist gleich, wobei manchmal der Vorgänger ("Where The Wild Wolves Have Gone") und manchmal der Nachfolger ("Blood For Blood (Faoladh)") die Nase vorn hat. Doch in beiden Fällen ist die Hitdichte bestechend hoch und einem gesunden Mix aus standesgemäßer, hochkultivierter Kost und nuancenweiser frischer Würze zu verdanken. Ob sich das Konzept POWERWOLFs eines Tages abnutzen wird, vermag ich heute nicht zu beurteilen - bei MOTÖRHEAD hat's vierzig Jahre funktioniert und bei AC/DC tut es das bis heute. Ob dies auch bei POWERWOLF der Fall sein wird, diskutieren wir vielleicht am Summer Breeze 2045 - und so lange das allvollmondliche Geheul so exquisit erklingt, kann die Devise bis dahin nur lauten: "Undress and confess"!! Um nicht zu sagen: "Hose runter, Rosenkranzvergleich"!

 

Hier weiterlesen: Vorgehört: Das Track-by-Track Review von POWERWOLFs "Cal Of The Wild"

 


Einsamer Wolf oder Rudeltier? Dieses Review ist Teil eines Gangbang-Reviews, das ihr bald in unserem Gangbang-Bereich finden könnt!



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Lord Seriousface (08.07.2021)

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