DEVIN TOWNSEND - Devolution Series #2 - Galactic Quarantine

Artikel-Bild
VÖ: 25.06.2021
Bandinfo: DEVIN TOWNSEND
Genre: Progressive Metal
Label: Inside Out Music
Hören & Kaufen: Amazon
Lineup  |  Trackliste

Einsteigen bitte! Wir setzen unsere Reise im TOWNSEND-Express fort! Nachdem im März die erste Scheibe aus der Devolution-Serie erschienen ist, folgt nun der zweite Streich. Eigentlich ist der zweite Teil eines bekannten und geliebten Franchise ja immer etwas weniger brillant als der Vorgänger. In weiser Voraussicht also hat DEVIN TOWNSEND seine Reihe "The Devolution Series" genannt. Das abfallende Niveau ist also intendiert?! Naja, jetzt gibt es nur ein weiteres Problem, denn das Niveau fällt überhaupt nicht ab. War im ersten Teil noch die Akustikgitarre die Waffe der Wahl, darf nun die ganze digitale Kapelle ran. Auch bei diesem Konzert handelt es sich um eine Konzertaufnahme, diesmal allerdings spricht TOWNSEND weniger mit dem Publikum und konzentriert sich mehr auf das Singen und Gitarrespielen, seine Gags reißt er selbstverständlich trotzdem noch. Außerdem birgt diese "oddity" wie TOWNSEND seine Konzerte gern nennt noch ein weiteres Faszinosum der Technik. Denn jenes Konzert wurde zwar mit einer ganzen Band gespielt, physisch anwesend ist allerdings nur Herr TOWNSEND auf der Bühne. Die anderen Musiker haben sich, Zoom sei Dank! über digitale Medien zugeschaltet, um ihren Beitrag leisten zu können. Hört man das denn nun aus der Musik heraus? Ganz ehrlich. Keineswegs. Die Scheibe klingt wie ein Konzert, das unter normalen Umständen aufgenommen wurde und nicht ein Instrument setzt zu spät ein, oder würde den Flow zerstören. Die müssen ein verdammt gutes Internet da drüben haben, oder einfach eine sehr gute Nachbearbeitung. 

Neben den typischen TOWNSENDschen Witzeleien und Albernheiten, lassen sich auch alte Bekannte auf diesem Live-Album wiederfinden, wie zum Beispiel ein gewisser Ziltoid, der sich (typischerweise) mächtig über den menschlichen Kaffee echauffiert. In den unendlichen Weiten des Weltalls muss es wohl was Besseres als kürbisgewürzten Frappuchino geben. Wobei mal dahingestellt sein soll, ob die außerirdischen Mitarbeiter einer hier nicht genannten Café-Kette den Namen Ziltoids korrekt auf dessen Becher geschrieben hätten. Wenn nicht wäre es vermutlich auch das letzte Mal gewesen.

Nun aber zum Kern des Albums: Der Musik

Bekannt ist von DEVIN TOWNSEND vor allem dessen unfassbar versatile Stimme, die sowohl jedes Kind in den Schlaf singen als auch die Vertonung von Edvard Munchs "Der Schrei" übernehmen könnte. Diese Qualität setzt TOWNSEND selbstverständlich auch hier ein und dank der weiteren Instrumente im Vergleich zum ersten Teil der Serie, kommt nun auch das richtige Metal-Feeling auf. Nicht zuletzt die akzentuierenden Chöre und Soundeffekte sorgen dafür, dass dem Untertitel "Galactic Quarantine" Tribut gezollt wird. Zudem eignen sich die 15 Songs auf der Platte bestens, um das hoffentlich bald endende Pandemieozän mit sinnvoller Freizeitgestaltung zu füllen. Der Prog-Fan dürfte sich auf jeden Fall einige Zeit an diesem Werk erfreuen, denn über melodische und harte Riffs, die sich wie ein Nagel in den Schädel hämmern, welche man zum Beispiel in "Aftermath" zu hören bekommt, über orchestrale Wellenbrecher wie in "Kingdom" bis hin zu ruhigen Balladen-Passagen (hier kann man höchsten von Passagen sprechen) auf "Hyperdrive!" ist alles dabei. 

Doch wo beginnen, wenn nicht am Anfang, das hat sich bewährt. Das obligatorische Intro weist dieses Konzert als "Greenscreen-Concert aus", was für die Welt der Akustik recht wenig bedeutend ist, aber the more you know. Die daraufhin einsetzenden Chöre und die marschierenden Drums, die fast lächerlich episch wirken sollen, machen auf jeden Fall Lust auf mehr. Diese Lust wird auch direkt befriedigt, denn mit "All Hail The New Flesh" geht es schneller vorwärts als man "Ziltoid the omniscient!" schreien könnte. Die elektrischen Sounds im Hintergrund müssen im Verbund mit dem Greenscreen wirklich top aussehen, so darf man wenigstens ihr Vorhandensein konstatieren. Allerdings liegt die Konzentration auch viel mehr bei den treibenden Beats und dem Gesang, der schneller zwischen schön und böse wechselt als eine Sirene, die versucht einen einsamen Matrosen zu betören. 

Mit "By Your Command" folgt das längste Stück der Platte und es zeigt sich dementsprechend vielseitig, wer hätte das von Prog-Metal erwartet und dann auch noch von einem DEVIN TOWNSEND? Zudem lässt die Laufzeit auch zwischen den Zeilen mal etwas Platz mit dem Publikum zu kommunizieren, wie sich das gehört. Ansonsten sind die Stücke natürlich alle bekannt und doch lässt man sich immer wieder gerne auf die Reise einer allwissenden Sockenpuppe, die nach der ultimativen Tasse Kaffee sucht, ein, weil es sowohl melodisch als auch heavy ist. Es sei an dieser Stelle davon abgeraten seinen Kaffee durch einen Socken zu filtern, obschon er dadurch ungemein würziger werden kann. Neben dem ganzen Schwachsinn auf textlicher Ebene, ist das Stück musikalisch natürlich ebenso hochkarätig, wie das Vorherige und die Folgenden.

Die sich komplett unterscheidenden Stücke "Almost Again", das eher etwas strukturierter und ruhiger ist, sowie der folgende chaotischere Song "Juular" sind an sich schon so gewaltig und schaffen eine ganz eigene Atmosphäre, die vor allem in Verbindung mit dem Greenscreen ein wahres Kinoerlebnis erzeugen müsste. So kann man sich als Hörer*In nur auf das Kopfkino beschränken, was bei all den Geräuschen eine hochfordernde seelische Übung darstellen wird. 

Glücklicherweise ist das Stück "March Of The Poozers" da etwas freundlicher, da der Marschrhythmus etwas einfacher nachzuvollziehen, dadurch aber umso mehr catchy ist. Was auch immer eine Poozer sein mag, man kann gar nicht anders als sich eine zombieähnliche Monsterbande vorzustellen, die an Halloween durch den Wald stapft, und auf der Suche nach Fleisch bald in das nächste Dorf einfällt. Akkurater wäre vielleicht rein videotechnisch eine Alieninvasion, aber zum Glück ist Kunst ja subjektiv. 

Melodischer wird es dann wieder mit "Supercrush!". Das Stück bietet die gewohnte Abwechslung, nimmt sich aber vorher genug Zeit, um die Riffs zu entfalten, die nach einem chaotischen Intermezzo auch als Thema zurückkehren. Besonders prägnant sind hier die Frauenchöre, die zusammen mit der gewaltigen Stimme Townsend eine Atmosphäre schaffen, als stünde man mitten in einem Orchester. Jeder Song ist so voll und soundgewaltig, dass es einem die Schuppen mitsamt den Augen aus dem Kopf schießen würde, wenn diese nicht anständig verschraubt wären. Selbst in dem ruhigeren Track "Hyperdrive!" gibt es so viele übereinanderliegende Melodien und Ebenen, dass man beim ersten Hören gar nicht versteht, was hier alles überhaupt passiert. Denn selbst wenn nichts passiert, erfüllt das eine Funktion, die nicht sofort erkenntlich ist. Dasselbe gilt für den folgenden Song "Stormbending". Man verliert bei dieser Art von Musik wirklich den Bezug zur Realität, wenn man zu lange die Augen schließt und mit Sicherheit könnte man wirklich zu der Musik schweben, wenn man sich nur genug darauf konzentrieren würde. Bei diesem orchestralen Leviathan von einem Stück fehlen mir fast die Worte. Egal wie pathetisch das klingen mag, es ist schlicht unfassbar und mit Sicherheit ist die Live-Erfahrung in Kombination mit dem Greenscreen derart bewusstseinserweiternd, dass man bald ein medizinisches Attest braucht, um jene Erfahrungen machen zu dürfen. 

Auch die folgenden Tracks lassen einfach nicht nach. Sie bleiben abwechslungsreich, atmosphärisch, orchestral und einfach anders. Ja, man kennt die Stücke eigentlich alle, aber das tut dem Ganzen gar keinen Abbruch, im Gegenteil. Man lege die CD ein, sich selbst in das Gras auf einer Wiese, setze sich Kopfhörer auf und verschwinde in einer galaktischen Quarantäne des Gehirnes vor der Außenwelt. 

Nach "Deadhead" weicht das Orchestrale zunächst dem bedrückenden und bösen Sound von "Aftermath". Die breiten Synthesizer im Hintergrund bleiben allerdings erhalten, wenngleich die düsteren Riffs der Gitarre hier das hauptsächliche Merkmal des Songs sind. Auch der Gesang passt sich entsprechend an. Durch die schnellen Riffs klingt der Song fast ein wenig wie MEGADEATH, auch wenn er sich zum Ende dann wieder dem orchestralen Flair öffnet. Diese Stimmung bleibt aber nur sehr kurz, denn mit "Love?" folgt ein weiteres Stück, das eher in der Kategorie: "Düster", heimisch ist. 

Die anschließenden Tracks "Spirits Will Collide" und "Kingdom" springen dann erneut mit einer fetten Arschbombe in den Orchester-Trickkistensack und schaffen, wie schon so oft, eine Atmosphäre, die überwältigend ist. So überwältigend, dass man bei geschlossenen Augen glauben könnte, man führe nun höchstpersönlich in den Himmel auf. Doch keine Sorge liebe Hobbysatanisten und Jünger des Baphomet, "Detox" der Song, der diese Platte beendet, schlägt wieder fett auf die Gitarrensaiten und die Drums ein, sodass es dem Wahrhaftigen eine wahre Freude wäre. 

Abschließen lässt sich sagen, dass der erste Teil der "Devolution Series" schon unfassbar gut, witzig und unterhaltsam war. Dieser Teil nimmt sich mit dem Witz etwas zurück und schießt die Hörer*Innen aber mal ganz weit weg von der Realität und das ganz ohne Greenscreen. 

 



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: Joel Feldkamp (02.07.2021)

ANZEIGE
ANZEIGE