RED EYE TEMPLE - Vortex

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VÖ: 12.03.2021
Bandinfo: RED EYE TEMPLE
Genre: Progressive Metal
Label: Mars Music Productions
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Lineup  |  Trackliste

Ihr kennt das. Diese verdammten Alben, bei denen man vergebens nach irgendwelchen Schwachstellen sucht. Und diese naturgemäß nicht findet. Weil es diese auch nicht gibt. Unmöglich sagt ihr? Nun, nachdem man sich mit dem stimmigen Cover von „Vortex“ mal optisch angewärmt hat, geht der Opener „Pareidolia“ gleich mal überraschend gut und mit einem überaus catchy Refrain ins Ohr – ein ziemlich starker Start für ein Album, das sein Start-Niveau ausnahmsweise über die gesamte Länge nicht nur halten, sondern sogar noch steigern kann. Musikalisch facettenreicher als der gesamte Back-Katalog so mancher Band, und stilistisch im Spannungsfeld zwischen den Prog-Abfahrten von DREAM THEATER und der dunkelbunten Eingängigkeit von LACUNA COIL angesiedelt, besticht das Debut des sibirischen Geschwister-Trios vor allem durch seine Vollkommenheit und der Stimmigkeit aller Teile zueinander.

Mat und Sam Plekhanov bauen hier die Soundkulisse für ihre Schwester Maria Nesh, die mit ihrem angenehm unaufdringlichen Gesang charmant beim Hörer landen kann und erst gar nicht versucht, sich in hier sowieso völlig unangebrachte Koloratur-Sopran-Attacken a la NIGHTWISH zu ergehen - Kraft und Dynamik sind hier das oberste Maß der Dinge. Maria – die hier bei „Patterns“ übrigens zum Duett mit Siegfried Samer von DRAGONY antritt – ist nicht nur stimmlich ein starker Charakter, der hier eindeutig das musikalische Geschehen dominiert. Und was Sam und Mat im Hintergrund zusammenbasteln, ist einfach nur atemberaubend. Gitarrenläufe, die bereits nah an Göttern wie John Petrucci oder Stave Vai vorbeischrammen, Bassläufe, bei denen sich der imaginäre Siebensaiter quasi vor dem Hörer fast schon greifbar und haptisch materialisiert, und obendrauf noch das von Mat eingespielte, frische Drumming - ideenreich, komplex und dennoch nie zu überladen.

Der Titelsong sei hier als Beispiel genannt – Was das Trio hier abzieht, erinnert an die Virtuosität der ersten drei DREAM THEATER-Alben, und Maria klingt hier ansatzweise sogar ein wenig nach Anneke Van Giersbergen. Goat sei Dank ersparen uns die Drei auf „Vortex“ eine Ballade – das bereits erwähnte, etwas ruhigere Duett „Patterns“ ist dann doch eher hymnisch gehalten. In den letzten drei Songs – zwei davon in Überlänge - können sich RED EYE TEMPLE dann nochmal um ein Euzerl steigern, bei diesem eh schon abstrakt hohen Niveau fast schon unglaublich. Und auch hier muss man noch mal das New Yorker Traumtheater erwähnen: Die Affinität zu den Prog-Göttern lässt sich halt nicht wirklich von der Hand weisen, was hier aber ausnahmsweise als Bonuspunkt gezählt werden darf. Das Instrumental-Gesellenstück „Monomyth“ und das abschließende „Ashes Fall“ bilden hier den Prog-Doppelschlag, bei dem eigentlich alles gesagt wird – ohne jedoch in aufdringliches „sieh her, was ich alles frickeln kann!“-Gehabe zu kippen. Die beiden Monolithen „Under A Glass Moon“ und „Learning To Live“ oben erwähnter Referenz-Combo lassen grüßen.

Wer bereits auf so einem Niveau ins Business einsteigt, wird sich schwer tun das Dargebotene in weiterer Folge zu toppen. Aber muss es immer nur „schneller, höher, weiter“ sein? Eben. Wichtig ist, vor allem momentan, Musik zu schreiben die einen bei der Hand nimmt und in eine für jeden Hörer eigene Traumwelt entführt, die einen einfach nicht mehr loslässt. Und genau so etwas legen RED EYE TEMPLE hier mit „Vortex“ vor - ein Album, das wahrscheinlich nicht nur bei mir eine offene Kinnlade hinterlässt. Und genau deswegen komme ich um die Höchstnote hier nicht herum.



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: Mike Seidinger (18.03.2021)

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