EVERGREY - Escape Of The Phoenix

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VÖ: 26.02.2021
Bandinfo: EVERGREY
Genre: Progressive Power Metal
Label: AFM Records
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Lineup  |  Trackliste

EVERGREY - nicht nur die Benchmark in ihrem Stil, sondern auch die Erschaffer ihrer eigenen Genre-Schublade. Die Band, die mit jedem Album weiter reift und wächst wie der sprichwörtliche Wein. Die Band, die sich gerade erst noch an eine musikalische und inhaltliche Trilogie herangewagt hatte und diese Herausforderung mit Bravour und drei unglaublich emotionalen, runden und stimmigen Alben gefeiert hatten. Und nun lassen sie den sprichwörtlichen Phönix steigen, um dessen Existenz auf einer massigen Scheibe sprichwörtlich zu hinterfragen. Und verdammt, ich habe mein Album des Jahres gefunden. Und das Ende Februar! EVERGREY, was macht ihr nur? 

EVERGREY, die stilecht ihrem Sound folgen, durch melancholisch angehauchte Power eine emotionale Tragweite der Sonderklasse generieren, konzentrieren sich auf "Escape Of The Phoenix" vermehrt auf eingängige Melodien und große Hooks, sowohl an der Front als auch als Hintergrundgemisch. Im Vergleich zum letzten Release kommt die aktuelle Scheibe noch mal eine Ecke abwechslungsreicher, noch eine Spur größer und positiver, erhebender. Sprichwörtlich wird man von und durch die Musik mitgetragen, es wird trotz oder vielleicht auch durch die immerwährende Melancholie und hauchzarte Düsternis im Sound eine ordentliche Weite erzeugt, gepaart mit den vielen flotten und treibenden Tracks schafft dies richtiggehend Freiraum. Der Einsatz an der Tastenfront ist ein prominenterer als zum Teil auf früheren Releases. Gerade am Beispiel "When August Mourn", indem ein Keyboard-Thema den ganzen Song begleitet, die stetig trauernd-schönen Vocals gleichzeitig gewaltig aufbauen und lediglich ein kurzer Staccato-Klampfen-Einschub das Ganze kurzfristig erdet, ehe der musikalische Höhenflug zum Finale ansetzt, ohne allerdings am Ende die große Explosion zu versprechen, wird gezeigt, wie genial EVERGREY es schaffen, einen Song in seiner Entstehung und Durchführung gleichwohl emotional und musikalisch eingängig zu halten und dennoch am Rande der Genialität kratzen zu lassen. Und so funktioniert "Escape Of The Phoenix" in seiner Gesamtheit. 

Das sanfte, aber nicht übermäßige Liebäugeln mit Progressive-Anteilen fällt dieses Mal dezent häufiger an, wobei man EVERGREY bisher wohl immer schon zu massiv in diese Ecke geschoben und gedrängt hat. Nun gipfelt dies aber spätestens mit dem Gastauftritt von DREAM THEATER-Vocalist James LaBrie in "The Beholder". Hierbei liegt eine gelungene Koalition von zwei Stimmen vor, die vor allem gemeinsam eine angenehme Symbiose einzugehen vermögen, die gleichzeitig ausreichend Spannungsmomente versprechen (aber trotz des großartigen Songs nicht als großes Highlight überbewertet werden sollte). 

Bedient wird man außerdem mit der gesamten Bandbreite an Spielvarianten, die EVERGREY zu bieten haben. Generell besticht die erste Hälfte der Scheibe zum großen Teil mit mehr spannungsgeladenen, melancholisch und melodisch motivierten Songs, während im weiteren Verlauf eine Ladung Aggression und Tempo draufgepackt werden - ohne dies nun aber als generellen Bauplan zu verwenden. Mit "Forever Outsider" steigt man nämlich ohne Umschweife und lange Intros direkt in das musikalische Geschehen ein. Sowohl "Stories" als auch "You From You" erschaffen mit viel Melodie, Ruhe und langsamen Spannungsaufbau Power-Balladen, die zwischen getragenen musikalischen Schwebephasen und diversen instrumentalen Höhenflügen wechseln. "In Absense Of Sun" erfreut mit einem lang gedehnten Entwicklungsprozess von einem simplen Piano-Vocals-Gemisch zu einer gefühlten Soundexplosion, ehe man in verträumtere Gefilde weiterschwebt. Ein aufregendes Melodie-Gewitter setzt mit "Eternal Nocturnal" ein, wobei EVERGREY auch hier den Fokus vollständig auf Eingängigkeit legen, was dazu führt, dass man diese Melodien ohrwurmtechnisch tageweise mit sich trägt. Von den speedigeren und aggressiveren Tracks gibt es dieses Mal gefühlt reichlicher (wie "Dandelion Cipher" oder das tempogepimpte "Leaden Saint", das an unterschwelliger Progressivität neben "Escape Of The Phoenix" wohl am meisten mit sich bringt). Verabschiedet - oder in die nächste Phönix-Auferstehungsrunde eingeladen - wird man durch "Run", das langsamer, aber in allen Facetten und Spielkünsten zwischen Power und beruhigt-schöner Weite ein musikalisches Hochgefühl generiert, das Spannungen auflöst und dennoch nicht vollständig befreit. Dies mag aber wohl auch an der Musik liegen, die einen noch weitaus länger gefangen hält, als dass die Scheibe lang ist. 

"Escape Of The Phoenix" hat Nachwirkungen. Und das gewaltige. EVERGREY bügeln an kleinen Ecken und Kanten von vorherigen Alben herum (ja, jammern auf solchem Niveau gehört fast schon verboten), was die aktuelle Scheibe noch runder, noch stimmiger macht und Reibungspunkte verliert. Dies führt aber lediglich dazu, dass ein großartiges akustisches und auch emotionales Hörvergnügen ohne Wenn und Aber entsteht, das seinesgleichen sucht. Auf die letzten Releases wird hier noch einmal eine Schippe an Facetten- und Abwechslungsreichtum drauf gelegt. Zurückgelassen wird man wohl lediglich mit dem Gefühl, dass der letzte Durchlauf einer zu wenig war und man noch eine Runde braucht. Meinereiner ist auf Drogen. Aber mit diesen Drogen kann ich leben. Sehr gut sogar.



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: Lisi Ruetz (25.02.2021)

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