KORPIKLAANI - Jylhä

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VÖ: 05.02.2021
Bandinfo: KORPIKLAANI
Genre: Folk Metal
Label: Nuclear Blast GmbH
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Lineup  |  Trackliste

Wie soll sich ausgerechnet eine Band wie KORPIKLAANI nach über einem Jahrzehnt des Triumphs und oftmals nur geringen Pausen zwischen den Alben neu erfinden, wie soll sie noch überraschen? Und muss sie das überhaupt, wenn es doch eine funktionierende Erfolgsformel gibt? Eines muss man den Finnen und "Kulkija" jedenfalls zugestehen: Komfortzone geht anders. Man hätte die übliche Leier wahrscheinlich noch ewig fortspinnen können, fühlte aber offensichtlich nicht mehr die Muse für den folkloristischen Party Metal, sondern wollte sich an einer reiferen, ernsthafteren Interpretation probieren - mit durchwachsenem Erfolg. Denn "Kulkija" war, so sehr mir der neue Ansatz in der Theorie auch gefallen mochte, langatmig, eindimensional und träge. Mit neuem Schlagzeuger und einem neuen Werk namens "Jylhä", für das man sich drei Jahre Zeit liess, müssen KORPIKLAANI nun den Beweis antreten, dass man erwähnten Stilwandel mit interessanterem Songwriting verknüpfen kann - ob das gelingt?

Eines kann ich dabei direkt vorwegnehmen: KORPIKLAANI weichen darauf nicht von ihrer immer noch recht frischen Route durch die Sumpfländereien ab, was durchaus nachvollziehbar gewesen wäre, weil der Vorgänger eben nicht nur mit den üblichen überzogenen, kaum ernstzunehmenden Clickbait-Wertungen, die dafür sorgen sollen, dass das eigene Käseblatt wirksam in den sozialen Medien geteilt wird und dadurch ordentliche Zugriffszahlen generiert werden, sondern auch mit einem nicht unerheblichen Anteil an ehrlicher Kritik, die sowohl von Presse als auch Fanbasis ausging, bedacht wurde. Auch das verdient - mal wieder - explizite Anerkennung. Anerkennung, die sich bei "Kulkija" noch wie eine Art Teilnehmerurkunde einsortieren liess, weil es ansonsten wenig überschwänglich Positives zu berichten liess. Doch das ändert sich mit "Jylhä", denn KORPIKLAANI sind nicht nur stur oder standhaft (das mögen sich die Leser*innen selbst aussuchen) geblieben, sondern haben infolgedessen auch ein formidables Werk geschrieben, dessen Harmonie mich durch den Winter beglitt.

War ich anfangs noch ernüchtert und glaubte schon zu wissen, dass ich mich erneut durch die Ödnis schleppen müsste, um zu einem Urteil gelangen zu können, erwies sich "Jylhä" nur wenig später als ein Album der spannenden Kontraste, zu dem ich immer wieder gerne zurückkehrte. Peu à peu kristallisieren sich Höhepunkte heraus, schrittweise entwickelt man ein Gefühl für die Atmosphäre - auch "Jylhä" ist mit einer Stunde Spielzeit immer noch sehr lang, weiß dabei aber wesentlich mehr Inhalt bzw. Gehalt anzubieten. Anstatt also erneut im Morast der Eintönigkeit zu versinken, ergeben die melancholischeren Töne ("Mylly", "Tuuleton" und "Anolan aukeat"), die stimmungsvoller komponiert wurden, mit den dynamisch-treibenden Hits ("Niemi", "Leväluhta" und "Pohja") sowie "seriösen Schunklern" ("Sanaton maa", "Huolettomat" und "Pinot") und "progressiven" Hybriden à la "Verikoira" und "Miero" eine motivierende, malerische Symbiose, die über die gesamte Spieldauer anhält und KORPIKLAANI in einer Bandbreite inszeniert, die man ihnen früher nicht zugetraut hätte. Dazu trägt sicherlich auch bei, dass der 37-jährige Neuzugang am Drumkit, Samuli Mikkonen, sein Kollegium mit glühender Leidenschaft, die ihn allem Anschein nach dazu befähigt, ungeachtet der Wetterlage oberkörperfrei den Videodreh zu absolvieren, anheizt und auch die Folk-Verantwortlichen Sami Perttula (Akkordeon) und Tuomas Rounakari (Violine) ihre in dieser Konstellation bis dato beste Performance auf den Tonträger gezaubert haben.

Schlussendlich haben es KORPIKLAANI nach einem Übergangsalbum also doch geschafft, gleichzeitig zu überraschen und zu überzeugen. "Jylhä" ist also, obschon es hier und da immer noch seine Längen hat, ein tolles Album, aus dem nicht nur der künstlerische Schöngeist spricht, nein, auch allgemein betrachtet scheinen sich KORPIKLAANI nach der kleinen stilistischen Neuerfindung auch als Band, als Einheit gefunden zu haben und es ist eine wahre Freude, dem Kollektiv dabei zuzuhören, wie es behutsam aber doch zielstrebig sein bisheriges Image und Repertoire erweitert, um einerseits relevant für die Fans zu bleiben und andererseits, was noch viel wichtiger ist, weiterhin Spaß am Künstlerdasein haben zu können. Das merkt man übrigens auch daran, wie viel Aufwand und Detailversessenheit man in die Video-Auskopplungen, die ich euch an dieser Stelle allesamt empfehlen möchte, gesteckt hat.



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Pascal Staub (09.02.2021)

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