AKHLYS - Melinoë

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VÖ: 14.12.2020
Bandinfo: AKHLYS
Genre: Black Metal
Label: Debemur Morti Productions
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Lineup  |  Trackliste  |  Credits

Das Dasein des Menschen wird durch Regeln und Gesetze limitiert - sei es die Schwerkraft, der zweite Hauptsatz der Thermodramatik oder die Straßenverkehrsordnung. Die Höhe eines Freudensprungs, die Reichweite des altgedienten VW Käfer, die negative Korrelation zwischen gefahrener Durchschnittsgeschwindigkeit und Kontostand sowie die Tatsache, dass man beim Reisen im Rückwärtsgang kein Benzin aus Abgas produzieren kann - dies alles zeigt, wie sehr wir den Beschränkungen durch Gesetze aller Art unterworfen sind. Doch es gibt einen Ort, an dem alle Grenzen fallen und das "Geschäftsmodell Rückwärtsgang" Schule machen kann: die Traumwelt. Und wenn die erholsame Nachtruhe zur panischen Tortur wird, der Boden unter deinen Füßen bricht, jegliche Flucht ins Leere führt und kalter Schweiß mehr wiegt als dein kiloschweres Winternachtgewand, dann hast du entweder im Hotel Krueger eingecheckt oder AKHLYS aufgelegt.

Ob man es glaubt oder nicht - der Winter steht vor der Tür. Väterchen Frost mag in letzter Zeit arg an lahmen Gliedern kranken, doch die Zeit fruchtloser Felder und langer Nächte ist angebrochen. Persephone steigt in den Hades hinab, Mutter Demeter quittiert voll tiefem Gram den Dienst und die kollektive Kryostasis des Lebens nimmt ihren Lauf. In dieser Jahreszeit hat Töchterchen Melinoe, Nymphe der Unterwelt und Gebieterin über Albtraum und Wahnsinn, leichtes Spiel. Es dürfte demnach kein Zufall sein, dass Naas Alcameth (NIGHTBRINGER, AORATOS) just zum Auftakt des anbrechenden Zyklus mit einem dritten AKHLYS-Album an den Start geht und ihm den mythenträchtigen Namen "Melinoë" verleiht.

Als Anfang 2019 das AORATOS-Debüt "Gods Without Name" erschien, klassifizierte ich das gute Stück im weitesten Sinne als Nachfolger von AKHLYS' "The Dreaming I"...ein Gedanke, der auf der hohen musikalischen und personellen Deckungsgleichheit der beiden Alcameth-Zwillinge fußt. Der eine legt seinen Schwerpunkt auf Black Metal und addiert Ambient-Einflüsse, der andere tut ein Gegenteiliges, doch Gesamtbild und Wirkung bleiben einander äußerst ähnlich. Aber derartige Gedanken spielten schon damals keine Rolle und tun es auch heute nicht. Was zählt, ist was drin steckt und dass sich Naas Alcameth mal wieder als einer der hellsten (oder düstersten) Köpfe seiner Zunft erweist. Schon die überfrierende Atmosphäre im Intro von "Somniloquy" lässt sukzessive die Blutkörperchen verklumpen und Gänsehaut gedeihen. Man ahnt, dass großes Unheil bevorsteht, die Spannung steigt...und spätestens, wenn der Lärm einsetzt, ist der Albtraum real.

Die Keyboards mögen hier die führende Rolle einnehmen, Dark Ambient mag regieren, doch wenn man sich auf die Atmosphäre und die innere Reaktion des Hörers fokussiert, bleibt nur eine Schlussfolgerung: das Gebotene ist Black Metal von höchster Reinheit und Güte, aber eben in einer ureigenen Interpretation, die nur Naas Alcameth beherrscht. Mit einer unverwechselbaren Stimme, die aus Tausenden herausgehört werden kann, injiziert der Meister mit "Pnigalion" Panik und Schmerz, die Gitarren klingen wie vertonter Horror und die Drums rammen den Hörer samt Hausstand in den Boden. Zwischenzeitlich überfliegen erhellende Keyboard-Melodien das düstere Armageddon und wirken zugleich als Hookline. Dramatik, Spannung und Überraschungsmomente gehen durch die Decke. Der Schinken erreicht fast dreizehn Minuten Laufzeit und vergeudet dabei keine Sekunde. Er ist zugleich Paradebeispiel für die songwriterische Kompetenz und Detailverliebtheit, mit der AKHLYS hier erneut zu Werke gehen. "Succubare" umgarnt über sechs Minuten mit reiner Ambient-Atmosphäre und infernalem Geflüster. Es scheint, als sitze man im Wartezimmer der Vorhölle, in freudiger Erwartung der ewigen Verdammnis, die sich in Form des unbarmherzigen "Ephialtes" über einem ergießt. Doch nach jedem Regen folgt Sonnenschein, weswegen der letzte Akt "Incubatio" trotz seiner geballten Ladung seelischen Terrors schlussendlich in einer Art Happy End mit lieblichem Frauengesang gipfelt. Ist es die Vertonung des sonnigen Morgens nach dem überstandenen Albtraum oder doch der Triumph der Melinoe über eine weitere verlorene Seele? Wer weiß...

Was für ein Brett! Während mancher bereits fleißig am Jahresrückblick feilt und die angehenden Top-Alben der vergangenen Monate die virtuellen Treffpunkte dominieren, knallen uns AKHLYS kurz vor Torschluss noch einen fetten Kandidaten für eben jene Listen vor den Latz. "Melinoë" ist - wie auch seine Vorgänger und Vettern aus dem Fundus Naas Alcameths - schwere Kost. Doch es ist zugleich ein Kunstwerk, eine Melange aus kompositorischer Exzellenz, autarkem Charakter und gehobenem Wahnsinn, die so nur wenige erreichen. Und dafür gebührt seinen Machern tiefster Respekt.



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Lord Seriousface (13.12.2020)

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