PRIMAL FEAR - Metal Commando

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VÖ: 24.07.2020
Bandinfo: PRIMAL FEAR
Genre: Power Metal
Label: Nuclear Blast GmbH
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Lineup  |  Trackliste

Es gibt Releases, die schon beim ersten Spin die wildesten Gedankengänge befeuern und bei denen bereits nach dem Initialkontakt klar ist, welche Ausrichtung und Inhalte das künftige Review haben wird. Daneben gibt es die klassischen Nebelkerzenwerfer, die nach einem Durchgang ein Bild vermitteln, das sich bei näherer Betrachtung als irreführend herausstellt und bei dem alle Vorüberlegungen den unweigerlichen Weg in Richtung Aktenschredder beschreiten. Und es gibt diese Alben, die hört man einmal, zweimal oder siebzehneinhalbmal, ohne auch nur einen blassen Schimmer vom eigenen Eindruck zu bekommen. So ging es mir mit der neuen PRIMAL FEAR-Platte "Metal Commando". Warum mir das Fassen klarer Gedanken zu einem Album, das nicht aus dem originär progressiven Spektrum stammt, derart schwergefallen ist, vermag ich bis heute nicht zu erklären. Doch feierte ich zunächst bevorzugt die frühen Releases der Band und gönnte dem "Metal Commando" eher beiläufige Auftritte, ließ das Scheibchen Stück für Stück wirken und fand so letzten Endes den nötigen Hirnschmalz zur Formulierung meiner Eindrücke.

Über die Zoologie des Songwritings

Gattung 1: die Symbionten

Dabei ist das Ganze eigentlich nicht schwer zu begreifen: PRIMAL FEAR bleiben erst mal PRIMAL FEAR und warten auch anno 2020 nicht mit der Neudefinition des Siedepunkts auf. Aber dennoch erweist sich "Metal Commando" in vielerlei Hinsicht als vielschichtig und entdeckungsreich. Den Anfang macht "I Am Alive", eine klassische Symbiosenummer, ein Spagat zwischen dem frisch poliertem Kriegshammer (Strophen) und einer bunten Keule Zuckerwatte (Refrains), der gewissermaßen Pate für eine Gattung von Albumsongs steht. Während die harten Riffs und die ausgezeichnete Leadarbeit aus dem Stand überzeugen, greifen die Refrains für meine Lauscher etwas tief in den besagten Zuckertopf - ein Eindruck, der sich in "Halo", "Hear Me Calling" oder "Howl Of The Banshee" stringent wiederholt, aber am Ende nicht mehr ist als ein kleiner Abzug in der B-Note. Wer kennt das nicht? Die Morgensonne lacht und der Garten schreit nach Wasser, doch kämpft man beim Versuch der Hydration stets mit schwankendem Fließdruck, weil des Nachbars Hauselefant mal wieder aufmerksam das Vorgehen beobachtet und hin und wieder auf dem Schlauch steht...

Gattung 2: die Harteibrüter

Aber es folgt noch mehr. Während ich in Bezug auf die besagten Hart-und-zart-Hybriden ganz gerne mal HELLOWEEN den Vortritt lasse, locken mich PRIMAL FEAR immer dann besonders schnell hinterm Ofen hervor, wenn sich der Adler mit seinem frisch gewetzten Schnabel tief in meine Nackenmuskulatur verbeißt. Wenn also der gute alte Teufel mal wieder um die Ecke kommt ("Along Came The Devil") und die Fäuste gereckt werden ("Raise Your Fists"), geht es auch auf "Metal Commando" wieder amtlich rund. Hier werden besonders die Fans der ersten Stunde mit einer absolut PRIEST-würdigen Predigt bedacht, bei der einfach alles stimmt: die Dicke-Hose-Riffs, die schnittigen Screams und die starke Hookline im Refrain...für solche Stücke liebe ich PRIMAL FEAR, egal ob alt oder neu. Obendrein wird in der Albummitte noch eine Ecke härter aufgedreht. Egal, was die Band vielleicht an anderer Stelle ausgefressen haben könnte...mit dem erfrischend Groove Metal-lastigen "The Lost & The Forgotten" und dem Übersong "My Name Is Fear" gilt die Absolution als vorbehaltlos erteilt. Oder anders formuliert: die Stücke der härteren Gangart treffen allesamt ins Schwarze - so, als habe man den neugierigen Dickhäuter mit einer schmackhaften Gemüsetorte aus dem Garten gelockt, um endlich ungestört die Leguminosen benetzen zu können.

Gattung 3: die Langsambrüter

Daneben bietet "Metal Commando" zwei Balladen. "I Will Be Gone" rührt zumindest mich nicht vollends zu Tränen, darf aber trotzdem als gelungen bezeichnet werden. Komplexer, spannender, aber auch unübersichtlicher geht es mit dem abschließenden Longtrack "Infinity" zu Werke. Ob es wirklich dreizehn Minuten gebraucht hätte, ist ein nettes Thema für den nächsten Stammtisch, doch auch hier kann man getrost von gehobener Klasse reden. Den berüchtigten Elefanten sollte man indes aus dem Spiel lassen, weil die gutmütigen Tiere nie vergessen, bei Balladen zu weinen und die passenden Taschentücher überdies schwer zu beschaffen sind.

Der Adler weiß, wo der Horst die Eier hat

Ende gut, alles gut, denn "Metal Commando" zählt für mich - wenn auch aus unerklärlichem Grund - zu den Spätzündern. Und "Spätzünder" heißt bekanntermaßen, dass die Scheibe spät zündet. Aber unterm Strich zählt schlussendlich nur, dass sie es überhaupt tut. Hier und da gibt es kleinere Hänger, die an anderer Stelle mehr als wett gemacht werden und auch die Balladen haben ihrem Charme. Alles in allem findet man also ein sehr gelungenes Werk vor, dem man besser einen Durchgang mehr als einen zu wenig gönnen sollte. Es lohnt sich - großes Elefanten-Ehrenwort!


Diese Rezension ist Teil eines Gangbang-Reviews - weitere Stimmen über Urängste vernehmt ihr bald in unserer Gangbang-Zentrale!



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Lord Seriousface (20.07.2020)

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