EISREGEN - Leblos

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VÖ: 19.06.2020
Bandinfo: EISREGEN
Genre: Extreme Metal
Label: Massacre Records
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Lineup  |  Trackliste

Hit or miss - diese englische Sprachgebräuchlichkeit kam mir oftmals genau dann in den Sinn, wenn ich mich mit dem EISREGEN'schen Schaffen seit "Blutbahnen" (2007) befassen wollte oder immer wieder, wie im Falle der Besprechung einer Neuveröffentlichung, die in Bälde mit "Leblos" ansteht, "musste". Wie ich bereits in meiner Rezension zum Vorgänger "Fegefeuer" erwähnte, habe ich mit diesen Qualitätsschwankungen längst meinen Frieden geschlossen, zumal sich die Thüringer trotz hoher Veröffentlichungsfrequenz immerhin die Mühe machen, jedes neue Werk ein wenig unterschiedlich anzugehen und instrumental immer wieder ein paar frische Ideen einfliessen zu lassen. Ich war also bestens auf alle Eventualitäten vorbereitet, doch „plötzlich - ein greller Blitz am Himmel, ein flammender Meteor stürzt zur Erde...

Irgendetwas ist mit EISREGEN geschehen - und das pünktlich zum 25-jährigen Jubiläum. Sieht man von der in der Boxset-Variante beiliegenden und äußerst furchtbaren Bonus-Party-EP "Die räudigen Rennsteigrebellen", deren ausführlichere Besprechung ich mir selbst untersagt habe, ab, wird man auf "Leblos" nämlich sehr wenig bzw. gar keinen Klamauk vorfinden, dafür wohl aber eine stilistische Fortsetzung und Weiterentwicklung des gutklassigen Vorgängers, die, obschon die morbiden Textfetzen längst nicht mehr denselben Ekel hervorrufen können, nicht selten die glorreichen Zeiten wiedererkennen lassen, in denen beklemmend-düstere Atmosphäre und nagende Spannung oberste Priorität genossen. Virtuosen waren EISREGEN dabei zwar nie, Meister auf ihrem Gebiet aber dennoch - und es scheint weitestgehend so, als würden sie allmählich zu dieser Form zurückfinden.

Besonders markant: EISREGEN Alben klingen wieder wie Alben, sie klingen auch ohne erkennbaren roten Faden stringenter. So findet "Leblos" schnell in eine interessante Balance, die die Aufmerksamkeit bis zum Finale wahren kann. Frische Songwriting-Ideen, die direkt von den melancholisch-bedachteren Gothic- bzw. Dark-Metal-Klängen von Yantits Zweitband EWIGHEIM abstammen könnten ("Ruhet sanft", "1000 Jahre Nacht" und "Wangenrot" z.B.), vermengen sich hierauf stimmig mit härteren Ablegern, denen man Markus Stocks Black-Metal-Einfluss an der Lead-Gitarre erneut anhören kann ("Erstschlag", "Atme Asche" und "Drauß' vom Häuten komm' ich her"). Was letztlich auch der primäre Faktor dafür ist, warum mir "Leblos" noch eine Nuance besser als "Fegefeuer" gefällt, denn: Nie werde ich von Blödeleien oder Compilation-Momenten aus diesem Film gerissen, alles findet irgendwie zusammen. Hinzu kommt unterstützend, dass speziell die Violine und das Keyboard enorm zu dieser Grundstimmung beitragen wollen und kein belangloses Beiwerk der neuen alten Zeiten wegen sind.

Das mag zur Folge haben, dass ich auf "Leblos", trotz des starken Titeltracks und des mit Horrorfilm'esken Industrial-Synths unterlegen "Mutter schneidet", keine Hits à la "Fegefeuer" oder "Oben auf dem Leichenberg" identifizieren kann, doch ehrlicherweise bin ich genau deshalb besonders zufrieden mit dem Ergebnis. Ich präferiere ein durchgängig hochwertiges Album, dessen eigentlicher Höhepunkt der Verbund und die Stimmung sind - und genau das ist EISREGEN mit "Leblos" auch gelungen. Ohne zu altbacken zu agieren, erreichen die Thüringer hierauf ein musikalisches Niveau, das lange in den Niederungen ihrer Proberäumlichkeiten verschollen galt und nun doch, passend zum Geburtstag, seinen Weg zurückfand. Dass all das auch unabhängig vom einstigen Schockeffekt der Texte funktioniert, ist dabei umso erfreulicher. Alles Gute!



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Pascal Staub (15.06.2020)

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