TERRORGRUPPE - Jenseits von Gut und Böse

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VÖ: 26.06.2020
Bandinfo: TERRORGRUPPE
Genre: Punk
Label: Destiny Records
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Lineup  |  Trackliste

Dass die musikalische Wiege des Verfassers im Punkrock liegt, wurde schon an mehreren Stellen erwähnt. Und unter diesem langen Fundus an Kapellen, deren Logos die von jugendlicher Aufgeblasenheit geschwellte Brust oder den zweckentfremdeten Bundeswehr-Parka des Autoren zierten, hatte die Berliner TERRORGRUPPE immer einen besonderen Status. Wenn ich so recht darüber nachdenke, taugten die Aggropopper höchstwahrscheinlich neben den mächtigen KASSIERERN am zweitbesten dazu, meinen eigenen, verqueren Witz zu befeuern und mich bei der überwiegenden Zahl von Kostverächtern in meinem damaligen Umfeld "beliebt" zu machen. Fernab dieser subjektiv-autobiographischen Komponente jedoch, waren Archi "MC Motherfucker" Alert und seine Kumpels auch objektiv betrachtet immer eine Band, die im Gegensatz zu vielen Mitstreitern stets einen eigenen und unnachahmlichen Charakter hatte. Nicht austausch- oder kopierbare Trademarks, die sich in Stimme und Musik widerspiegeln und die so nur wenige Bands wie z.B. WIZO, DIE TOTEN HOSEN oder MOTÖRHEAD etablieren konnten.

Echte Punks waren schon immer arbeitsscheu und gieren nach Rente!

Wie so viele vor ihnen versuchte sich auch die TERRORGRUPPE bereits in der Verrentung und zog sich Anfang der 2000er Jahre aus dem Geschäft zurück - mit dem Argument, dass man als Punkband jenseits der Vierzig kaum mehr glaubwürdig propagandieren könnte. Ein irgendwie nachvollziehbar, aber wenig belastbarer Gedanke, der mit der 2013 erfolgten Reunion und dem Album "Tiergarten" als Mumpitz entlarvt wurde. Heute, sieben Jahre später, melden sich die Berliner mit dem Nachfolger "Jenseits von Gut und Böse" zurück und verkünden dazu erneut, für ihr Business allmählich zu betagt zu werden und die Skateboards dieses Mal endgültig in den Keller stellen zu wollen. Alles Kalkül oder aufrichtiges Platzmachen in einem ohnehin schon überfüllten Mikrokosmos? Musiziert die TERRORGRUPPE auf ihrem - so der offizielle Wortlaut - letzten Studioalbum auf dem absteigenden Ast oder treten sie in der Blüte ihrer Anstößigkeit ab? Und wer weiß eigentlich, "wie man dieses Scheiss-Häkchen übers e macht"?

"Jenseits von Gut und Böse" gibt auf die meisten dieser Fragen keine Antwort, erlaubt hier und da einen temporär plausiblen Rückschluss und macht obendrein einen überraschend konsequenten Schritt zurück in die Vergangenheit. Natürlich knüpft die aktuelle Platte auch ein wenig an den Stil der "Tiergarten"-Phase an, dreht dazu aber den Verzerrer merklich auf, kommt im Gesamtbild punkiger und rumpeliger daher und ist um eine Reihe saftiger Tiefschläge nicht verlegen. In weiterer Abgrenzung zu dem - sagen wir mal reiferen und altersgerechteren - Vorgänger gehören hierzu selbstredend auch renitentere und pubertärere Texte, die den Weg unter die Gürtellinie nicht scheuen. Man könnte also meinen, die Berliner besinnen sich auf ihre alten Tage noch einmal auf ihre frühen Jahre, in denen Alben wie "Musik für Arschlöcher", "Melodien für Milliarden" oder "Keiner hilft euch" die Punkerherzen höher schlagen ließen.

Die TERRORGRUPPE tut, was die TERRORGRUPPE tut

Jetzt mag man dem Verfasser gerne vorwerfen, er sei ein Dummschwätzer, ein Kindskopf, ein Prolet, vielleicht sogar so ein verrückter Jünger der Hedonistischen Heilsfront [Anm. d. Lekt.: Alles was sie hier sagen, wird an anderer Stelle gegen sie verwendet.] - aber wie man es dreht und wendet, die TERRORGRUPPE funktioniert einfach am besten, wenn sie tut, was sie kann: aktuelle Themen mit satirischem Humor auf die Schippe nehmen, dazu einige wohlbedachte Skandalmomente einbauen und den ein oder anderen Schuss ausgemachten Blödsinn unterheben. Es fängt schon mit dem Albumcover an: wem würde man wohl sonst das Gemächt andichten, mit einem knatschpinken (warum eigentlich "lila") Albumcover aufzulaufen? Wenn die Erlanger Barden außer Hör- und Sichtweite sind, denkt man wahrscheinlich sofort an die Band, die gerne und regelmäßig auf latente Homosexualität anspielt und sowieso schon immer wissen wollte, wie es ist, "wenn man Anus mehr als Pflaume mag".

Was die ernst gemeinten Botschaften angeht, wird dem kritischen Blick auf die Schadwirkung des Menschen auf das Ökosystem Erde gleich zwei Songs gewidmet. Wenn sich der Homo Sapiens schon nicht selbst terminieren will ("Suizidoption (Prolog)"), stünde zumindest noch der "von Friedensforschern anerkannt[e]" bewaffnete Konflikt zur Diskussion ("Krieg ist super"). Und wenn auch das nicht mehr hilft, kommt früher oder später ohnehin der unvermeidliche, global forcierte Kollaps - ein Jahrhundertprojekt, dem man auf dem nächsten Album einen konsekutiven Songtext widmen könnte (achso...da war doch was...). Den weltweiten Erfolg populistischer Parteien pardodiert man pointiert und unterhaltsam mit "Ein Führer wird kommen" und auch in Richtung einer Frischzellenkur in den Parlamenten dieser Welt wird gedacht. "Alt+Delete" widmet sich dem Aufräumen mit eingefahrenden, generationsgebundenen Denk- und Verhaltensmustern, die einen gesellschaftlichen Fortschritt behindern. Oder ist es es vielleicht doch die Selbstreflexion über eine in die Jahre gekommene Band, auf die diese jungen Scheißer nicht mehr hören wollen? Wer weiß...

Was läuft sonst noch so schief in der Welt? Böse Chemie beschneidet unter dem Deckmantel heilender Wirkung die Persönlichkeit und muss folgerichtig unter Berufung auf die Persönlichkeitsrechte abgelehnt werden ("A.D.H.S.": "Tabletten ins Becken, in bin so, wie ich bin!"). Aber egal, was man auch versucht - "die schönen Regale der Kauflandfiliale, das Swingerclub-Buffet, die neue BROILERS-CD, überall ist Nestle drin"! Rücksichtslose Egomanie und Ellbogengesellschaft markieren ein modernes Recht des Stärkeren ("Lastwagenfahrer"), aber was interessieren die Probleme anderer, solange die Blagen im Billigflieger nach Malle ihre vorlaute Klappe halten ("Easy Jet")? Wenn dann noch die seelisch demolierte Ex vor der Tür steht ("Alexandra"), kann man es eigentlich nur noch mit Humor und Blödsinn ertragen..."egal, ob euch das passt". Denn wie es scheint, hat nicht nur Farin Urlaub ein Talent für desaströse Liebschaften, aber immerhin taugt die Quasi-Fortsetzung von "Sabine" (dieses Mal ohne Wohnung einsauen!) noch als profunde Quelle für essentielle Erziehungstipps.

Na dann passt mal auf die Käfer auf!

Die TERRORGRUPPE bleibt die TERRORGRUPPE und zeigt sich mit "Jenseits von Gut und Böse" noch einmal von ihrer besten Seite. Schneller, aggressiver, derber und skandalöser ziehen die Berliner ein womöglich letztes Mal zünftig vom Leder und dürften damit so manchen alten Fan verzücken. Der hohe Anteil zackiger Pogoperlen ("A.D.H.S.", "Lastwagenfahrer", "Alt+Delete") erfreut dabei genauso wie scheinbar neu entdeckte Unverfrorenheit und der ungebrochene Sinn für Humor. Auch ein alternder Aggropopper kann offenbar nicht aus seiner Haut - man könnte auch sagen, er "bleibt dem Trottel treu". Warum also aufhören, wenn die Maschine noch so gut läuft? Wird Oliver Welke etwa zu alt für die heute-show? Werden die HOSEN zu alt für den Bolzplatz und das "Wort zum Sonntag"? Kann man für den erhobenen Finger, Witz und Satire überhaupt zu alt werden? Und was soll man so den lieben langen Tag mit seiner Zeit anfangen, wenn man erst mal im Punkrock-Schaukelstuhl angekommen ist? Für mich ergibt das Ganze keinen erkennbaren Sinn und auch der Fortbestand anderer Punkbands spendet mir nur sehr begrenzt Trost, weil es so etwas wie die TERRORGRUPPE eben kein zweites Mal gibt. Deshalb leere ich zum Abschied noch eine eisgekühlte "Blechdose", singe ein letztes "Tresenlied" und plädiere mit einem aufrichtigen "fick dich du Arschloch und spiel' Gitarre" für eine Vertagung des Renteneintritts bis etwa 2077. Ihr könnt ja sagen, "Jenseits von Gut und Böse" war euer "letztes lila Album" und pinselt das nächste Cover einfach grün, zinnoberrot oder babyblau! Aber falls uns ein Wiedersehen am Ende doch verwehrt bleiben sollte, habt Dank für die vielen schönen Stunden, die blauen Flecken, "fünf Kilo schönen Strand" in der Badehose und natürlich den "Weltuntergang"! Bleibt frech und fröhlich und "pass[t] mal auf die Käfer auf"!



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Lord Seriousface (22.06.2020)

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