DIE KREATUR - Panoptikum

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VÖ: 22.05.2020
Bandinfo: DIE KREATUR
Genre: NDH (Neue Deutsche Härte)
Label: Napalm Records
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Lineup  |  Trackliste

„2 KÖPFE - 2 STIMMEN - 2 PERSÖNLICHKEITEN – DIE KREATUR!“
Die erste Textzeile aus dem mir übermittelten Promotext weist unmissverständlich darauf hin, dass man ein mehrschichtiges Album in die Hand bekommen hat. Doch wohin geht die Reise? Das wird klar, wenn man die Namen liest bzw. den Stil der Herkunfts-Bands mit einbezieht, bei denen die beiden Köpfe/Stimmen/Persönlichkeiten aktiv sind.

DIE KREATUR ist nämlich ein Songwriting-Experiment von OOMPH! Sänger Dero Goi und LORD OF THE LOST Mastermind Chris Harms. Insofern vermutet man, dass man es mit NDH, Gothic- und viel Elektro-Rock zu tun haben wird. Und richtig, genau auf dieser Welle reiten die 13 Songs vom Album „Panoptikum“.
Das Werk ist – wie der Name schon sagt und auch das Cover andeutet – eine Reise durch unterschiedliche Gebiete, sozusagen ein musikalisches Kuriositätenkabinett. Düsteres, Tiefgründiges, Aufwühlendes, Interessantes, Emotionelles, Sinnesverstörendes wird sowohl textlich als auch musikalisch abgeklappert und entsprechend umgesetzt – je nachdem, ob nun NDH oder Gothic Rock als besserer Background passen.
Unterm Strich hat sich aber in meinen Augen LORD OF THE LOST durchgesetzt, und darüber bin ich gar nicht böse, weil auf diese Band mit ihren coolen Vibes habe ich schon länger ein Auge geworfen. So wie bei seiner Heim-Band, schafft es Chris Harms auch bei DIE KREATUR im Zwiegespann mit Dero Goi Dancefloor Beats mit Metal, Deutscher Härte oder Industrial Sound zu mixen, sodass man nicht anders kann, als mit diesem Rhythmus mitzugehen. Dazu noch 100 % deutsch gesungene Texte, tja, das kann dann sogar auch Richtung Schlager oder Deutsche Welle abdriften, wenn es nicht ganz auf die harte Tour kommt.

Die beiden ersten Songs auf dem Album gibt es schon bei youtube zu hören und sie zeigen das Beste von beiden Seiten der deutschen Sänger. Der Opener „Die Kreatur“ zeigt DIE KREATUR von der wütend-aggressiven NDH-Seite, nur hie und da von nachdenklichen Breaks aufgelockert.


Der animalisch-frankensteinartigen Ausrichtung, folgt die blutdürstig-vampiristische. Der düstere Sound und die heavy Riffs bei „Kälter Als Der Tod“ erzeugen Gänsehaut, der Text ist dunkel-morbid und gleichzeitig schaffen sie es, im Songwriting mit weichen Melodien und zarten Chorstimmen eine einzigartig dichte Atmosphäre zu erzeugen, die sehr oft vom deutschen Gothic Rock geschaffen wird.

NDH und Gothic sind aber nicht die einzigen Stile, die man auf „Panoptikum“ findet. Irgendwann landen die beiden Herren in ihrem Schaffen beim Deutschen Schlager und nehmen Anleihen bei den Seemannsliedern. Sie machen vor nichts Halt, verpassen den Stücken einen düster-dunklen Anstrich mit viel Elektro-Rock und drücken mit den ausdrucksstarken Stimmen, über die beide verfügen, aus, worüber sie sich so Gedanken machen.

„Durch Die Nacht“ hat das Zeugs zum Deutschen Schlager Hit. Das hören doch glatt auch meine Eltern auf Ö Regional – zumindest solange sie nicht genau auf den Text hören. Der Discofox ist tanz- und schunkelbar, wie bei früheren 80er und 90er Jahre Hits. [Anm. d. Lekt.: Denen ist echt nichts heilig.]

Von Discofox geht es ohne Umschweife mit „Zwei 100%“ auf den Dancefloor. Dieser Beat und die Bässe fahren ganz anders ein, das verirrt sich nicht auf Ö Regional, keine Chance. Viel zu abgehackt, hart und rau und natürlich viel zu viel Elektrosound.

„Schlafes Braut“: Ein Schunkel-Lied für die schummrige Hafenbar, aber erst, wenn man schon tief ins Glas geguckt hat. Könnte sogar von UDO JÜRGENS sein. Einfach schräg.

Erst bei „Untergang“ mit NDH Background und wildem Hau-Drauf-Sound findet man sich wieder in der Ursprungswelt, die man erwartet hat. Der deutsche Schlager wird für eine Weile wieder ad acta gelegt und die beiden ereifern sich, dieser Song verstörend und abschreckend zu machen. Ähnlich auch das technische, metallische „MenschMaschine“, das viel Elektro-Rock beinhaltet und gleichzeitig einen Fokus auf den Gesang legt.

Im Stück „Was mir am Wichtigsten Ist“ kommt ein tiefsinniges Nachdenken, warum man die Nadel braucht bzw. die Angst, sich offen zu legen oder Gefühle ran zu lassen. „Benutz Mich“ spielt ebenfalls mit den Abwegen und Abartigkeiten von Gefühlen und Liebe. Hinter einem recht nett klingenden Song verbergen sich Textpassagen, die es in sich haben. In den dahin treibenden Beats kommt Lust und Laune rüber, aber die ruhigen Takte lassen im Gegensatz dazu die morbiden Gedanken die Überhand gewinnen: „… benutz mich bis zum Tod.“ Hier kann man wieder mal ordentlich alles Mögliche rein interpretieren.

„Glück Auf!“ - ein Gitarren/Schunkel-Song für Bergwerks-Mitarbeiter? Naja, der Titel verleitet dazu, so zu denken, aber es ist natürlich wieder eine andere Bedeutung dahinter. Zum Glück ist es diesmal nur ein einzelner Ausreißer-Song, bei dem wir uns ein Akkordeon anhören dürfen. Gegen Ende des Albums wird es wieder heftig und alle Register des Gothic Elektro Rock werden gezogen.

Beide Bands haben es mit den Gott-Songs. „Gott Verdammt“ passt also recht gut in die Riege dieser Stücke und ist ein „Gott“-Song, wo beide Musiker ihre Texte, Sounds und Welten unterbringen. Überraschend ist das vom Kirchenchor gesungene und mit Orgel begleitete Ende. Das ist das Tüpfelchen auf dem i sozusagen. [Anm. d. Lekt.: Schnappatmung!]

Als Draufgabe gibt es noch etwas aus den Anfängen – DIE KREATUR wildert bei Songs der Deutschen Welle, die schon vor 40 Jahren in waren: Der „Goldene Reiter“ von JOACHIM WITT aus 1981, der damals schon mit seinem Elektro-Beat und dem diffusen Text glänzte, wird auf etwas härter getrimmt und Chris und Dero machen den Song so richtig düster und nehmen ihm auf diese Weise das Verarsche-Feeling vom Original.

Fazit: Zwei starke Sänger mit prägnanten Stimmen – da ist klar, dass die Instrumente bei diesem Album ein wenig in den Hintergrund treten. Der hinterlegte Techno/Elektro-Beat und die NDH bzw. Gothic Sounds passen sehr gut zu den Beiden. Auch wenn sie hie und da direkt beim Deutschen Schlager andocken und Sounds und Melodien ihrer Ursprungsbands einfließen lassen, schaffen sie es mit dem Album „Panoptikum“ etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Die durchgehende Deutschsprachigkeit tut dem Album keinen Abbruch, sondern ich empfinde sie positiv, da sie zeigt, dass man auch in der Muttersprache tolle Texte und Songs bringen kann. [Anm. d. Lekt.: Ich brauch einen Schnaps.]

 



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Lady Cat (25.05.2020)

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