NEAERA - Neaera

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VÖ: 28.02.2020
Bandinfo: Neaera
Genre: Melodic Death Metal
Label: Metal Blade Records
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Lineup  |  Trackliste

2015 haben NEAERA aus Münster ihr vorübergehendes Ende deklariert, weil sie nicht zu einem grauen Ebenbild ihrerselbst verfallen wollten und wohl das Gefühl hatten, dass dieser Status nicht mehr allzu fern sein könnte. Bei genauerer Betrachtung der Credits ihres selbstbetitelten Comeback-Albums (die Rückkehr zu Jacob Hansen bspw., dem Soundbeauftragten von "Let The Tempest Come" und "Armamentarium") sowie des Artworks, das ebenjenes ziert, möchte der Leser aus diesen Zeilen nun vermutlich einen Hauch Sarkasmus deuten, doch handelt es sich hierbei nur um scheinbare Analogien. In der faktischen Realität hingegen entflammt in den elf neuen Stücken ein bitterkaltes, gallig züngelndes Feuer, in dem man einerseits sicherlich die NEAERA, die mit besagten Alben damals zur unangefochtenen Spitze der deutschen Core-Szene emporstiegen, lodern sehen, andererseits aber auch eine abweisende, distanzierte Atmosphäre einfangen kann.

Auch NEAERA bzw. die fünf Individuen, die dieses freundschaftliche Konsortium bilden, werden und wurden im Laufe der Zeit älter und haben dementsprechend auch zahlreiche Erfahrungswerte hinzugewonnen bzw. auch angestaut, was man nicht nur an der Souveränität ihrer Liedschöpfung erkennen wird, sondern speziell auch in den Lyrics, die von noch bedrückenderen Untertönen umgeben sind. Ihr äußerst sympathischer Lösungsansatz, "Rid The Earth Of The Human Virus", so polemisch das auf die "Einen" im ersten Moment auch wirken mag, wird für die "Anderen" im Jahre 2020 kaum noch abwegig erscheinen. Irgendwie polarisierend bzw. überspitzt, klar, aber ein Hauch von Wut ist besser als Gleichgültigkeit und ansonsten wird hierauf eine gute Dreiviertelstunde lang primär mit sämtlichen negativen Strömungen des Menschseins abgerechnet, dass der Krawall wie automatisiert zu einer wohltuenden Therapiestunde konvertiert, an deren Ende man aufwacht, tief durchatmet und mit Erleichterung feststellen wird, dass der bissige, oftmals aber auch überlegte Frustabbau seine Wirkung nicht verfehlt hat. Für ein modernes Metalalbum ist "Neaera" nämlich, also wie schon seine zahlreichen Vorgänger, erstaunlich reflektiert und hebt sich aufgrund dessen - mal wieder - wohltuend von der Masse ab. Alleine deshalb sind NEAERA schon von unschätzbarem Wert und hoher Relevanz.

Abgesehen davon ist es aber auch eine nahezu schelmische Freude, die sich in einem ausbreitet, wenn man NEAERA in dieser Verfassung durch die Abgründe pflügend bestaunen darf. Ohne den drei direkten Vorläufern den berüchtigten "Bock" absprechen zu wollen, aber auf "Neaera" spürt man als Hörer von der ersten Sekunde an einen Hunger, der einem pechschwarzen Vortex gleicht. Die Pause scheint dem Quintett also mindestens genauso gutgetan zu haben, wie das Weltgeschehen ihre Gedanken und Ideen für die lyrische Komponente angeheizt hat. Die unaufdringlichen melodischen Hooks sitzen so gut wie eh und je ("False Shepherds", "Lifeless" und "Sunset Of Mankind" z.B.), die Riffs würgen kontinuierlich brutal am Kragen des Hörers ("Eruption In Reverse", "Resurrection Of Wrath" und "Carriers" z.B.) und Benny Hilleke pestet wie gewohnt zwischen hohem Geschrei mit Wiedererkennungswert und tieferem, anklagendem Bellen, als wären seit "Armamentarium" keine 13 (!) Jahre vergangen. 

Conclusio: Unverkrampfte Nostalgie, jugendlicher Biss und erwachsene Abscheu reagieren in einer unkontrollierten Kernfusion aufeinander und ergeben "Neaera", ein explosives Album, das mit dem englischen, metallisch geprägten Motto All killer, no filler bestens umschrieben ist. Ich wünschte mir zwar schon länger eine Rückkehr von NEAERA, hätte mir dabei aber niemals auch nur im Traume ausdenken können, dass man, wenn man denn überhaupt aus dem Ruhezustand erwachen sollte, sich qualitativ direkt auf einem derart hohen Niveau inklusive der standhaften Geisteshaltung stabilisieren könnte. NEAERA beweisen das Gegenteil und führen dabei sämtliche ihrer Stärken entschlossen auf das Schlachtfeld, das sich nicht nur auf die heimischen vier Wände begrenzen, sondern bald auch wieder auf zahlreiche Bühnen ausgeweitet wird. Willkommen zurück!

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Zur anstehenden Veröffentlichung von "Neaera" erklärte sich Gitarrist Stefan Keller bereit, in einem Interview Fragen rund um den Release und die Band zu beantworten. Das Ergebnis findet ihr hier.



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Pascal Staub (24.02.2020)

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