ENFORCER - Zenith

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VÖ: 26.04.2019
Bandinfo: ENFORCER
Genre: Heavy Metal
Label: Nuclear Blast GmbH
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Lineup  |  Trackliste

Na, jetzt ist es doch schon wieder passiert: Die Betätigung der Skip-Taste musste sein, aber nach hinten. Also Repeat nicht Skip. Weil der Song so geil war und man ihn gleich nochmal hören will! Und nicht nur das: Auch der Lautstärke-Regler wird hochgerissen! Ja, gleich mehrere Songs auf ENFORCERs neuem Album namens „Zenith“ verlangen unwiederstehlich danach, dass man sie immer wieder hört und auch lauter, ja, noch lauter!

Okay, viele werden erstmal damit klar kommen müssen, dass die Schweden die vier Jahre zwischen dem letzten Album „From Beyond“ – das mit Rang 84 erstmals in der Bandgeschichte in die deutschen Charts gelangte – dafür genutzt haben, um musikalisch einen etwas anderen Weg zu gehen. Aber keine Bange: All jenen, die die Band bislang für ihre rasant-schnellen Songs der Marke frühe METALLICA oder DIAMOND HEAD lieben, sei gesagt: Diese Trademarks finden sich auch auf dem neuen Album. Aber weniger. Den Grund dafür erklärt Sänger und Gitarrist Olof Wikstrand im Pressetext ein Stück weit: „Wir wollten nicht einfach nur ein weiteres Album, sondern stattdessen das größte Heavy-Metal-Album aller Zeiten ohne irgendwelche Limitierung. Das neue Album „Zenith“ ist definitiv das ambitionierteste Projekt, in dem wir jemals involviert waren.“ Insgesamt habe man zweineinhalb Jahre in das Schreiben und die Aufnahme der neuen Scheibe investiert. Möglicherweise hat zudem die erstmalige Mitarbeit des neuen Gitarristen Jonathan Nordwall für die Kursänderung gesorgt.

Könnte sein, dass die neuen Kompositionen, die überwiegend im Midtempo gehalten sind, bei dem ein oder anderen Fan früher Stunde auf Unverständnis stoßen. Wäre schade, denn drauflosgeprügelt haben ENFORCER ja schon mehr als genug auf den vorherigen Alben (und verzichten darauf auch auf „Zenith“ nicht völlig). Und musikalische Klasse kann es tatsächlich ebenso bei weniger schnellen Songs geben – auch wenn das so einige in der Metal-Szene anders sehen mögen.

Also unvoreingenommen ran an „Zenith“. Den Ehrgeiz und investierte Energie hört man „Zenith“ an. Denn um zurürck zu der anfänglichen Begeisterung zu kommen: Mann, was sind da geile Songs zu hören! Ein überraschender Höhepunkt ist ganz sicher „Regrets“: Eingeleitet von einer romantisch-melancholischen Klavier-Melodie und verträumtem Gesang mutiert der Track zu einer Hymne mit Pop-Charakter wie sie die aktuell angesagten Landsmänner GHOST nicht hätten besser hinbekommen können. Der Song funktioniert vor allem, weil Sänger Olof mit seinem einzigartigen, teilweise fast keifenden Organ zeigt, dass er derlei melancholische Melodien wunderbar intonieren kann. Am liebsten möchte man Olof tröstend den Arm um die Schulter legen und ihm zusichern: Kopf hoch, das wird schon wieder!

Wie „Regrets“ sind weitere Songs hörbar ambitioniert, in die viele musikalische Fertigkeiten, Wissen und Einflüsse flossen. „Sail On“ etwa hört sich anfangs ziemlich funkig an und entwickelt sich zu einem entspannten, fluffig-catchigen Classic-Metal-Rock-Song mit vertracktem Rhythmus. Dass es die Schweden weiterhin auch alles andere als entspannt können, zeigen sie eindrucksvoll beim Speedster „Thunder And Hell“. Hier trumpfen vor allem die Gitarristen mit old-schooligen, fetzigen Riffs und warmen Soli auf. Die Pluspunkteliste ist aber noch nicht am Ende: „Searching For You“ begeistert mit Tempo-Wechsel, Power-Drumming, rasanten Gitarren, frech und rotzig gesungenen Strophen und einem Refrain, der im Gehörgang kleben bleibt. Ein Song, der trotz der glam-rockigen Verschnaufpause beim Refrain auf früheren, schnelleren Alben von ENFORCER hätte bestehen können. Aber locker.

Nach all der Begeisterung kommt dann, was Viele nach durchzechten Nächten kennen: Ernüchterung. Zwar fällt die Qualität beim Rest der Songs nicht brutal ab, aber es gibt einige Schwachpunkte. Und des Öfteren kommt der Gedanke auf, dass die Band vielleicht zu viel gewollt hat. „Forever We Worship The Dark“ ist dafür ein gutes Beispiel: Eigentlich mit einer guten Haupt-Melodie sowie schön epischen Strophen bestückt, vermasseln deplazierte „Wohohoho“-Front- und Backvocals das Gesamtbild unnötig. Hier wäre ein kompetenter Produzent Gold wert gewesen (auf den die Schweden verzichtet haben), der der Band sagt: Nette Idee, aber lasst das besser weg.

Etwas unausgereift, irgendwie nicht passend klingt ebenfalls „The End Of The Universe“ bis irgendwann mit einem schön warmen Solo das Tempo angezogen wird und Sänger Olof mit seinem hervorstechenden Organ glänzt. Das ist aber das einzig Gute an dem Song. Auch die eingestreuten Orchster-Tusch-Samples in „One Thousand Years Of Darkness“ sind viel zu dominant und dadurch ziemlich nervig deplaziert. Das abschließende, fast siebenminütige „Ode To Death“ macht es nicht besser, sondern tönt recht gezwungen, so als habe sich die Band gesagt: Kommt, wir machen jetzt ein bedeutungsschwangeres Epos!

Deutlich unverkrampfter ist der Opener „Die For The Devil“, ein fröhlicher Glam-Metal-Song, der beispielsweise an frühe SKID ROW erinnert. Schließlich bleibt noch der Quasi-Titelsong „Zenith Of The Black Sun“. Der nach etwas Anlauf ebenso gut gelaunt und lässig rockt und sich in die gleiche Schublade mit Bands stecken lässt wie WARRANT, POISON oder frühe BON JOVI. Beides gute Nummern.

Unterm Strich tut man sich als Rezensent etwas schwer mit „Zenith“ – was die ausufernde Länge dieser Kritik erklärt. ENFORCER hätten aufgrund ihrer mittlerweile vielen tollen Songs der Vorgänger-Alben deutlich mehr Publikumszuspruch verdient. Nun kommen mit diesem Langspieler einige neue Argumente dazu. Neben den begeisternden Songs trüben leider einige unausgegorene Ideen das Gesamtbild ein wenig. Aber nur etwas. Schließlich gibt es ja die Skip-Taste.

 



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Tobias (19.04.2019)

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