ANY GIVEN DAY - Overpower

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VÖ: 15.03.2019
Bandinfo: ANY GIVEN DAY
Genre: Metalcore
Label: Arising Empire
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Lineup  |  Trackliste

ANY GIVEN DAY. Deutscher Metalcore. Na, ihr denkt, ihr ahnt es schon, oder? Es werden wieder giftige Spitzen und verärgerte Stellungnahmen zum fast schon erbärmlichen Status Quo der Subkultur bzw. zu deren Offenbarungseid der Unkreatitivität auf euch einprasseln. Oder etwa doch nicht? Aus zwei Gründen beiße ich mir dieses Mal auf die Zunge: 1) ANY GIVEN DAY haben mit "Everlasting" bereits vor drei Jahren überzeugen können. 2) ANY GIVEN DAY können auch heuer mit "Overpower" vollends überzeugen. Was folgern wir daraus? Dass wir den Fokus in dieser Rezension lieber auf den musikalischen Teil des Albums justieren, die ganzen identitätslosen Ebenbilder einfach mal identitätslose Ebenbilder sein lassen und den Gelsenkirchenern um den deutschen Howard Jones, Dennis Diehl, den gebührenden Applaus in voller Länge und ungefiltert gönnen.

Einen Teil des gebührenden Applaus gab es bereits ein Jahr nach besagtem "Everlasting" in Form eines Vertrages beim Nuclear Blast-Sublabel Arising Empire, einen anderen Teil beim letztjährigen Summer Breeze Festival, bei dem ANY GIVEN DAY selbst nicht nur vom immensen Andrang des Publikums als solches überrascht, sondern auch von der großartigen Stimmung überwältigt schienen. Und da ich sonst zumeist griesgrämig über deutschen Metalcore ablästere, folgt an dieser Stelle einfach mal aufrichtiger Applaus meinerseits, weil er verdienter kaum sein könnte.

Was mich auf "Overpower" am meisten erstaunt: ANY GIVEN DAY denken ihr Songwriting sicherlich nicht revolutionär, schaffen es aber zunehmend, ihre eigene Identität selbstbewusster zu betonen und verlassen sich dabei, was sicherlich der größte Unterschied zu anderen Vertretern ist, erneut auf ihre melodiöse, ausdrucksstarke Gitarrenarbeit, die nicht selten an KILLSWITCH ENGAGE erinnert - es gäbe aber weitaus schlimmere Vorbilder. Selbst in "Loveless", dem einzigen etwas stereotyperen Stück auf dem gesamten Album, schieben die Jungs in fast schon schuldbewusst-entschädigender Manier einen wunderbar atmosphärischen Part dazwischen, der, gepaart mit Diehls unfassbaren Clean Vocals, für Gänsepelle sorgt - es sollte nicht die letzte sein. Faustregel: Wenn dieser unglaublich begabte Mensch zum Refrain ansetzt, sind die dafür zuständigen Synapsen längst auf Bereitschaft eingestellt, denn wie schon Howard Jones zuletzt auf LIGHT THE TORCHs "Revival", ist Dennis Diehl auf "Overpower" (gerade auch in den bärenstarken "Never Surrender" und "In Deafening Silence") im Godmode unterwegs, nein, er ist overpowered, wie man es im Gaming-Bereich so schön formuliert.

Damit haben ANY GIVEN DAY zwei unschlagbare Selling Points auf ihrer Seite und dessen scheint man sich auch mehr als nur bewusst zu sein, denn schon in "Start Over" und "Savior" vermengt man diese (Erfolgs-)Komponenten zur Vollendung und lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass man die Schlagzahl der Hits weiter erhöhen möchte. Schon lange zeichnete mir ein im weitesten Sinne klassisches Metalcore-Album nicht mehr ein derart breites Grinsen in mein Antlitz, wie das "Overpower" trotz kleinerer Mängel gegen Ende (die EMMURE'schen Sprechgesänge in "Whatever It Takes" wollen nicht so recht zur Band passen) tut. Im Umkehrschluss soll das aber nicht heißen, dass ANY GIVEN DAY sich nicht um Abwechslung scherend zeigen, denn in "Lonewolf" sowie "Fear" beispielsweise implementiert man verstärkt ein stimmig-elektronisches Fundament, auf dem sich Dennis Diehl vollends austoben kann, in "Sure To Fail" gibt sich auch ein Retro-Hauch Nu Metal zu erkennen und in "Devil Inside" sowie "Taking Over Me" wird auch einfach mal zünftig geknüppelt. 

In anderen Worten: ein paar kleinere Tweaks sind in Zukunft sicherlich noch nötig, aber ANY GIVEN DAY haben definitiv das Potenzial dazu, in ein paar Jahren - im positiven Sinne - komplett zu explodieren und noch größere Bühnen/Venues zu füllen. Schon jetzt werden die Gelsenkirchener teils frenetisch abgefeiert und der Grund dafür liegt nicht nur in den energetischen Live-Shows und der sympathischen Erscheinung des Quintetts, sondern definitiv auch in der Musik, die sie anzubieten haben. In der Musik, der eine nahezu ideale Vermischung alter und neuer Metalcore-Tugenden gelingt. "Overpower" ist alles in Allem ein fantastisches Genrealbum, mit dem man sich wieder ein Stück weiterentwickeln konnte und dem Geheimtipp-Status endgültig entwachsen wird. In Deutschland gibt es aktuell niemanden, der ihnen, Popularität my ass, im musikalischen Sinne das Wasser reichen oder gar den heimischen Metalcore-Thron streitig machen kann.



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Pascal Staub (13.03.2019)

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