FERRIS MC - Wahrscheinlich Nie Wieder Vielleicht

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VÖ: 08.03.2019
Bandinfo: FERRIS MC
Genre: Rock
Label: Arising Empire
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Lineup  |  Trackliste

Dienstag, der 11. September 2001. Eine jüngere Ausgabe des Verfassers dieser Zeilen ist dank Unterrichtsausfall relativ früh von der Schule zuhause. Früh genug, um nach kurzem Mittagsschlaf die damals aus Routine verfolgten allnachmittäglichen Sendungen auf den "Musik-"sendern MTV und VIVA während der Vorbereitung auf die am nächsten Tag stattfindende Englischklausur laufen zu lassen. Live auf MTV zu Gast: FERRIS MC. Dieser ist spürbar mies gelaunt und raunzt die Moderatorin unzufrieden an, als diese einen Videoclip von NELLY FURTADO ankündigt. Kurz darauf wird der Bildschirm schwarz, der Rest ist Geschichte. 

Das Bild von dem motzenden, meckernden, arroganten und aggressiven FERRIS MC ist das Bild, was sich bei mir eingebrannt hat. Nicht nur bei obigem, schicksalshaften Auftritt, sondern auch bei diversen anderen, noch immer in diversen Portalen aufzufindenden Gelegenheiten. Gleichzeitig manifestierte sich in ihm das Bild, welches ich damals von der gesamten Hip Hop Szene hatte, zu der ich mich bis zum Jahre 1999 als Identitätssuchender noch selbst zählte. Man darf also gerne behaupten, dass ich in der Figur des FERRIS MC anno 2001 sämtliche Faktoren personifiziert sehe, welche mich an Hip Hop und Rap grundliegend stören. Den weiteren Werdegang von Sascha Reimann, der Person hinter der Kunstfigur FERRIS MC, habe ich aus diesen Gründen heraus nicht weiter verfolgt. Erst, als sich das kommende Album "Wahscheinlich nie wieder, vielleicht" in unserem Promocorner habe auflaufen sehen, wurde ich hellhörig. Offenbar versteckt sich in unserem Rapper eigentlich ein Rocker. Kalkül, will man meinen, bis man realisiert, dass Reimann zuvor bei den Erfolgsgiganten von DEICHKIND in festem Engagement verankert war. Meine Wenigkeit kennt zwar keinen einzigen Song dieser Kapelle (zumindest vom Namen her), allerdings ist mir der Bandname geläufig genug, um zu wissen, dass es sich hier um Marktführer, um Headliner auf ihrem Gebiet handelt. Somit darf Reimanns Schritt aus dieser Sicherheit hinweg an dieser Stelle bereits als mutig bezeichnet werden. Ein etwas älteres Video von Reimann zeigt ihn mit Stefan Raab im Zuge eines Songcontests, auf dem er brühwarm auf die Frage nach seinen musikalischen Einflüssen SKID ROW antwortet. Auf Namen von Rappern wartet man vergeblich. Faktisch darf man ihm die Authentizität seiner Rockaffinität abnehmen. Aber wie klingt nun ein Album eines Künstlers, der bislang selbst, Einflüsse hin oder her, keine Erfahrung im Songwriting mit dem Rock Gerne aufweist? Und ich persönlich frage mich natürlich auch, ob ich es 18 Jahre später mit der gleichen, negativ verankerten Kunstfigur wie damals zu tun habe? Oder ob ich mein Bild Reimann und FERRIS MC gegenüber revidieren muss?

Musikalisch eingezimmert wurde das Album von der Indie-Rock Band MADSEN. Das Klangbild des Albums allerdings hat mit Indie-Rock (glücklicherweise) recht wenig zu tun. Vielmehr kann man das Songmaterial als Mischung aus Pop Rock Songs mit Vorbild DIE ÄRZTE, und aus Punk Rock Songs mit Vorbild DIE TOTEN HOSEN beschreiben. Dazu gesellt sich eine nicht unerhebliche Menge Metal und Hardcore. Los geht es mit der "Allianz der Außenseiter", einem flotten Gute-Laune Rocker mit einer typischen Pop Punk Harmonik im Refrain. Textlich geht es darum, dass wir alle persönliche Unikate sind und damit "Anders" als "Alle Anderen", was uns alle zu Außenseitern macht, die allerdings zusammenhalten sollen. Witziger Ansatz, positive Botschaft. Passt schon einmal nicht zu meinem Bild vom personifizierten Bösen, zu welchem ich FERRIS MC erkoren habe. Noch charmanter ist das Titelstück mit seinen groovenden Alternative Riffs und diesem absolut eingängigen Ohrwurm-Refrain, welchen ich jetzt schon seit Wochen vor mich hinflöte. "Was ist aus mir geworden" hinterfragt die eigene Persönlichkeit und stellt die Frage: "Wie kannst du mir verzeihen, wenn ich bleibe, wie ich bin?". Spätestens jetzt hat Reimann den Elefanten im Raum direkt angesprochen. Den Elefanten, von dem er nicht mal wusste, dass er überhaupt existiert. Scheiße, finde ich das Ganze etwa symphatisch?

Das Thema der (Non-)Konformität zieht sich durchs ganze Album. Nicht nur die "Allianz der Außenseiter", auch der Fun-Rock-Song "Die Normalen", der emotionale Rocker "Scherben bringen Glück" und die beschwingte Pop-Nummer "Krank" behandeln alle das gleiche Thema. Uns wird ein Bild von glücklichen, gesunden, "normalen" Menschen suggeriert, welches nicht der Realität entspricht. Ein grundsätzliches Thema, welches sich durch sämtliche Facetten des Rock'n'Rolls über alle Extreme hin erstreckt. Bei "Shitstorm" wird dann New Yorker Hardcore Riffing in die Strophe gepackt, was den Härtegrad des Albums angenehm dynamisch erscheinen lässt. Den James Bond Refrain inklusive Frauenchor versehe ich zwar musikalisch nicht, eingängig isser aber trotzdem. Eine angenehm unkitschige und textlich nachvollziehbare Ballade finden wir mit "Der Teufel tanzt weiter", und gegen Ende des Albums hat sich mit "Friedhof der Kuscheltiere" noch ein waschechtes Highlight für Freunde der HOSEN und derem Überhit "Alles aus Liebe" versteckt, der melodisch zitiert wird. Wenn das Ding Live nicht abreißt, dann weiß ich nicht.

Alles super also auf Reimanns Einstand in die Gitarrenmusik? Nicht ganz. Die Produktion fällt insgesamt etwas dumpf aus. Ich will nicht mutmaßen, ob der Rapper aus Gewohnheit den Bass unnötig in die Höhe gerissen hat, allerdings tönt der Sound in den Tiefen undifferenziert und zu dominant. Gleichzeitig könnten die Gitarren ein wenig mehr Präsenz vertragen. Songwriterisch haben sich neben den durchaus vorhandenen Hits auch ein paar Gurken eingeschlichen. Die Anarcho-Fetisch Fantasie Romanze "Amok Amok Amok" ist schon schwer plump geraten. Fast so wie der Songtitel "Mein Herz hat 'ne Knarre". Besagtes Herz darf dann im Refrain tatsächlich "Bumm Bumm Bumm" machen und alle "um um um"-bringen. Und der Rausschmeißer "Fake News" treibt nicht nur durch die zackige Strophe den Härtegrad noch einmal schön nach oben, sondern auch den Fremdschämfaktor im Refrain. "Gib mir Fake News, Gib mir, gib mir Fake News! Gib mir Fake News, Fa-Fa-Fa-Fa-Fake News". So reflexiv, ironisch, versiert, humoristisch, sarkastisch, intelligent und symphatisch sich Reimann auf der ersten Albumhälfte gibt, desto härter fällt die Einfallslosigkeit von solchen Wischi-Waschi-Texten ins Gewicht. Fast so, als ob sich der gereifte Sascha Reimann mit seinem Alter Ego FERRIS MC aus frühen Tagen rumkämpfen muss. 

Fazit: Für mich persönlich hatte das Frühwerk von FERRIS MC all das in sich vereint, was ich an Rap und Hip Hop verachte. Um so reuevoller muss ich mich Sascha Reimann gegenüber revidieren, denn sein Einstand in die Gitarrenmusik überzeugt durch Witz, Verstand, Symphatie und zum Teil wirklich guten Pop Punk Songs. Zum künstlerisch nachhaltigen Klassiker ist es allerdings noch ein langer Weg, sind doch manche Stücke viel zu plump. Das Album ist auf jeden Fall hörenswert, und wenn Reimann die richtigen Ansätze weiter verfolgt, dann freue ich mich ehrlich schon auf das nächste Album. Welches "Wahscheinlich nie wieder, vielleicht, oder morgen schon" erscheinen wird. 



Bewertung: 3.5 / 5.0
Autor: Christian Wilsberg (08.03.2019)

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