IN FLAMES - I, The Mask

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VÖ: 01.03.2019
Bandinfo: IN FLAMES
Genre: Melodic Death Metal
Label: Nuclear Blast GmbH
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Lineup  |  Trackliste

Bei einer Band wie IN FLAMES ist es eigentlich nicht möglich, unvoreingenommen an neues Material heranzugehen. Schließlich verdanken die Schweden ihren guten Ruf ihrer eigenen Pionierarbeit in gleich zwei musikalischen Richtungen. Mit "Lunar Strain" und "The Jester Race" brachte man in den 90ern zum allerersten Mal Melodie und Keyboard in das Gerne des Death Metals. Die Alben "Clayman" und "Reroute To Remain" hingegen sind Inspirationsgeber für damals neue Bands wie SHADOWS FALL und einem Genre, was wir heute als Metalcore bezeichnen. Doch trotz bahnbrechender Wegbereitung kehrte die Band im vergangenen Jahrzehnt ihren eigenen Kreationen, zuweilen sogar dem Metal als abstraktem Ganzen den Rücken. Somit litten vor allem die Alben "Sounds Of A Playground Fading" und "Siren Charms" nicht nur an mangelnder Härte und uninspiriertem Songwriting, sondern auch durch die Ablehnung der eigenen Fanschar. Mit "Battles" holte man 2016 zum Rundumschlag aus, der alte Bandsound der Ära "Clayman" wurde ganz offen mit Einflüssen aus Pop und Mainstream zu einer kunterbunten Wundertüte vermischt, so selbstbewusst wie lange nicht. Die Tour zu dem Album kulminierte im ersten eigenen Festival, dem "Borgolm Brinner", an dem man zwei Abende lang mit unterschiedlichen Setlists durch alle Phasen der Bandgeschichte headlinete und seinem eigenen Werk die Krone aufsetzte. Die Energie dieses Festivals soll laut Angaben der Band nun Hauptansporn hinter dem Songwriting für das neueste abendfüllende Werk "I, The Mask" dienen. Doch was bedeutet das auf kreativer Ebene?

Beim Blick auf die beiden Setlists vom "Borgholm Brinner" fällt vor allem der Fokus auf die Alben Prä-"Come Clarity" auf, selbst "The Jester Race" und "Colony" wurden mit insgesamt vier Stücken bedacht. Allen euphorischen Gedanken, die dieser Fakt bei den Fans ausgelöst hat (dem Schreiber eingeschlossen) zum Trotz, "I, The Mask" ist noch immer keine Rückbesinnung. Und die dürfen wir von IN FLAMES wohl auch nicht mehr erwarten. Die gute Nachricht: Es haben sich einige kernige Stücke auf das Album geschlichen. Vor allem das erste Drittel tritt gewaltig Arsch. Los geht es mit dem Midtempo-Kracher "Voices", welcher in bester "Clayman" Manier mit einem wuchtigen Riff und einer zermalmenden Strophe punktet. Wenn Anders Fridén im Prä-Chorus zu seinem wuchtigen "...written on these waaaaaalls" ausholt, dann schießt die Faust unkontrolliert nach oben. Der (wie auf allen Stücken des Albums) clean gesungene Refrain überzeugt mit seiner simplen, aber effektiven Hookline. Ein perfekter Einstieg. Das folgende Titelstück geht geschwindigkeitstechnisch in die Vollen und drückt mit mächtigen Thrash Riffs ins Gebälk. Im Refrain wird es dann etwas moderner, punkiger, metalcoreiger, ohne dass darunter der Punch leidet. "Call My Name" zeigt einen Fridén in absoluter Bestform, mit sirenenartigem Gesang in allerhöchsten, und dennoch kräftigst vorgetragenen Sphären. Auch die Melodien sitzen perfekt! Und wenn dann zu "I Am Above", dem absoluten Nackenbrecher schlechthin, angesetzt wird, dann wähnt man sich als Fan der kreativen Hauptphase der Band im metallischen Paradies! Und dennoch!

Das musikalische Spektrum geht nicht erst seit den letzten Alben über den Melodic Death Metal hinaus. Zu der modernen, alternativ rockenden Phase der letzten Jahre gesellt sich auf "I, The Mask" vor allem eine getragene, balladeske Ausrichtung. Auch wenn "Follow Me" zwischendrin mal Gas gibt, ist es im Grunde genommen die erste von gleich vier (!) Balladen auf dem neuen Album. Qualität hin oder her, das ist zu viel. "Follow Me" mag im Refrain zwar die Double Bass auspacken, aber die Zarten (und schönen) Akustikgitarren im Intro und in der Strophe charakterisieren das Stück ganz klar als Ballade. Die Melodien gehen unter die Haut, die Gänsehaut stellt sich ein. Damit passt hier alles. Aber dennoch. Bei "In This Life" wird munter geschunkelt. Nie waren die Schweden so nah am melodischen Power Metal europäischer Prägung wie hier. Ich spreche es aus: Ich muss an FREEDOM CALL und "Flame In The Night" als Vergleich denken. Spätestens hier werden sich die Geister scheiden. "All The Pain" geht eindeutig in die "Siren Charms" Richtung, mit allen negativen Assoziationen, die man beim Titel dieses Albums schon mitbringt. Die vierte und letzte Ballade dient zugleich als Rausschmeißer, "Stay With Me". Hier dominieren wieder die akustischen Gitarren, die Melodien treffen wieder ins Schwarze. Man ist geneigt zu sagen, es handelt sich um die beste Ballade seit "Come Clarity". Und dennoch!

Denn auch im verbleibenden Drittel wird die Härteschraube nicht mehr berührt. Okay, da ist mit "Burn" ein schneller Moshpit-Katalysator. Allerdings wird dieser Song von einem subjektiv total missratenen Refrain in den Keller gezogen. Wo sonst bei IN FLAMES ein feines Gespür für Melodik und Hooks besteht, hat man hier das Gefühl, dass der Refrain melodisch am harmonischen Grundaufbau des Songs vorbei geht und irgendwie in einer eigenen, versetzten Harmonik spielt. Das mag zwar kreativ sein, klingt aber einfach nicht gut. Besser macht das der moderne Melodic Metal Song "House", bei dem die Kinderchöre aus "The End" vom letzten Album "Battles" ein Comeback feiern. Temporeich, spaßig, eingängig! Hit! Bleiben noch zwei wieder sehr langsame und getragene Stücke. "We Will Remember" klingt wie eine Mischung aus HELLOWEENs "I Want Out" und HAMMERFALLs "At The End Of The Rainbow". Sicherlich beides Klassiker für sich gesehen, aber im Kontext eines IN FLAMES Albums eher fehl am Platz. Mit "Deep Inside" wartet dann noch ein weiterer "Siren Charms" Ableger auf den Hörer. Zwar einer der besseren Sorte, also irgendwo zwischen "Rusted Nails" und "Dead Eyes" einzuordnen. Aber dennoch!

Fazit: Jeder setzt seinen Maßstab individuell. Dieser Rezensent hier misst das Ergebnis an der von der Band vorgegebenen Intention des Albums - welche da wäre, die Fan-Energie des eigenen Festivals im Songwriting umzusetzen. In diesem Falle ist die Qualität des Endproduktes maximal als mittelmäßig einzustufen. Mit dem furiosen Beginn übertreffen IN FLAMES die eigens gestellten Anforderungen. Ab Song Nummer Fünf klingt "I, The Mask" allerdings so, als hätten die Jungs sich mitten in den Aufnahmen umentschieden, um zu sagen: "Komm, lass uns noch ein "Siren Charms" machen! Diesmal zeigen wir´s denen, dass wir´s tatsächlich können!". Wäre das der von Anfang an kommunizierte Ansatz gewesen, dann Glückwunsch, die Songs sind alle ähnlich, aber spürbar besser als auf dem eindeutigen Lowlight der bisherigen Karriere. Aber Energie, das eigentliche Ziel, klingt anders. Damit ist "I, The Mask" zwar kein Totalausfall, aber auch alles andere als ein Meilenstein geworden. 

p.s.: Im Jahre 2014 hatte "Siren Charms" von mir 3,5 von 5 Sternen als Note erhalten. Aber keine Bange, hier sprach in erster Linie meine kindliche Euphorie, endlich mal eine IN FLAMES rezensieren zu dürfen. Nachträglich würde ich dieses Werk mit maximal 1,5 Sternen bewerten. Somit ist "I, The Mask" trotz der auf den ersten Blick niedrigeren Note das deutlich bessere Album.

 



Bewertung: 3.0 / 5.0
Autor: Christian Wilsberg (22.02.2019)

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