IN THE WOODS... - Cease The Day

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VÖ: 23.11.2018
Bandinfo: IN THE WOODS...
Genre: Avantgarde Metal
Label: Debemur Morti Productions
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Lineup  |  Trackliste

Es waren stürmische Zeiten, denen sich die norwegisch-britischen Düsterheimer IN THE WOODS… in den zwei Jahren seit dem überragenden Comeback „Pure“ ausgesetzt sahen. Nach damals 17-jähriger Platten-Abstinenz überraschten die Botteri-Brüder mit der Hinzunahme des Ausnahmemusikers und Multiinstrumentalisten James „Mr.Fog“ Fogarty (EWIGKEIT, JALDABOATH, OLD FOREST) und einem Album, das keine Wünsche offen ließ - bei gleichzeitiger Treue zu den eigenen Wurzeln. Und so wie jedes Album der Combo aus Kristiansand bislang auch immer eine Art Katharsis für die Musiker darstellte, so sollte auch „Cease The Day“ wieder mal zum ultimativen Nerventest für das nunmehr einzig verbliebene Gründungsmitglied Anders Kobro werden. Denn plötzlich waren sie weg, die eigenwilligen und teils sehr introvertierten Botteri-Brüder Christian und Christopher. Und IN THE WOODS…  wären anno 2018 so oder so nicht mehr dieselbe Band wie zu Zeiten von „Omnio“, mit oder ohne ihnen.
 
Ein paar ewig Gestrige, denen zufolge eine Band gefälligst immer gleich zu klingen hat - und gefälligst, wenn es denn geht, dann natürlich auch gleich nach der jeweils stärksten Platte - und die nicht verstehen wollen, dass sich eine Band weiterentwickeln will – nein: muss! – die werden jetzt wahrscheinlich wieder sagen „Was ist aus denen bloß geworden!?“. Tja, was denn nun eigentlich? Nach mehrmaligem Hören von „Cease The Day“ (irgendwann drückt man eh automatisch die Repeat-Taste) kann ich zumindest für mich sagen: verdammt viel, und verdammt Spannendes. James Fogarty mag nicht der beste, nicht der charismatischste Frontmann der Welt sein, wenn es um Live-Performances geht, aber wie man einen nachhaltigen Song schreibt und arrangiert, wie man Pathos gänzlich unpathetisch einsetzt, das weiß er wohl. Und dank Anders Kobro durfte er hier zwar seine durchaus bekannten Duftmarken setzen (wer EWIGKEIT kennt, wird hier so manch Vertrautes finden), aber immer im abgesteckten Claim des Bandspektrums, irgendwo an der Schnittstelle von Epic Death- und Progressive-Metal, garniert mit ein wenig Avantgarde.  
 
Das schlägt sich vor allem in den oft mehrstimmigen Gesangspassagen nieder, die nicht nur einmal für Gänsehaut sorgen, dazwischen feixt Mr.Fog durchaus blackmetallisch, keift aber – verglichen mit Ur-Sänger Jan Kenneth Transeth – immer noch im auralen Wohlfühlbereich. Der neunminütige Opener „Empty Streets“ verblüfft hier auch gleich mal mit der ganzen eben erwähnten Palette an Sounds. Kobro schlagwerkt souverän und songdienlich, der Rest wurde weitgehend von Fogarty unter Zuhilfenahme von jungen Studiomusikern eingeklimpert, wabernde Hammond-Orgeln im Hintergrund inklusive. Zwar offenbart sich bei jedem Song irgendwann ein recht einfaches Strickmuster, das natürlich ein wenig vorhersehbar wird, dennoch bleiben die Songs immer spannend. „Substance Vortex“ biedert sich ein wenig dem Post-Metal an, auch hier erhabene, fast ätherische Gesänge, und das Riffing ist gleichsam rudimentär wie visionär. Fast klassisch tönt „Respect My Solitude“, symphonisch getragen schleppt sich der Song über sechs Minuten, die Melancholie wird nur hier und dort abrupt durchbrochen von Schwarzmetall-Geschepper in adäquaten Dosen. 
 
„Cloud Seeder“ beginnt ominös mit Piano und entfaltet im Laufe der nächsten Minuten fast schon Hit-Charakter. Die markanten, manchmal auch nett zweistimmigen Gitarren-Riffs dominieren auch hier das Geschehen, dieser Track wird live ein Headbanger und Mitklatscher erster Güte, soviel steht fest. Das auch fast neunminütige „Still Yearning“ versteht sich als Reminiszenz an den Opener des allerersten IN THE WOODS…-Albums „Heart Of The Ages“ (1995), klingt zumindest zu Beginn dementsprechend oldschool (und komischerweise auch irgendwie nach PARADISE LOST), hat etwas vermeintlich Doomiges, ist aber insgesamt auch leider das unspannendste Lied im Kontext, obwohl immer noch weit über dem regulären Durchnittsbrei. Bei „Strike Up With The Dawn“ gibt’s wieder vermehrt Trademarks von Mr.Fog, der die Dramatik im Song gewitzt mit ein paar Chellos und Geigen aufzupeppen weiß. Niemand wird je ergründen, warum „Trancending Yesterdays“ mit einem künstlichen Live-Publikum versehen wurde (immerhin dreht sich die Thematik um die Love/Hate-Beziehungen von Musikern auf Tour), was der Strahlraft des Songs aber keinen Abbruch tut. Die abschließenden „In The Woods“-Schreie sind augenzwinkernde Selbstbeweihräucherung wie Dank ans Publikum gleichsam, die provozierte Live-Situation gibt dem eh schon offen-strukturierten Sound nochmal mehr Raum, bevor der Titelsong in Form eines Outros das Thema des Openers nochmal aufgreift.
 
Eigentlich können wir ja unter den oben erwähnten Umständen froh sein, dass es „Cease The Day“ und IN THE WOODS… überhaupt (noch) gibt, andererseits kann man schön den Sprung von „Pure“ in die nächste Schaffensphase der Band beobachten. Die, die immer dann schreien, wenn etwas nicht so klingt, wie es die eigenen, beschränkten Hörparameter bestimmen, sollen zu anderen Platten greifen. Der (überwiegende) Rest darf sich diese erhabene Scheibe gepflegt ins Gehör pfeiffen, die trotz Blicken in die Vergangenheit visionär in die Zukunft schielt und im auslaufenden Jahr noch ein sehr großes Ausrufezeichen setzen kann. Ein Werk, auf das man sich guten Gewissens voll und ganz einlassen darf, weil es irgendwann sowieso süchtig macht.



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Mike Seidinger (23.11.2018)

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