KALMAH - Palo

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VÖ: 06.04.2018
Bandinfo: Kalmah
Genre: Melodic Death Metal
Label: Spinefarm Records
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Lineup  |  Trackliste  |  Credits

Eine Diskografie ohne nennenswerte Schwächen ist wohl für viele Bands das musikalische Utopia schlechthin. Besonders dann, wenn man schon seit gefühlten Urzeiten sein Unwesen treibt, dadurch möglicherweise betriebsblind wird und mit jeder weiteren Songwriting- bzw. Studiosession ungewollt die Stagnation einkehren lässt. Per Ferndiagnose lässt sich natürlich nicht zweifelsfrei feststellen, ob die Finnen KALMAH unmittelbar vor einer solchen künstlerischen Misere standen und kurz davor die mahnenden Zeichen erkannt haben oder nicht, aber genauso hoch, wie das Bäumchen auf dem Artwork ihres neuesten Werks gen Himmel ragt, sind die fünf Swamplords seit ihrer Gründung im Jahre 1998 die Karriereleiter emporgeklommen - ohne künstlerische Dürreperioden in Form von schlechten Alben (manch einer würde "For The Revolution" vielleicht als schwächelnd bezeichnen) oder längere Abstinenzen jedweder Art. Da kann eine solche Kreativpause wohltuend ausfallen und so sind seit der großartigen "Seventh Swamphony" immerhin fünf Jahre vergangen, die KALMAH sicherlich gut taten und beim Komponieren von "Palo", dem achten Studioalbum, das vor wenigen Tagen erschienen ist, geholfen haben könnten.

Und dass man sich solchen Luxus leisten kann, wenn man nebenher zumindest noch ein paar Live-Shows einschiebt, ist selbstverständlich auch der eigene Verdienst der letzten Jahre. Entfremdungsgefahr besteht bei KALMAH sowieso nicht, da sie sich stilistisch so selbstbewusst ihren eigenen Markenzeichen verschrieben haben, dass man im Grunde schon zum Release von "12 Gauge" (oder noch früher) wusste, was einen auf dem nächsten, übernächsten und überübernächsten Album erwarten würde. Bei "Palo" ist das nicht grundlegend anders: Man legt mit "Blood Ran Cold" gewohnt hymnisch-eingängig los, zieht in "World Of Rage" nach melancholischem Keyboard-Intro das Tempo wie auch die Schwierigkeitsstufe der Leads weiter an und interpretiert zwischendrin ("Evil Kin") noch das wohl metallischste Hip-Hip-Hooray, das man je zu hören bekam. Moment, was? Genau, aber ein bisschen eigentümlich waren die Herrschaften aus Oulu ja schon immer. Letztlich trägt auch das zur Eigenständigkeit bei.

Warum KALMAH trotzdem immer wieder tolle Alben veröffentlichen und nicht als - wie man so schön sagt - Selbstkopie versumpfen, liegt auf der Hand: Man hat sich seit dem Debüt, und sei es nur im technischen Bereich, stets weiterentwickelt. Längst ist man nicht mehr so sehr auf das dominante Keyboardspiel, das dennoch seine Reize hat, fixiert, sondern arrangiert mittlerweile gitarrenlastigeres Material, das von den Synthesizern so beispielhaft weil songdienlich wie im schwermütigen "Take Me Away" oder im düster-besonnenen "The Stalker" komplettiert wird. Diese beiden Stücke sind im Übrigen auch exemplarisch dafür, dass man bei all der spielerischen Raffinesse auch die Atmosphäre nicht vernachlässigt, aber das ist vielleicht auch ein ganzheitlich finnisches Phänomen, wofür wir Bands wie KALMAH, AMORPHIS, INSOMNIUM oder auch ETERNAL TEARS OF SORROW, so unterschiedlich sie stilistisch zum Teil auch sein mögen, schätzen.

Ein Phänomen, das speziell KALMAH bzw. die Kokko-Zwillinge betrifft, ist die eigentlich unfassbare Flut an hochkarätigen Gitarrenharmonien, Licks, Leads, Riffs und was-weiß-ich-nicht-alles, die auch während "Palo" wieder über einen hereinbricht und vor allem im Dreierpack aus "Waiting In The Wings", "Through The Shallow Waters" und "Diverge And Erase" kurz vor dem bereits erwähnten Grande Finale beeindrucken kann. Die beiden Herren haben den Axtkampf vollständig gemeistert und gehören längst zu den charakteristischsten und begnadetsten Gitarristen in einer finnischen Szene voller Hochbegabter (nicht umsonst ist es das Land der tausend Gitarristen, nicht wahr?), in der auch die Qualitätsdichte einfach nur erschreckend hoch ist.

Natürlich fällt es einem bei den immergleichen Verdächtigen irgendwann schwerer, zum wiederholten Male in Jubelarien auszubrechen und mit hohen Wertungen um sich zu werfen, weil man auch um eine gewisse Aussenwirkung weiß, aber es gäbe momentan eben nur eine einzige Alternative dazu: keine finnischen Bands mehr hören. Eine ernsthafte Option ist das für meine bescheidene Wenigkeit aber nicht, weil dann ein erheblicher Teil wegbrechen und man großartige Alben wie "Palo" einfach übergehen würde. KALMAH feiern ihr 20-jähriges Jubiläum (hatte ich das überhaupt schon erwähnt?) also mit zehn hervorragend ausgearbeiteten und ausgeschmückten Harpunen zwischen technischer Expertise und Raserei, finnischer Melancholie und fantastischen Melodien, mit denen sie zuletzt schon durch heimische Sumpfgefilde wüteten und bald hoffentlich auch wieder die deutsch-österreichischen bzw. europäischen Bühnen (man soll ja nicht egoistisch sein) bereichern werden.



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Pascal Staub (02.05.2018)

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