VELVET VIPER - Respice Finem

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VÖ: 16.03.2018
Bandinfo: VELVET VIPER
Genre: Melodic Power Metal
Label: GMR Music Group
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Lineup  |  Trackliste

Er starrt mich an. Seit Stunden. Nickend, mit vorwurfsvollem Blick. Ich spüre seinen bohrenden Blick, während ich diese Zeilen schreibe. Sklaventreiber. De-Motivator. Ausgeburt der Hölle. 

Ich träume davon, ihn aus dem Fenster unseres luxuriösen Stormbringer-Loftes im 8. Stock zu werfen, während ich IRON MAIDENs „Flight Of  Icarus“ gröle. Vielleicht werfe ich ihn tatsächlich aus dem Fenster, um zu sehen, ob er dann immer noch vorwurfsvoll nickt, der verdammte Wackeldackel auf der Kommode vis á vis. Vermutlich würde er, und das zu Recht: Ich sitze schon zu lange an dieser Review. Zu meiner Verteidigung sei angeführt, dass es viel, sehr viel, zu VELVET VIPER zu schreiben gäbe, womit sich auch ein zeitliches Problem ergibt, aber derartige Problematiken interessieren den Wackeldackel nicht. Ich gebe auf und beende meine Review.

80er /90er Jahre: ZED YAGO / VELVET VIPER

Die mit Stimmgewalt gesegnete Jutta Weinhold wusste vor 30 Jahren, was selbst Großmeister Richard Wagner verborgen geblieben war: Der Fliegende Holländer hatte eine Tochter namens Zed Yago. Der Name des begattungswilligen Weibes, das sich auf modernden Planken dem verwelkten, aber offensichtlich potenten „Fliegenden Holländer“ lechzend hingab, bleibt weiterhin in Nebel verhüllt, er ist letztendlich auch nicht von Belang. Von Belang ist hingegen die Tatsache, dass Jutta Weinhold des Fliegenden Holländers Tochter aus der Verborgenheit holte und in ihrem Namen in See stach.

Zwei erfolgreiche Veröffentlichungen („From Over Yonder“, 1988, und „Pilgrimage“, 1989) ließen in den 80ern / frühen 90ern die Metal-Community heiß laufen, ein immer stärker werdender Wind der Begeisterung befeuerte die Segel ZED YAGOs. Doch wer Wind sät, wird Sturm ernten, ließ Gott in alten Zeiten die Menschen wissen. Der Sturm, der sich über Jutta Weinhold zusammenbraute, war zu heftig, um ihm standzuhalten: Ein Sturm juristischer Art, der sich um Namensrechte drehte und Jutta Weinhold letztendlich zwang, ZED YAGO stillzulegen. Der Geist ZED YAGOs ließ sich jedoch weder antäuen noch stilllegen, sondern lebte in Jutta Weinhold weiter, sodass man die als ZED YAGO eingeschlagene Erfolgsroute unter dem Namen VELVET VIPER fortsetzte. Die samtene Giftschlange bescherte ihren AnhängernInnen die Alben „Velvet Viper (1990)“ und „The 4th Quest For Fantasy“ (1992), bevor sie sich zurückzog und in einen tiefen Schlaf fiel, der selbst Dornröschen zur Ehre gereichen würde.

2018: „Respice Finem“, die Rückkehr der Queen of Dramatic Metal.

Während sich Jutta Weinhold auf verschiedenen musikalischen Terrains verwirklichte, schlief das Projekt VELVET VIPER weiterhin den Schlaf der Gerechten – bis 2017, als Jutta Weinhold, unbemerkt von der ZED YAGO / VELVET VIPER immer noch nachtrauernden Fangemeinde, die Giftschlange aus dem Tiefschlaf erweckte und sich 2018 mit dem Album „Respice Finem“ zurückmeldete.

VELVET VIPER offerieren mit „Respice Finem“ ein reifes, zuweilen erdiges, aber vor allem persönliches Album, das Jutta Weinholds Erfahrungen kumuliert. Wenngleich „Respice Finem“ mit den von früheren VELVET VIPER / ZED YAGO-Veröffentlichungen bekannten wunderbar packend-eingängigen Melodiebögen und Refrains punktet, umschifft die Band die Versuchung, eine Kopie der 80er/90er ZED YAGO / VELVET VIPER zu kredenzen.  

Mit „Don´t Leave Before Wintertime“ und dem ohrwurmverdächtigen „Shadow Ryche“ beginnen VELVET VIPER mit starkem Powermetal-Einschlag und ZED YAGO-würdiger Eingängigkeit, bevor sich der großartige zehnminütige Titelsong entfaltet: gebannt folgt man dem Gitarren-Intro, die ersten gesungenen Zeilen bescheren Gänsehaut, die Emotionen steigern sich, je näher man dem ersten Refrain kommt, und mit einem Mal wird dem Hörer bewusst, wie sehr sie gefehlt haben, Jutta Weinhold und ihre Mannen. „Respice Finem“ ist ein kraftvoller Song mit leicht melancholischen Momenten und einem ausgiebigen, mehrere Minuten dauernden Solo, das trotz seiner Länge nicht eine Sekunde krampfhaft wirkt. Der Titelsong lässt keine Zweifel offen: die einstige Queen of Dramatic Metal ist triumphal zurückgekehrt und hat sich ihren rechtmäßigen Platz auf dem Dramatic Metal-Thron zurückerobert.

Während Epik, Dramatik und die unvergleichliche Stimme Jutta Weinholds auch die nachfolgenden Songs dominieren, ziehen, beginnend mit "Fraternize With Rats", mit Düsternis geschwängerte Wolken herauf. Die Riffs werden abwechslungsreicher und trotz Mitgröl-Refrains bedürfen die Songs mehrerer Durchläufe, um ihre hypnotisierende Wirkung vollständig zu entfalten. 

Nun mag der Zuhörer dem Album einen gewissen Retro-Touch attestieren und liegt damit nicht ganz falsch, das mindert jedoch in keiner Sekunde das Hörvergnügen, zumal die qualitative Messlatte auf „Respice Finem“ nicht nur hoch angesetzt, sondern auch bis zum letzten Song konsequent gehalten wurde. 

Fazit

Die vom Geiste ZED YAGOs beseelte samtene Schlange schlängelt sich wieder durch die metallenen Landschaften und liefert mit "Respice Finem" ein persönliches, mitreißendes Album, das bei durchgängiger Epik abwechslungsreich und herausfordernd zu gefallen weiß. Wer sich fragt, warum Jutta Weinhold vielen als eine der weltbesten Rocksängerinnen gilt und "weiblicher Ronnie James Dio" genannt wird: "Respice Finem" offeriert die Antwort.

"Respice Finem" – ein Pflichtalbum, nicht nur für Powermetal- und Dramatic Metal-Fans.



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: Wolfgang Milchrahm (03.11.2018)

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