Long Distance Calling - Boundless

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VÖ: 02.02.2018
Bandinfo: LONG DISTANCE CALLING
Genre: Post-Rock
Label: Inside Out Music
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Lineup  |  Trackliste

Schon immer zog sich eine gewisse Verträumtheit durch das Werk der Münsteraner LONG DISTANCE CALLING, die jedoch bisher vollkommen ohne die rosarote Brille der Beschönigung auskam. Das ferne Ufer, der Blitz am Horizont, das Flüstern in den Wäldern – stets verkörpert das Quartett den (meist) instrumentalen Einblick hinter die überwältigende Masse der Ungewissheit und lässt den Hörer einen Blick auf das erhaschen, was er eigentlich gar nicht sehen will. Dabei gelingt die Entzauberung fremder Welten genauso präzise wie das Wecken neuer Faszination, die sich aus dem genaueren Blick auf wunderschöne, aber ebenso wilde musikalische Landschaften ergibt. Kurz gesagt: Meine Begeisterung für LONG DISTANCE CALLING ist seit langem so hoch, wie es mein Respekt vor der Leistung der Band ist, immer wieder aufs Neue unergründliche Reisen zu entwerfen, in denen der Hörer dem Risiko ausgesetzt ist, sich zu verirren und nie wieder zurück zu finden. Aber wer will das auch schon?

Mit „Boundless“ präsentieren LONG DISTANCE CALLING ihr sechstes Studioalbum in einer mehr als zehnjährigen Bandgeschichte; und ich ahne, sagen zu müssen, dass es eines meiner liebsten werden könnte. In knapp 49 Minuten, die mit insgesamt acht Songs gefüllt werden, fängt die Band eine einzigartige Stimmung ein, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk zieht. Nahezu durchgehend manifestiert sich ein klares Bild stürmischer Küsten und tiefer Wälder, die unergründliche Geheimnisse bergen, vor dem inneren Auge des aufmerksamen Zuhörers. LONG DISTANCE CALLING schaffen es wie selten, den Geist des ‚Fernweh‘ und der respektvollen Neugierde auf die weißen Flecken einer Landkarte musikalisch zu bedienen.

Einzelne Tracks hier herauszulösen, hätte wenig Sinn. Der fliegende Wechsel ungebändigter Passagen mit zarten, fast schon zerbrechlich wirkenden Riffs, die gekonnt in den dunklen Grundtonus der Platte eingewoben werden, finden sich nahezu in jedem Song. Allein das neunminütige „Out There“ gibt einen strukturellen Vorgeschmack auf das, was in „Boundless“ steckt. Um den Geist des Albums hier nicht zu brechen, belasse ich es auf der atmosphärischen Seite dabei und rate jedem an, den wohlig kühlen Moment in der Gischt des herannahenden Sturms selbst zu erleben.

Musikalisch gilt es jedoch, zwei Einzelstücke hervorzuheben, die mich in Sachen Songwriting und Melodie nachhaltig beeindruckt haben. Zunächst wäre hier „Like A River“, das durch den durchgehend prasselnden Einsatz der Snaredrum und das fließende Songwriting titelgetreu die musikalische Manifestation eines Flusses darstellen könnte. Wenn man sich in der wohltuenden Monotonie verliert, würde man um ein Haar den Einsatz der Streicher verpassen, die dem gesamten Song eine neue Note verpassen.

Absolutes Highlight ist jedoch „The Far Side“: Wie kein anderer Song auf „Boundless” fängt er ein klares Bild ferner Orte ein, die durch gleichzeitig bedrohliche, aufregende, aber auch hoffnungsvoll-melancholische Elemente den Geist des Reisenden in jedem wecken, der ein wenig Fantasie mitbringt.

Die Verträumtheit von LONG DISTANCE CALLING kommt auf „Boundless“ erneut zu einigen Höhepunkten. Der gekonnte Wechsel von Tempo, Stil und Atmosphäre entwirft auch ohne Text ein gleichzeitig angenehm verschwommenes, aber auch faszinierend detailliertes Bild einer musikalischen Vision. Alpträume sind eben auch nur Träume, und die Realität nur zu roh für das eigentliche Gefühl.



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Lucas Prieske (01.02.2018)

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