CANNIBAL CORPSE - Red Before Black

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VÖ: 03.11.2017
Bandinfo: CANNIBAL CORPSE
Genre: Death Metal
Label: Metal Blade Records
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Lineup  |  Trackliste  |  Credits

Zu CANNIBAL CORPSE und ihren 29 Lenzen liessen sich in einer Review vortrefflich und natürlich in allerbester Promotion-Manier allerlei stumpfsinnige Plattitüden schwingen, aber dafür muss man - danke, Internet! - heutzutage nicht mal mehr selbst tätig werden. Scheinbar fand man da auch zum anstehenden Release von "Red Before Black" (nicht zu verwechseln mit dem Politmeme "Better Dead Than Red") keine Ausnahmeregelung, denn: „Die Florida-Death-Legende kehrt zurück [...]“, „CANNIBAL CORPSE ist irgendwie wie eine Kiste mit "Pink Lady"-Äpfeln. [...]“ (ich schäme mich zutiefst dafür, solch einem Schwachsinn überhaupt einen Klick spendiert zu haben) oder „Bratwurst-George und seine vier Metzgermeister mit neuem Schlachtwerkzeug [...]“ (okay, ich gestehe, dass ich das nur nachempfunden habe, um mir einen gemütlich warmen Sessel im CORPSE'schen Bestattungs-, ehm... Marketingunternehmen zu sichern, damit ich nicht selbst zum Opfer auserkoren werde) sind aktuell ziemlich hoch im Kurs der Qualitätsuntiefen, die ich aufgrund der Tatsache, dass CANNIBAL CORPSE schon deutlich älter als meine Wenigkeit sind und einem da als Miniatur-Journalist irgendwann auch mal die Inspiration für Querverweise, Wortspiele, etc. pp. ausgehen kann, fast (aber auch wirklich nur fast) entschuldigt hätte, aber eben nicht im Falle dieses dreiviertelstündigen Massakers.

Warum ich mit dem Haus in die Tür falle? Weil CANNIBAL CORPSE das auch tun. Und zwar so sehr, dass mich während "Only One Will Die" anfangs noch das unwohle Gefühl beschlich, dass hier Pfusch betrieben wurde und dadurch das Promomaterial falsch getaggt sein könnte (das wäre Hochverrat), weswegen ich es hier tatsächlich mit "Firestorm Vengeance" zu tun gehabt hätte, weil mir mein Bauchgefühl zudem nahelegte, dass es sich ungefähr so anfühlen müsse, wenn man sich selbst einem Flammenwerfer-Peeling unterziehen würde. Kein Zweifel: dieses Thrash-Blutbad leitet eine Sternstunde ein, die selbst in der ohnehin schon prunkvollen Totenhalle der Herren Corpsegrinder, O'Brien und Co. noch für tiefroten Hochglanz sorgt und nicht nur ihresgleichen, sondern auch jede Menge sterbliche Opfergaben sucht.

Ich weiß, das liest sich jetzt auch ein wenig dick aufgetragen, aber "Red Before Black" kastriert nicht nur die letzten geilen Alben (im Grunde haben CANNIBAL CORPSE eh noch nichts Schlechtes veröffentlicht), sondern rückt auch den bandeigenen Klassikern mit vielen seltsam spitzen Gegenständen gefährlich nahe auf den Pelz, weil es in seinen circa 46 Minuten einfach keine Unterbrechungen macht und dabei ein Killer-Riff an das nächste reiht, bei denen man, zuhause zunächst mit lässig-unerschrockener „Corpse überraschen nicht mehr, machen aber immer noch geile Mucke“-Attitüde im Sessel Platz genommen habend, nicht selten so überwältigt wird, dass man unter deren beängstigendem Einfluss sogar einen Mord vor Gericht gestehen würde, den man überhaupt nicht begangen hat. Faszinierend. Und wahrlich kein geeignetes Territorium für „verletzte, übersteigerte Egos“ aus dem Innsbrucker Raum.

Wenn CANNIBAL CORPSE ihr ungefähr 500-teiliges Deluxe-Messer-Set auspacken und es einem fein säuberlich präsentieren, kann einem ja ohnehin schon mal feucht in den Augen (und Ohren) werden, aber "Red Before Black" ist in allen Belangen ein Next-Level-Erlebnis, für das man sich alle, aber wirklich alle Trademarks geschnappt und diese bis zur tödlichen Perfektion getrieben hat: Der Einstieg mit "Only One Will Die" und dem Titeltrack ist ungewohnt geradlinig und thrashig, mit "Code Of The Slashers", "Shedding My Human Skin" und "Remaimed" hat man diese typischen „Okay, jetzt wollen sie mich langsam und qualvoll tö... oh, shit, sind die irre, was fuchteln die plötzlich mit dieser Kettensäge rum?“-Momente, weil Mr. O'Brien und Mr. Barrett sich auf kein bestimmtes Tempo einigen können, deshalb einfach alle Möglichkeiten implantieren und mit all ihrer Erfahrung bzw. Klasse den makellosen Hybriden schöpfen.  Und da wir eh gerade beim Thema Hybrid sind, führen wir das noch weiter aus: CANNIBAL CORPSE husten auf alle Death-Metal-Subgenres und saugen einfach alle Eigenschaften in sich auf. Man prügelt wild und martialisch auf den Schädel ("Corpus Delicti") ein, enthauptet ihn mit der Schaufel ("Heads Shoveled Off"), zerlegt ihn mit feinstem Besteck in tausende Einzelteile ("In The Midst Of Ruin"), oder lässt ihn mit Salzsäure (hat man mir so gesagt) komplett von der Bildfläche verschwinden ("Destroyed Without A Trace"). Dass man nach 29 Jahren Bestehen immer noch neue Folter- bzw. Tötungsmethoden für sich entdeckt, ist entweder beeindruckend oder bedenklich. Oder beides.

An dieser Stelle trete ich aber langsam zum Abschluss und ihr zum CORPSE'schen Rapport an. Ich hatte kurzzeitig wirklich den unglaublich "cleveren" Einfall, "Red Before Black" die Höchstpunktzahl zu verwehren, weil sich "Hideous Ichor" anfangs nicht gänzlich dem restlichen Material fügen wollte, aber nach gefühlt 50 Durchgängen ist es der beste Beweis dafür, dass CANNIBAL CORPSE nicht nur alles können, sondern auch Songs wie diesen, die ihren Willen letztlich dann doch durchsetzen und sich gegen die prominente Konkurrenz behaupten können. Damit ist zum kommenden Klassiker im Hause der Kannibalenleiche FAST alles gesagt, aber eine Sache gilt es da dann doch noch zu erwähnen, weil sie "Red Before Black" erst zu dem macht, was es ist: Die Produktion. Man hat sich nach einem Album Pause wieder zum Mordwaffenquartett-Spieleabend bei Erik Rutan selbst eingeladen und das war, so wird gemutmaßt, einer der besten Einfälle, den die fünf in ihrer ganzen Karriere hatten. Was der Mann hier abgeliefert hat, ist nicht einfach nur der geilste Gitarren- und Bass-Sound des Jahres, nein, es ist zweifelsfrei einer der geilsten, den ich jemals gehört habe. Wenn selbst ich einem Death-Metal-Album, das nach 2000 erschienen ist, ohne die üblichen Gewissensbisse die volle Punktzahl verleihe, dann nur, weil ich mich an diesem verheerenden musikalischen Massenmord einfach nicht satthören kann.



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: Pascal Staub (31.10.2017)

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