NASTY - Realigion

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VÖ: 22.09.2017
Bandinfo: NASTY
Genre: Hardcore
Label: Beatdown Hardwear Records
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Lineup  |  Trackliste

Wer sich in die musikalische Grundstimmung der belgischen Beatdown-Legenden NASTY einfühlen möchte, dem empfehle ich gern, sich liebevoll kommentierte Bilder von Überwachungskameras während des Black Friday in den USA anzusehen. Hier ein anarchischer Einblick in die heiligen Hallen des Walmart, die einer NASTY-Show schon sehr nah kommen:

Und, auf den Geschmack gekommen? Falls sich anstelle kapitalistischer Shoppingwut jetzt  ein Fünkchen Aggression gegen das konsumorientierte Establishment in euch geregt hat, seid ihr hier bei NASTY gar nicht falsch. Dieselbe Wut, die alljährlich Bürger aus allen Teilen der Bevölkerung gegeneinander richten, aus der Angst heraus, nicht genug abzubekommen, fokussieren NASTY in vielen Teilen ihrer Musik auf das Grundproblem der Verteilung von Mitteln in der Gesellschaft. Da antikapitalistischer Hardcore aber bei weitem keine Ausnahme innerhalb des Genres darstellt, warten die Belgier noch durch ein anderes unverkennbares Merkmal auf: Sie bilden sozusagen die Speerspitze in Sachen ungefilterter musikalischer Härte. (Vermutlich wird mir hier mindestens jeder dritte Leser aufgrund definitorischer Diskrepanzen widersprechen, oder als Gegenbeweis eine Underground-Band mit entsprechend dürftiger Produktion entgegenhalten, aber das übergehe ich an dieser Stelle einfach mal.)

Nach dem 2014 erschienen „Shokka“ schicken NASTY mit „Realigion“ nunmehr ihr rundestes und versiertestes Werk seit Bandgründung ins europäische Beatdown-Rennen, auf dem sie sich getreu dem Motto 'fucked up music for a fucked up world' durch 13 Tracks schnetzeln. Da eine Einzelbesprechung aller Songs meiner Meinung nach der brachialen Gewalt des Gesamtwerkes nicht gerecht werden würde, versuche ich mich stattdessen an einer songübergreifenden Betrachtung. Also was ist gleich geblieben? Sänger Matthias ist immer noch nicht ohne Mitlesen der Lyrics zu verstehen, die Musik schwankt immer noch zwischen hymnischen Gitarrenriffs mit ansehnlichem Writing und den bandtypischen Markenzeichen-Passagen, die dich im Fitnessstudio direkt 40kg mehr drücken lassen. Auch das Tempo wechselt wie gewohnt von Downtempo-Variationen mit flatternden, daumendicken Bassseiten zu atemberaubendem 180BpM Geschredder, das mit der zugehörigen Lichtshow das Ende eines jeden Epileptikers bedeutet, bevor der Moshpit überhaupt einsetzt. Bei all dem Hass gegen das System („F.Y.W.“ [Fuck Your War], „Rock Bottom“, „Realigion“, „Welle“) lassen NASTY es sich auch nach wie vor nicht nehmen, mithilfe ihres halbironischen Gangsterrap-Images („Drty Fngrz II“) durchscheinen zu lassen, dass hinter der ganzen volltätowierten und in Vollzeit fitnessaufgepumpten Wut doch eigentlich ganz sympathische Kerle stecken (man betrachte allein den augenzwinkernden Remix „Zeit“). Dennoch stellt sich „Realigion“ insgesamt etwas ernster dar, als es beispielsweise der Vorgänger „Shokka“ tat. Zwar mangelte es diesem auch nicht an sozialkritischen Aussagen, die dem Hörer gefühlvoll mit der musikalischen Nagelpistole in den Schädel implantiert wurden, doch fehlen hier gänzlich auflockernde Einlagen wie „Politessenhass“ sowie dem dazugehörigen Skit.

Was definitiv noch lobend erwähnt werden muss, sind die hochkarätigen Features auf „Realigion“. NASTY haben durch das Mitwirken von unter anderem SAND, MALEVOLENCE oder DEEZ NUTS wirklich interessante musikalische Konstellationen geschaffen, die den eigentlich sehr eigenständigen Sound der Beatdowner um ungewohnte Aspekte erweitern und das Album in Teilen weit hardcorelastiger klingen lassen als bisherige Releases.

Insgesamt ist „Realigion“ ziemlich genau das geworden, was Fans erwartet und gehofft haben: Ein einziges Brett, das die charakteristische Härte des Genres auf die Spitze (und teilweise darüber hinaus) treibt. Für alle Fans ein Muss, für alle Hater sowieso. Diese weiß-goldene Mischung satirisch pointierter Dekadenz wird auch nichts daran ändern, dass der Beatdown als Subgenre innerhalb des Hardcore ein eigener Mikrokosmos bleibt. Und das ist auch gut so.



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Lucas Prieske (15.09.2017)

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