8KIDS - Denen, die wir waren

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VÖ: 26.05.2017
Bandinfo: 8KIDS
Genre: Post Hardcore
Label: Napalm Records
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Lineup  |  Trackliste

Was kann ein Rezensent tun, wenn er sich beim ersten Probehören eines neuen Albums schwer verliebt? Wenn ihm der Atem stockt, die Tränen drücken, der Puls in die Wolken steigt? Wenn die Beine ihn nicht mehr sitzen lassen wollen, die Worte so ... dingsig, so ... ach, Mann, halt nicht mehr ... halt so ... ? Ich denke, er sollte es geschehen lassen, seine Leser jedoch darüber informieren, dass sie weniger eine Rezension als ein Liebesbrief erwartet. Dies sei hiermit getan.

 

 

Liebste 8KIDS, wundervolles „Denen die wir waren“,

 

unsere gemeinsame Zeit beginnt stimmungsvoll, spannungsreich, verheißungsvoll mit einem „Intro“, das die nicht direkt zahlreichen Klänge, die ich von euch schon hören durfte, in Erinnerung ruft. „Dämonen“ hieß die knapp-metallisch, voll-rockig, leicht-poppige Post-Hardcore-EP, die sehr wohl als gelungenes Debüt der 8KIDS gewertet werden kann.

 

Den Anfang des neuen Kapitels macht ihr mit „Bordsteinrand“ und trefft damit sofort den zentralen Ton, die Stimmung, die Essenz der 8KIDS. Sanfte, emotionale Töne voller Schwere und Tiefe mit Jonas' perfekt unperfekt brechender Stimme, die immer wieder ein wenig an die besten Momente von CASPER erinnert. Wo der Song beim Erstgenuss Gefühle der Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und falschen Entscheidungen anregt, findet man sich spätestens beim zweiten Durchgang in der ausweglos vielversprechenden Hölle am Boden eines unendlichen Schnapsglases wieder.

 

Aus der Schwere heraus geleitet der optimistischere Song „Über den Berg“ wie eine Hymne an den Neustart hinein in „Ich kann die Welt spüren“. Darin wird ein nicht ganz einfaches Wir-Gefühl beleuchtet. Beide Titel zeigen neue Facetten, neue Seiten der 8KIDS, ohne nicht mit vollster Deutlichkeit ihren eigenen Stil beeindruckend gradlinig durchzuziehen – insbesondere für ein erstes Album.

 

In den Sternen“ will in einer Welt der vollversichert-vorberechneten Zukunftssicherungsbestrebungen und Optimierungsstrebungen einen neuen Fokus finden: „Komm zurück zur Gegenwart!“ Nicht belehrend, nur vorschlagend, nicht aufbrausend, aber durchaus rockig.

 

Und dann ist da „Zeit“. „Zeit“ verleiht ohne viele Schnörkel und doch, als hätte es noch niemand zuvor gesagt, das Gefühl einer tiefen Sehnsucht danach, sich zu verlieben, zu lieben, zu trennen und daran zu verzweifeln. Die Ballade gräbt eine Trauer wieder aus, die wahrscheinlich jeder einmal erlebt hat – ob vor Jahren oder erst neulich. Das unfassbare Gefühl, ein Für-Immer zu begraben. Und das Gefühl Jahre später, dass die Zeit die Grenzen ihrer Heilungskräfte erreicht hat. Gefühl, Gefühl, so viel Gefühl!

 

Bäm! Radikaler Wechsel. Auf soft folgt hart! Eben noch Herzschmerzballade, nun punkiger Metal. Kurz, schnell und ruppig fegt „Zerbrechen“ durch den Raum wie eine Hilfe, die Trauer in Wut und diese in Energie umzusetzen, um wieder Platz zu schaffen für einen der frühesten 8KIDS-Songs. „Blitzschlag“ heißt dieser und gehört zu den mitsingbarsten, abgehfähigsten, feierbarsten Titeln von „Denen die wir waren“.

 

Geist“ ist dann das Quäntchen Pop zu viel für mich. Zielstrebig gehen 8KIDS im ganzen Album auf die Tränendrüse los, feiern – sich kein keiner Schuld bewusst – einen melancholisch-nachdenklichen Weltschmerz-Pathos. Dies wird bei vielen Lesern eines Metalmagazins wahrscheinlich längst die grenze zum Pop oder gar zum Kitsch überschritten haben. Obwohl und weil da jeder seine eigene Meinung hat, würde ich das vehement ablehnen, jedoch niemanden überzeugen wollen, der nicht überzeugt werden will. Aber bei „Geist“ – oder wenigstens bei seinem einfach zu mainstreamigen Refrain – kann ich leider nur zustimmen. Aber das ist nur einer von 13 Songs.

 

Ausgeglichen wird er schnell wieder durch „Kamintrophäe“. Darin kommt die post-hardcore- oder auch punk-typische anklagende Wut mit voller Wucht des Sarkasmus zum Tragen. Live wird dieser Song einer der beste Zeitpunkte sein, um sich in den Moshpit zu stürzen. Doch die Wut findet schnell wieder zur traurigen Lethargie. Der Folgesong „Kann mich jemand hören“ handelt von der Ausweglosigkeit und dem finalen Ausweg daraus – und der bitteren Frage nach Alternativen.

 

„Denen die wir waren“ ist eine Zeile aus „Vis-à-vis“. Ein vielseitig interpretierbares Rock-Stück über Vergangenes, die Kindheit, die Folgen der Kindheit, das innere Kind, die Endlichkeit und wie sie eine Bedingung für Neues ist.

 

Das Album schließt mit einer großen Nummer. „Winter in dir“ fängt viele Elemente der Platte noch einmal auf und ist durch seine Ruhe und Langsamkeit doch ganz anders. Allerdings auch durch die Stimme von Emma, die hier erstmals zu hören ist. Wunderbar klar im Kontrast zu Jonas' Geschrei und mit ihrem leichten Akzent doch so passend anschmiegend.

 

So, liebste 8KIDS, wundervolles „Denen die wir waren“, habe ich mich (erneut, aber diesmal so richtig) in euch verliebt. Danke dafür!

 

XXX

Euer Jazz

 

Ps.: So, nun aber zwölf emotionstote Black-Metal-Alben zum Ausgleich!

 

 

Fazit:

 

Was für ein Debütalbum! Natürlich hat darauf kaum ein corpsegepainteter Schweineblutschlürfer oder jeanskuttentragender Bierrülpser gewartet, aber da es ja auch unter den Metallern Menschen gibt, die ganz gerne zuhause mal eine Träne in ihr Einhornkissen sickern lassen – hab ich gehört! –, sind 8KIDS hier nicht gänzlich fehl am Platz und allen ans Herz gelegt, die neben hartem Metal auch genauso harte Emotionen (jenseits von blankem Hass) aushalten können.

 

„Denen die wir waren“ ist ein fast perfektes Post-Hardcore-Album mit großartig vielseitigen Songs voller Emotionen und guten deutschsprachigen Texten, die direkt und doch poetisch sind. Vielleicht sind 8KIDS die ANNENMAYKANTEREIT des Metals, aber mit einer CASPER-artigen Hauptstimme. Hoffentlich verschieben sie ihren Stil nicht viel weiter ins Poppige, auf dem ziemlich sicheren Weg weit nach oben.

 

Anspieltipps: „Zeit“, „Bordsteinrand“, „In den Sternen“, „Blitzschlag“, „Vis-à-vis“



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Jazz Styx (26.05.2017)

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