FATES WARNING - Theories Of Flight

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VÖ: 01.07.2016
Bandinfo: FATES WARNING
Genre: Progressive Metal
Label: Inside Out Music
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Lineup  |  Trackliste

Nachdem die Euphorie über den Reunion-Gig am Keep It True-Festival schön langsam wieder am Abklingen ist, zurück zum Wesentlichen und zurück zu den "anderen", den eigentlichen FATES WARNING. Man kann Jim Matheos vieles vorwerfen, aber sicher nicht, er wäre unkreativ. Anscheinend hat ihm die Arbeit mit John Arch und ARCH/MATHEOS genauso gut getan wie sein Side-Project O.S.I., und auch nach all den Jahren sprudeln die magischen Riffs und die sagenhaften Melodien nur so aus dem introvertierten Lockenkopf heraus. Auch Ray Alder hat hörbar Kraft aus dem Erfolg der erstklassigen, letzten REDEMPTION-Scheibe geschöpft und bringt auf „Theories…“ eine seiner besten Sangesleistungen seit geraumer Zeit, überhaupt wenn man bedenkt, dass der gute Mann ja nie wirklich sorgsam mit seinem Organ umgegangen ist. Drummer Bobby Jarzombek hatte auf „Darkness In A Different Light“ ja schon einen guten Start, wurde aber von alteingesessenen FW-Maniacs und Mark Zonder-Groupies wie mir kritisch beäugt, und sein doch etwas rüder, wenngleich ultrapräziser Stil war anfangs ein wenig gewöhnungsbedürftig. Was der sympathische Goatee-Träger jedoch hier aus dem Hütchen zaubert, ist nicht von dieser Welt und fügt sich auch erstmals perfekt in die Musik von FATES WARNING, ohne sie zu verstören, eher um sie vielleicht eine Etage höher zu heben. Aber widmen wir uns den Songs im detaillierten Durchlauf.

Der Opener „From The Rooftops“ kommt auf leisen Sohlen, balladesk und unschuldig daher. Aber Vorsicht: bereits hier fahren die Fates-Mannen ihre gesamtes, nach oben hin scheinbar ohnehin unbegrenztes Potenzial aus. Und so steigert sich der Track in ein wahres Crescendo der progressiven Freude, vertrackt aber immer zugänglich, hart aber herzlich, hier wird die Ausnahmestellung dieser Band bereits in den ersten drei Minuten klar, und spätestens beim Refrain weiß man: die Jungs können immer noch Songs schreiben, die Gänsehaut und offene Münder garantieren. Es wird nicht der einzige Track bleiben, der sich mit unverhohlener Ohrwurm-Vehemenz ins Gehör fräst.

Seven Stars“ erinnert bisweilen ein wenig an die „Inside Out“-Phase, spätestens hat dich aber auch hier der Refrain, das klingt nach Radio-Hit ohne sich an Radio-Hits anzubiedern, das ist einfach wunderbar melodischer Metal, und ich schwöre, der Chorus wird auf ewig in unseren Lauschern kleben bleiben. Matheos schafft hier den locker-flockigen Spagat zwischen Kitsch und Kult, und dieser Song funktioniert auch ausschließlich mit Ray Alder am Mikro.

Auch bei „SOS“ wird dieses Konzept fortgeführt, aber nicht ohne das Ganze mit deftigen, durchaus harten Riffs zu garnieren. Und nicht ohne den Matheos-Effekt: nämlich Songs gerade dann wenn man meint, sie gehen jetzt mal toll so weiter, abrupt in eine andere Richtung zu lenken. So auch hier, denn der progressive Mittelteil konterkariert schön mit den ihn umrahmenden, eher süßlichen Strophe/Refrain-Schemata, die dadurch zusätzlich an Strahlkraft gewinnen. Auch hier wieder absolute Suchtgefahr!

The Light And Shade Of Things“ ist der erste von zwei Longtracks, die beide die Zehnminuten-Marke sprengen und schon alleine dadurch als kleine Epen bezeichnet werden können. Der Beginn lässt ein wenig an „The Eleventh Hour“ denken, mystisch dräuend, gemahnend, dass hier bald ein Orkan losbrechen wird. Aber es wäre nicht Jim Matheos, wenn er uns nicht drei Minuten lang zappeln lässt, bevor der Song sich steigert, über semi-balladeske Elemente, einen (wieder mal) epischen Refrain bis zu einem ruhigen Mittelteil, bei dem Ray selbstbewusst und solide klingt wie seit „Parallels“ nicht mehr. Zum Finale gibt’s nochmal die harte Breitseite, bevor der Track an seinen Beginn zurückkehrt und ebenso ruhig und unschuldig wieder verschwindet wie er gekommen ist.

Schneller auf den Punkt kommt das knackige „White Flag“, bei dem schon zu Beginn klar ist: hier wird live abgeschädelt UND mitgesungen werden! Anfangs eher eine Stufe unter den vorhergehenden Liedern, entpuppt sich der Song nach mehreren Durchläufen immer mehr als Melodie-Derwisch, dessen harsches Geriffe  inklusive knackigem Kult-Gitarrensolo perfekt mit den treibenden Rhythmen Jarzombeks harmoniert. Braucht etwas, kommt dann aber voll und ganz in Fahrt.

Freundlicher, deswegen aber nicht unbedingt lapidarer, präsentiert sich anschließend “Like Stars Our Eyes Have Seen“, auch hier wird das übliche Strophe/Chorus-Schema aufgelöst und gerade im Mittelteil verwandelt sich der Song fast in ein episch schwebendes Konstrukt, immer wieder durchbrochen durch die zauberhafte Melodie des unregelmäßig auftauchenden Refrains. Einmal mehr ein unschlagbarer Ray Alder, einmal mehr ein Songwriting, das seinesgleichen sucht, das den Spannungsbogen immer aufrecht erhält, ohne irgendetwas zu überdehnen. Der Abgang erinnert ein wenig an O.S.I., was aber durchaus positiv gewertet werden darf.

Womit wir schon beim zweiten Zehnminüter „The Ghosts Of Home“ (übrigens der ursprüngliche, verworfene Titel der Platte) wären, das unheimlich und mit News-TV-Fetzen beginnt, bevor die Stimmung überraschend auf Dur schwenkt und alsbald mit einem gottgleichen Intro zu einem Monolith auftürmt, der ansatzweise an die ARCH/MATHEOS-Songs erinnert. Hier spielen FATES WARNING sämtliche Trümpfe auf und packen alles, was nur irgendwie geht in diesen Track als gäbe es kein Morgen. Und ohne dabei in eigenen Nostalgien zu schwelgen, immer auf den Punkt, immer schlüssig, hier wird keine Sekunde mit fragwürdigen Bridges und Fills vergeudet. Die positive Grundstimmung hier ist nicht zuletzt den lieblichen, groovenden Strophen geschuldet - das hier gehört mit zum Besten, was die Connecticut-Posse jemals rausgehauen hat. Danach hätte kein weiterer Song auch nur irgendeine Chance, zu glänzen.

Und deshalb ist am Ende - wiederum typisch Matheos, und irgendwie an „Disconnected“ erinnernd - der Titeltrack dann eigentlich eine Art Outtro, das sich ebenfalls ein wenig in die O.S.I.-Richtung lehnt und die Platte genauso abschließt wie sie begonnen hat: subtil perfekt nämlich.

Unterm Strich ist „Theories Of Flight“ das dichteste, schlüssigste und am meisten in sich ruhende FATES WARNING-Album der jüngeren Epoche, ich würde sogar beinahe sagen seit dem vielfach unterbewerteten „Inside Out“. Es ist einerseits genau das Album, auf das Fans seit Jahren warten (versteht mich nicht falsch, ALLE Alben der Band sind Meisterwerke, aber meistens fehlte halt das gewisse Scherflein Genialität zum Legendenstatus), auf der anderen Seite ist es das einzige Album, das FATES WARNING eine Zukunft sichern kann und das Kollektiv nicht als selbstverliebten Prog-Abklatsch seiner selbst in der Bedeutungslosigkeit verschwinden ließe. Klarerweise zücke ich hier, nicht als Fan, sondern ausschließlich als Kritiker, die Höchstnote. Hier wurde alles Richtig gemacht, und man hat das Gefühl, es ist noch lange nicht vorbei, im Gegenteil – es hat gerade erst begonnen!



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: Mike Seidinger (30.06.2016)

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