Borknagar - Winter Thrice

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VÖ: 22.01.2016
Bandinfo: BORKNAGAR
Genre: Melodic Metal
Label: Century Media Records
Lineup  |  Trackliste

Das 2012er-BORKNAGAR-Album "Urd" ist für mich zweifellos eine der besten Veröffentlichungen im melodiösen Extrem-Metal-Sektor der letzten fünf Jahre. 95 Prozent einer Albumspielzeit ausschließlich mit wiedererkennbaren, großartigen Riffs, Melodien und Songs zu füllen, ist eine Kunst, die nicht einmal die Größten des Genres sicher beherrschen. So ein Album macht man möglicherweise nur einmal im Leben.

BORKNAGAR selbst sind der Ansicht, dass sie mit "Winter Thrice" endlich das geschaffen haben, was sie für mich mit "Urd" schon geschafft hatten: Ihr Opus Magnum. Das ist durchaus verständlich. Der Produktionsaufwand für die Scheibe muss enorm gewesen sein, alle acht Tracks sind bis ins hinterste Eck ausgeleuchtet und perfekt eingerichtet, und auch stilistisch bietet "Winter Thrice" mit einer enormen Bandbreite von den letzten grimmigen Black-Metal-Überresten ("Cold Runs The River", "When Chaos Calls", "Terminus") bis hin zu frickeligen 70er-Prog-Rocksongs mit beschwingten Hammondorgien ("Panorama") alles, was der Band in ihrem Sound je wichtig war.

"The Rhymes Of The Mountain" ist als Opener dann auch ein Song, der versucht, alles das auf die Länge von sechs Minuten zu komprimieren. Das gelingt nur bedingt und wirkt fast ein bisschen kontrolliert, ein bisschen zu gemessen, ein bisschen zu erwachsen. Vor allem fällt auf: "Winter Thrice" ist mehr denn je weniger ein Instrumenten- als ein Gesangsalbum. Den Kompositions-Fokus auf die Verwinkelung und Verschlungenheit der vier cleanen Sänger, die der Scheibe ihre Stimme geben, zu legen, ist ebenfalls verständlich. Mit dem unschuldig-traurig klingenden Lars Nedland, der mal folkig-epischen, mal aggressiven Stimme VINTERSORGs, Simen Hestnaes' ungewöhnlichem Tenor und - als Gast - Kristoffer Ryggs eigensinnigen Gesangsarrangements steht der Band hier auch die volle Palette vokaler Verwirklichung zur Verfügung. Die gilt es zu nutzen. Dahinter und hinter den dicken Keyboardlayern verschwinden vor allem die Gitarren in ihrem weichen, unauffälligen Sound und machen "Winter Thrice" zu einem Album, das weniger Metal als Rock und weniger heavy als melodiös ist.

Dieses Arrangement sorgt aber auch dafür, dass Schwächen im Grundmaterial durch Pomp verdeckt werden. Denn, reden wir nicht drumrum: Nicht alles auf "Winter Thrice" gehört zum Besten, was Øystein Brun komponiert hat. Gerade der Mittelteil der ohnehin nicht mit überbordender Spielzeit gesegneten Platte ist relativ flach, um nicht zu sagen: direkt ein wenig beliebig. Der genannte Opener und der direkt anschließende, von Ryggs Gastbeitrag getragene Titeltrack, auch das ausleitende, endlich etwas gitarrenlastigere "Terminus", das auch auf einem Album wie "Quintessence" Platz gefunden hätte, teilweise auch "When Chaos Calls" sind verdammt starke Songs. Wie fast das ganze Album müssen aber auch diese wachsen und das laaaaange, bevor etwas hängenbleibt. So ist Natur eben: Nicht immer auf den ersten Blick schön, sondern in ihrer Beharrlichkeit überzeugend.

Trotzdem. Mir klingt "Winter Thrice" schon fast zu erwachsen, zu durchdacht, zu poliert, zu aufgedonnert, vielleicht auch zu verkopft. Nichtsdestotrotz ein sicher gutes bis sehr gutes Album, und wer weiß, vielleicht muss ich mein Urteil noch etwas revidieren, wenn das Pflänzchen "Winter Thrice" zu einem Baum herangewachsen ist.



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Florian Dammasch (13.01.2016)

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