KENN NARDI - Dancing With The Past

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VÖ: 13.01.2015
Bandinfo: KENN NARDI
Genre: Progressive Metal
Label: Divebomb Records
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Lineup  |  Trackliste

Auch mehr als 20 Jahre nach seiner Veröffentlichung ist "Screams And Whispers" von ANACRUSIS ein wegweisendes, visionäres Ausnahmealbum, das bis heute nichts von seinem Charme verloren hat. Einzig die Zeit des Erscheinens hat der Platte (und in weiterer Folge auch der Band) das Genick gebrochen: 1993 war keiner mehr wirklich an progressivem Dark Metal mit avantgardistischen Zügen interessiert, sondern eher an Strickpullover tragenden, suizidgefährdeten Kellercombos aus Seattle. ANACRUSIS zerbrachen und auch ein Reunion-Versuch mit einigen legendären Gigs in Europa 2010 scheiterte. Mastermind KENN NARDI kann aber scheinbar nicht ohne und hat nun die gesammelten Werke der letzten Jahre auf einem Monster-Album veröffentlicht, mit 158 Minuten wahrscheinlich die längste Metal-Platte aller Zeiten. Es darf also der ANACRUSIS-Altar frisch mit Kerzen bestückt und die Knieschoner angelegt werden, denn "Dancing With The Past" ist gottlob keine Neuerfindung des Rades, sondern verwaltet das Erbe dieser Ausnahmeband und führt es konsequent fort.

Dass KENN NARDI das alles auch noch im Alleingang eingetütet hat, sollte dann endgültig zur Heiligsprechung dieses Progressive-Gottes aus St.Louis reichen - aber dieser Umstand ist eher eine zur Tugend gemachte Not: dem guten Mann fehlten einfach die passenden Musiker (und über die Hälfte des Materials stammt sowieso aus Kenn's Feder). Über weite Strecken des auf zwei Silberlinge aufgeteilten Liedguts werden ANACRUSIS-Fans hier mit einer veritablen Erektion (ja, auch die Mädels!) durch die Wohnung höppeln, die Freudentränen in den Augen und das 50cm-Geo-Lineal als Luftgitarrenersatz. Die für Mister NARDI so typischen, entrückten Screams, sein unverkennbarer Gesang, die eigenwilligen Melodieführungen, die fast schon orchestral arrangierten Prog-Kaskaden - alles vielleicht so ähnlich schon mal gehört. Man hat das Gefühl, "Screams And Whispers" wird hier konsequent weiter ausgebaut. Und das ist gut so.

Aus dieser Wurst ein paar Favoriten herauszuheben ist zugegebenermaßen schwer und nach zwei Wochen Dauerrotation hab auch ich es endlich geschafft, halbwegs einen Überblick über das Material zu kriegen. "Fragile", "Armies Of One", "Straining The Frayed", "Blinding Lies", "One World", "Creve Coeur", "Blood In The Water" und "Untouchable" sind hier unverzichtbare Preziosen, zeitlos, überirdisch, unantastbar. Den Rest explizit zu betonen spare ich mir hier, das Niveau sinkt nicht wirklich ab, einziger Knackpunkt sind vielleicht die ein wenig zu inflationär ausgeworfenen Halbballaden-Momente (etwa bei "Symbiotic", "A Little Light" oder "Untouchable", das in der zweiten Hälfte dann absolut kultig wird). Aber selbst hier zeigt sich die Reife und das absolut intergalaktische Niveau, das KENN NARDI beim Komponieren und Arrangieren erreicht hat. Er spielt mit den Melodien wie kaum ein anderer, baut immer wieder unerwartet Spannungsbögen auf, überrascht mit unkonventionellen Breaks und Riffs ("Submerged", "Await The Setting Sun").

Da muss man dann nach eingehenden Hörproben schon zweimal nachlesen, dass hier die Drums programmiert und gesampelt wurden, denn der Gesamtsound entspricht fast zu 100 Prozebt dem von "Screams And Whispers", was hier aber nicht als Schwelgen in der eigenen Vergangenheit gewertet werden sollte, sondern eher als Brückenschlag, als Versuch, dieses Über-Album vielleicht noch einmal für die heutigen Kids interessant zu machen. Mit diesem Brocken werden selbst zum Äußersten entschlossene Proggies noch länger zu tun haben - gebt "Dancing With The Past" eine Chance und feiert diese niemals enden wollende Prog-Party solange ihr nur könnt!

(Hier findet ihr ein ausführliches Interview mit KENN NARDI!)



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Mike Seidinger (13.01.2015)

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