Engel - Raven Kings

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VÖ: 28.11.2014
Bandinfo: ENGEL
Genre: Metal
Label: Gain Music Entertainment
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Lineup  |  Trackliste

Niclas Engelin muss ein unfassbar ausgebuchter Mann sein. 2011 hat der werte Herr bei IN FLAMES die Nachfolge des einst hochdekorierten Jesper Strömblad an der Gitarre angetreten, war bei den Songwriting- und Aufnahmesessions zu "Siren Charms" das erste Mal so richtig involviert und hatte trotzdem noch die Zeit sowie den nötigen kreativen Flow, um mit seinem Projekt ENGEL das vierte Studioalbum "Raven Kings" zurecht zu schustern.

Bei denen ist nach "Blood Of Saints" alles anders: Anderer Sänger, anderes Label, anderer Mann an den Reglern. Nachdem der eigentlich so gut mit dem Bandsound harmonierende Magnus Klavborn 2012 den Platz räumte (und dieser Tage mit den wiedervereinten THE DUSKFALL eine neue Platte veröffentlicht), angelte man sich kurzerhand Mikael Sehlin von DEGRADEAD, wechselte zu Gain Music Entertainment (gehört irgendwie zu Sony) und hat mit Jacob Hansen frischen Wind in den Mixing-Prozess beordert. So weit, so gut?

"Salvation" beginnt auf jeden Fall furios: Ungewohnt der geringe Electro-Anteil, harte Uptempo-Salven und dann springt im Refrain auch noch direkt der Funke des neuen Sängers über. Ein wichtiges Zeichen für ENGEL, die den Skeptikern damit direkt vermitteln, einen guten Fang gemacht zu haben. In "Your Shadow Haunts You" beweist er sich dann mal als ausdrucksstarker Cleansänger, der nicht nur den Chorus möglichst eingängig gestalten, sondern ganze Songs tragen kann, ohne in den Kitsch abzuschweifen. Die gesampelten Hey! Hey!-Liveanthems tun da ihr Übriges. Signifikant drängt sich in den ersten Minuten um Songs wie "Denial" gleichzeitig aber auch der erhöhte Härtegrad im Songwriting auf, welcher wohl als Aderlass so mancher Keyboardpassage zu betrachten ist.

Dabei beweisen ENGEL aber auch stets, dass Variantenreichtum das stete Credo beim Komponieren ist. "Fading Light" erinnert so zuweilen an MERCENARY und weiß mit atmosphärischer Ummantelung zu überzeugen, während "My Dark Path" durchaus auch ein Schritt in die eigene Vergangenheit nachweist, auf ausgedehnte "Wiedersehens-Extase" allerdings höflich abweisend reagiert und sich damit auch die jüngeren Einflüsse eingesteht. Trefflich mit "I Am The Answer" betitelt sieht man sich infolgedessen einer semi-akustischen Nummer gegenüber, die nicht balladesk sondern mysteriös auftritt und durchaus erfrischenden Charakter verinnerlicht hat, wenngleich sich die Geister daran bestimmt scheiden können und wohl auch werden. Im Albumkontext geht das Konzept dahinter allerdings voll auf, denn der Spannungsbogen profitiert ungemein davon, dass ENGEL ihr großes künstlerisches Repertoire ausspielen und sich seit jeher für keine Spielerei und keinen mutigen Schritt zu schade sind, um die eigene Einzigartigkeit zu betonen und als einer der wenigen Interpreten in diesem Genre wirklich neu bzw. unverbraucht zu klingen. Das schaffen sie oftmals mittels gänginger Strukturen, die zunächst metallisch-kernige Gitarrenparts mit schroffem Gesang verschmelzen und dabei stetig auf einen großartigen und im Falle von "When The Earth Burns" sogar emotionalen Refrain hinarbeiten, aber eben auch mit unkonventionelleren Varianten wie in "End Of Days", welches die für ENGEL typischen, halbakustischen Saitenvibes, trampelnde Rhythmen sowie massentaugliche Klargesang-Parts über alle vermeintlichen Grenzen hinweg zur Einheit formt, ohne es irgendwem recht machen zu wollen.

"Raven Kings" ist damit zwar wieder nichts für Melodeath-Puristen, das war den Bandgründern Engelin und Sunesson aber seit jeher völlig schnurz, weshalb sich die Kollegen von IN FLAMES wohl nicht nur der Freundschaft wegen für den kreativen Niclas entschieden haben. Weiterentwicklung kann logischerweise nicht jedem gefallen, aber man kann sich eben auch nicht jedes Missfallen gewisser Dinge mit gern gewählten Worthülsen wie Kalkül oder Pop erklären. Dass es grundsätzlich nicht so einfach ist, ENGEL in eine bestimmte Schublade zu stecken, beweisen sie abschließend mit "Broken Pieces" (toll eingestreuter Breakdown inklusive Electro-Support) und dem positiven, stark melodischen "Hollow Soul". Damit ist "Raven Kings" nach "Blood Of Saints" und mit dem gelungenen Sängerwechsel ein weiterer Volltreffer in der Diskografie der Schweden, der sicherlich die ein oder andere Macke hat bzw. das hohe Hitpotenzial nicht über die volle Länge aufrecht erhalten kann, ansonsten aber durch Variabilität, ausgeprägte Härte, forschen Einfallsreichtum und einem gesunden Schuss Einprägsamkeit für sich spricht und jedem auch nur ansatzweise Modern Metal affinen Hörer viel Freude bereiten wird.



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Pascal Staub (21.11.2014)

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