26.05.2023, Leipzig, Leipzig

Wave Gotik Treffen 2023 mit ROSA CRUX + PERCHTA + SIEBEN...

Text: Werner Nowak | Fotos: Werner Nowak
Veröffentlicht am 08.06.2023

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WAVE GOTIK TREFFEN 2023

Leipzig trägt schwarz. Wie zu normalen Zeiten üblich, stand auch dieses Jahr zu Pfingsten die Stadt wieder im Zeichen der dunklen Subkultur. Das Wave Gotik Treffen lockte wieder tausende Kinder der Nacht aus ihren Gruften, um sich bereits zum 30. Mal ein düsteres Stelldichein zu geben.

Was 1992 mit einer Handvoll Bands begann, hat sich über die Jahre zum größten Indoor-Festival der Schwarzen Szene entwickelt. An verschiedensten Locations quer über die Stadt verteilt, finden Konzerte mit Acts quer durch den dunkelbunten Szene-Kosmos statt, es gibt Mittelaltermärkte, Lesungen, Vorträge, Picknicks und natürlich auch jede Menge Parties.

Die Vielfalt an Musik und Venues stellt sich aber auch jedes Jahr als große Herausforderung für die Planung dar, und so muss man sich genau überlegen, wie man das Tagesprogramm am besten gestaltet.

Da ich mich doch für sehr unterschiedliche Genres interessiere, fällt meine Wahl dann meist auf Bands, die ich noch nie oder schon lange nicht gesehen bzw. fotografiert habe und wo möglichst wenig Locationwechsel erforderlich sind. Gitarren-Puristen finden in meinem Review wahrscheinlich nicht allzu viele interessante Acts, aber vielleicht sind auch Leser dabei, die etwas Abwechslung mögen und auch gerne neuen Bands und Genres entdecken.

Nun aber zu den Details! Der Donnerstag ist noch kein richtiger WGT-Tag, aber viele reisen schon früher an und daher gibt es bereits zahlreiche Parties und auch ein paar Konzerte. Ich besuchte aber wie üblich zum Warm-Up die Moritzbastei und genoss die einzigartige Atmosphäre der mittelalterlichen Befestigungsanlage, die nun als Kulturzentrum betrieben wird,

Am Freitag ging es dann aber richtig los, und mein Weg führte mich ins Stadtbad. Ja, das ist tatsächlich ein ehemaliges Hallenbad. Das Gebäude wurde im Jugendstil erbaut, der Betrieb wurde aber 2004 eingestellt, und so dient es nun sporadisch als Veranstaltungslocation.

Mit den Amerikanern MILLIKEN CHAMBER hatte ich gleich mal ein Duo mit ordentlich tanzbaren Beats vor den Ohren und der Linse. Düsteren Synthpop und Cold Wave kann man hier auf den Waschzettel schreiben.

In eine ähnliche Schublade kann man den nächsten Act stecken. MINUIT MACHINE aus Paris bestehenm aus der Sängerin Amandine Stioui und Hélène de Thoury am Keyboard (letztere ist auch durch ihr Soloprojekt HANTE bekannt). Die beiden Damen haben ihre Songs im Gegensatz zu den Vorgängern aber mit etwas mehr Rumms versehen. Das Stadtbad war nun schon gut voll, und die Songs kamen beim Publikum sehr gut an.

Wie ich dann von einem Bekannten erfahren hatte, war beim Eingang schon eine lange Schlange. Manche Leute warteten bis zu einer Stunde und so kamen auch nicht alle Interessierte in den Genuss der Band bzw. wohl auch nicht der nachfolgenden.

Das isländische Trio KAELAN MIKLA war zuletzt mit VV (Ville Valo, ex-HIM) auf Tour und konnte sich über die Jahre eine Fangemeinde und einen gewissen Bekanntheitsgrad erspielen. Dieser erreichte sogar Robert Smith (THE CURE), der die Band für das von ihm kuratierte Meltdown Festival in London buchte. Ihre Mischung aus Post-Punk und Cold-Wave wurde zuletzt etwas gefälliger, Sängerin Laufey Soffía setzt ihre hohe, kreischende Stimme nur mehr punktuell ein und bleibt meist in mittleren Tonlagen. Nach wie vor tragen aber auch die neueren Songs die unverkennbare Handschrift der Feen aus dem hohen Norden.

Der letzte Act des Abends war BUZZ KULL. Hierbei handelt es sich um das Solo-Projekt des Australiers Marc Dwyer, der es spielend schafft, mit seiner Mischung aus Industrial, Minimal Synth und E.B.M. die Besucher in seinen Bann zu ziehen und für ordentlich Bewegung zu sorgen.

Das war zum Schluss noch ein guter Warm-Up für alle, die zu diversen WGT-Parties weitergezogen sind. Ich hab’s mir gleich im Stadtbad bequem gemacht, hier war der “Dunkelromantische Tanz” angesagt. Atmosphärische Sounds aus den Genres Dark Folk, Martial Industrial, Dark Wave, Dream Pop und ähnliches wurden hier durch den Saal geschickt. Für mich immer ein tolles Erlebnis, da es derartige Events in Wien nicht (mehr) gibt.

Auch am Samstag war meine erste Station das Stadtbad, hier belebten ein paar junge Burschen unter dem Namen FIASKO LEITMOTIV den Geist der 80er mit einer Mischung aus Post-Punk und NDW. Hat echt Spaß gemacht und es ist toll, dass auch die Jungen wieder vermehrt Gefallen an den Oldschool-Sounds finden!

Am Weg in die AGRA machte ich dann einen Abstecher in das Heidnische Dorf. Hier geben sich die Mittalalterfans ein Stelldichein. Auf zwei Bühnen spielen etliche Bands, die das Genre bedienen, aber auch Artverwandtes gibt es zu sehen und hören. So bot zum Bespiel das Duo KAELTE aus Leipzig klassischen Neo-Folk mit deutschen Texten. Schön anzuhören, mit Akustikgitarre, Chimes und Drums vom Band.

Danach ging’s rüber in die größte Veranstaltungshalle des WGT, die berühmt-berüchtigte AGRA. Hier treten quasi die Main-Acts auf und da dies eine ehemalige Messehalle ist, gibt’s dort entsprechende Herausforderungen für die Tontechniker. Ich muss aber sagen, es gab an dem Abend nichts zu meckern!

Bei COVENANT wurde die Bühne mal ordentlich eingenebelt. Und los ging es dann gleich mal mit “Der Leiermann”. Frontman Eskil Simonsson war gut bei Stimme und auch bei Laune. Es folgte ein guter Querschnitt durch die Bandgeschichte, etliche Hits wie “Bullet”, “Dead Stars”, “Ritual Noise” oder “Call the Ships to Port” als Zugabe brachten die Fans in der proppenvollen Halle zum Tanzen, Mitsingen und Jubeln.

Nur kurz war die Erholungspause, denn für alle Tanzwütigen ging es gleich weiter!
Die Godfathers der Electronic Body Music oder E.B.M. standen als nächstes am Programm: FRONT 242 aus Belgien. Sie sind seit den 1980er-Jahren eine feste Größe der Szene und haben mit ihrem Sound auch maßgeblich zum Entstehen anderer elektronischer Genres wie z.B. Techno beigetragen. Die inzwischen doch schon etwas älteren Herren an den Mikros agieren aber noch immer agil auf der Bühne und stampfen und hüpfen in gewohnter E.B.M.-Manier zwischen Live-Drummer und Elektro-Stand hin und her, vor und zurück. Hits wie “Headhunter”, “Welcome to Paradise” oder “Tragedy >For You<” fehlen natürlich auch nicht.

Als Mitternachtsspecial (was eine Beginnzeit von 1:00 Uhr früh bedeutete) wären dann noch COLD CAVE am Programm gestanden, aber die Stunde Wartezeit war mir die Band dann doch nicht mehr wert. Stattdessen ging es noch auf einen Absacker in die Moritzbastei.

Der dritte Tag begann für mich im Felsenkeller, der an diesem Tag ganz im Zeichen der härteren Musik stand. Ich hatte endlich die Gelegenheit, die Tiroler PERCHTA live zu erleben! Die Band ist benannt nach einer Sagengestalt, der Frau Percht, und auf dem Debütalbum “Ufang” findet sich eine interessante musikalische Mischung – Lyrics, die von der der Sängerin in tiroler Dialekt vorgetragen werden, mal geflüstert, mal mit Klargesang, mal gekrächzt oder geschrien. Dazu minimalistische Instrumentierung, teilweise nur mit dem Hackbrett, die dann wieder durch brachiale Black Metal Ausbrüche durchbrochen wird. Auch live funktionierte das hervorragend, und als Zugabe wurde ein neuer Song präsentiert.

Gleich um die Ecke gab es dann im Haus Leipzig ein elektronisches Kontrastprogramm. Das Projekt REIN aus Stockholm vermischt Industrial- und E.B.M. Einflüsse mit modernen Electro-Sounds. Die Band ist bekannt für energievolle Live-Autritte, hatte sich dieses Mal aber für eine etwas “dezentere” Präsentation entschieden und bot ihre Songs, unterstützt von einem DJ im Hintergrund, in edlem Nadelstreifanzug dar. Der Begeisterung des Publikums tat dies aber keinen Abbruch!

So richtig oldschoolig wurde es bei JÄGER 90. Das Duo aus Deutschland hat sich dem 80er-E.B.M. im Stil der legendären D.A.F. verschrieben. Mit Hubschrauberhelm und in Overalls gekleidet, passte auch das Outfit wunderbar zur Musik. Der Sänger machte auch ordentlich Stimmung und nutze auch die gesamte Breite der Bühne aus und tobte von einer Seite zur anderen. Dazu gab es Songs mit deutschen Texten wie z.B. “Ich schwitze” oder “Stiefelblitz”.

Ein weiterer Locationwechsel war angesagt, es ging in das edle Schauspielhaus. Hier kann man sich in gemütlichen roten Samtsesseln auf die Konzerte freuen! Aber man sollte sich rechtzeitig um Einlass bemühen, die Plätze sind begehrt! Zum Glück gewährt mir der Fotopass jederzeit Einlass!

Und so konnte ich mal wieder Matt Howden aka SIEBEN live erleben. Der umtriebige Brite begeistert bei Konzerten mit seiner herzlichen Art und seinem musikalischen Talent. Nur mit Violine, Gesang und dem ein oder anderen Gadget sowie Loop-Geräten werden die Songs Schicht für Schicht aufgebaut, die Violine wird auch mal gezupft oder geklopft, oder es wird in einen Blecheimer gesungen. Ein SIEBEN-Konzert ist immer anders! Matt ist auch seit der Pandemie mit gratis Online-Streams aktiv, für aktuelle Termine checkt seine Facebook-Seite https://www.facebook.com/TheMightySieben.

Ein absolutes Highlight für mich waren wieder ROSA CRUX. Auftritte der Franzosen sind rar, nicht zuletzt wegen der doch etwas ungewöhnlichen Instrumente, die genutzt werden. Auf der Bühne prangt zu linker Hand BAM, die maschinelle Drummaschine in Form von 4 Skeletten, die auf 3 Trommeln und eine Pauke einschlagen. Auf der rechten Seite steht ein großes Glockenspiel sowie ein Pianino. Musikalisch bewegt sich das Projekt irgendwo zwischen Dark Wave und Martial/Ritual. Zu den düsteren Sounds werden auch immer passende Visuals in den Hintergrund projiziert und die Lichtstimmung unterstreicht zusätzlich das düstere Sound-Ritual. Den Höhepunkt bildete einmal mehr das Stück “Danse de la Terre”, bei dem zwei mit Lehm beschmierte, knieende nackte Frauen sich im Takt mit Sand aus zwei am Boden befindlichen Kisten bestäuben. Das war ein mehr als würdiger Abschluss des vorletzten Tages!

Der Montag steht für mich traditionell im Zeichen von Dark Ambient und Industrial und somit war der Besuch der Koppelhalle im Volkspalast Pflicht. Diese ist wohl eine der schönsten und einzigartigsten Veranstaltungsstätten in Leipzig!

Sehr avantgardistrisch ging es los mit SARDH. Dies ist ein deutsches Experimental-Industrial-Künstlerkollektiv, das seit den 1980er-Jahren aktiv ist und in wechselnder Besetzung aufrtritt. Diverse Klangkörper, analog wie digital, wurden für den Live-Sound verwendet, von Metallreifen über einen “klingenden Stein”, bis hin zu einem Blasinstrument, welches in eine Vase mit Wasser gehalten wurde. Ein interessanter Klangkosmos, der hier geschaffen wurde, aber eher nur etwas für Avantgarde-Nerds.

In der Kantinen-Bühne nebenan waren dann Hans Johm aus Leipzig mit ANTLERS MULM an der Reihe, auch hier sehr ruhige und meditative Sounds, die aber von Gesang unterstützt wurden. Mir persönlich war es auf Konzertlänge etwas zu ruhig und gleichförmig.

APOPTOSE ist eine Form des programmierten Zelltods. Es ist ein „Suizidprogramm“ einzelner biologischer Zellen. Es ist aber auch der Name eines ebenfalls aus Deutschland stammenden Projektes, angesiedelt irgendwo im Bereich Dark Ambient, Neo Klassik und (Post-)Indusrial. Dargeboten vom Mastermind hinter den Knöpfen und Reglern wurden manche Titel von bis zu zwei Sängerinnen und stimmungsvollen Visuals unterstützt. Der Höhepunkt der Darbietung wurde dann noch mit dem Auftritt des FANFARENCHORS LEIPZIG erreicht, die mit über einem Dutzend Trommlern den Live-Sound bereicherten..

ZOVIET FRANCE sind eine experimentelle britische Musikgruppe, die 1980 gegründet wurde und Elemente aus Ambient, Industrial, Drone und Musique concrète kombiniert. In der Kantine traten sie als Duo auf, das Set war eher auf die ruhigeren Klänge ausgerichtet (wobei es mir etwas zu langatmig war und ich nach kurzer Zeit wieder gegangen bin).

Die letzte Band für mich waren dann TEST DEPT. Sie sind Teil der Industrial-Musikszene der 1980er Jahre gewesen und haben einen einzigartigen und experimentellen Sound entwickelt, der Elemente aus Industrial, Punk, Electronica und Avantgarde kombiniert. Die Gruppe ist bekannt für energiegeladenen Live-Auftritte, bei denen sie oft Schlagzeug, Percussion, Metallgegenstände und andere Alltagsgegenstände als Instrumente einsetzen. Ihre Musik ist auch politisch geprägt und thematisiert soziale Ungerechtigkeit, Arbeit und politischen Aktivismus.

Der Bühnenaufbau ließ schon erahnen, dass es krachiger wird. Ein großes metallisches Konstrukt dominierte die Bühne, und dieses wurde dann von den beiden Frontmännern auch ordentlich malträtiert, ebenso wurde auf eine riesige Basstrommel und Tschinellen eingedroschen. Ein Live-Schlagzeuger sorgte für zusätzlichen Druck, ebenso wie ordentliche Beats aus digitalen Klangerzeugern. Passend dazu gab es auf der Leinwand Visuals, zuerst eher abstrakt, mit Formen und Mustern, bei den letzten Nummern wurden dann Bilder von Demonstrationen und Flüchtlingsdramen projiziert. Ein tolles Live-Spektakel, und ein würdiger Abschluss der Montags-Konzerte.

Mein Fazit: Das WGT 2023 lieferte wieder ein abwechslungsreiches Programm, wenn auch für die 30. Ausgabe leider so gut wie keine Specials oder zusätzliche Höhepunkte. Da boten sogar “reguläre” Ausgaben mehr an Extras, wie z.B. Mitternachtsspecials mit alten 80er-Jahre-Helden.
Aber es hat trotzdem wieder sehr viel Spaß gemacht, und für jede Kreatur der Nacht wird hier genug geboten, um für ein paar Tage tief in ein schwarzes Paralleluniversum eintauchen zu können.

https://www.wave-gotik-treffen.de/


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