25.06.2022, Ferropolis, Gräfenhainichen

FULL FORCE 2022: Teil 2 – Bühnenhopping am Samstag

Text: Jazz Styx
Veröffentlicht am 05.07.2022

Wider Erwarten hat der frei- und vortägliche Festivaltag auf dem Full Force meinen vergifteten, überhitzen, alten Körper nicht gänzlich besiegen können und so stehe ich in der mittäglichen Sommersonne auf der ostdeutschen Eiseninsel und höre mir BLACKOUT PROBLEMS an. Das Problem mit BLACKOUT PROBLEMS ist, dass sie mein erster Act des Tages und zugleich mein persönlicher Mainact des Tages sind. Ich muss doch erst warmwerden! Ah ja, ich verstehe, warum der Witz nicht ankommt. Ihr könnt ja gar nicht sehen, dass mir die Schuhe vor Schweiß überlaufen.

Nun aber zu BLACKOUT PROBLEMS: Sie sind all das, was Alternative Rock all die Jahre hätte sein können. Ich habe bisher nie viel von dem Genre gehalten, aber BLACKOUT PROBLEMS sind geil! Emotionaler, eingängiger, ansprechender, schöner, entspannter, mitreißender! Und das liegt sicher auch nur ein kleines Bisschen daran, dass sie an einem wunderschönen Strand spielen und eine neun Jahre alte Riesling-Auslese schon wieder vorzüglich durch meine heiser gegrölte Kehle rinnt. Deutlich mehr liegt es unter anderem auch an ihrer aktuellen Platte „Dark“ und an ihrer politischen Einstellung, die ich hier aber nicht breittreten möchte. Nur so viel: Danke, BLACKOUT PROBLEMS! Ihr seid schöne Menschen!


(c) Ralf Hawaii

Leider muss ich aber schnell weiter, denn drüben auf der Hardbowl Stage spielen SEEYOUSPACECOWBOY und ich möchte wenigstens noch ein paar Minuten Love & Support im Namen des Regenbogens zeigen. Wenn ihr Metalcore, Post-Hardcore und Mathcore mögt, hört doch mal in „The Romance Of Affliction“rein!

Der Sprung rüber in OCEANS ist leider nicht so abkühlend, wie der Name suggeriert. Im Gegenteil! Da ist ganz schon aufgeheizter Druck hinter ihrem Metal-bis-Core-Lärm, der uns wissen lässt: „We Are Not Okay!“ Aber tief in uns ist uns das allen längst viel zu bewusst, sonst würden wir vielleicht weniger wütende, weniger enttäuschte Musik hören. OCEANS sind krass, krass gut, aber mitunter auch krass deprimierend. Hört doch mal rein ins Debütalbum „The Sun And The Cold“.

Ich muss jetzt mal richtig klassischen Metal hören. GATECREEPER machen Death Metal. Nicht Technical, nicht Melodic, nicht Brutal, nicht mal Oldschool, sondern einfach Death Metal. Sie spielen am Strand, aber ich bin sicher, dass man sie über den See hinaus ans Ufer oder sogar bis ins Nachbarbundesland hören kann. Fuck yeah! Zerfetzt alles! Allerdings werden ja fast immer zwei Bühnen gleichzeitig bespielt und so laufe ich – so schnell die Hitze mich lässt – hinüber zur Hardbowl Stage.

Dort mischen AS EVERYTHING UNFOLDS Alternative Rock, Progressive Metal und Post-Hardcore. Sehr präsent darin bis darüber thront die beeindruckende Stimme von Charlie Rolfe. Die Frau kann aber auch singen, shouten und zwischen den Stilen wechseln, als wäre es die einfachste und normalste Sache der Welt. Derbe stark! Fetten Respekt auch für das Bassspiel von Gorge Hunt: Du bist ein Meister deiner Kunst! Das aktuelle und erste Album der Briten heißt „Within Each Lies The Other“. Hören! Hören! Hören!

Und dann sind da noch EMAIL BALLS [Anmerkung ans Lektorat: Sollte ich mich hier verschrieben haben, könnte das Absicht gewesen sein.] auf der Mainstage. Wenn jede Stadt die Musik verdient, die sie hervorbringt, würde ich tippen, dass dieses dudige Dude-Gebrüll aus München kommt. Sorry, aber ich werde in diesem Leben kein Fan mehr. Allerdings geht das sehr vielen Menschen anders und darüber kann ich mich ehrlich freuen. Feiert den Bullen-Emil! Feiert! Feiert! Feiert! Denn die nächste Welle rollt längst auf uns zu. Feiert! FEIERT! FE!3RT!!11elf!

Schlimmer geht immer. MOSCOW DEATH BRIGADE sind eine hardcorige Hip-Hop-Gruppe, der man auf jeden Fall zugutehalten kann, dass sie sich sehr eindeutig gegen Rassismus, Sexismus und den ganzen Scheiß positioniert. „Musikalisch“ jagen sie mich allerdings schnell wieder weg.

Dadurch bietet sich die Gelegenheit, bei BLEED FROM WITHIN vorbeizuschauen. Abgesehen vom Bandnamen scheint es bei den schottischen Deathcore-Guys allerdings nicht um Menstruation zu gehen. Wobei ich nicht ausschließen möchte, dass das gradlinig-brutale Knüppelgebrüll nicht vielleicht tatsächlich helfen könnte, wenn man von Unterleibsschmerzen geplagt wird. Überzeugt euch selbst auf der aktuellen LP „Shrine“!

Wie wäre es jetzt mit einer Portion Sushi? GHØSTKID lassen die Hardbowl Stage beben. Aber ja, wie die meisten bin auch ich bei der Trennung von Sushi und Kevin im Team ELECTRIC CALLBOY geblieben, aber gerade tut es sehr gut, Sushis charakteristische Stimme mal wieder im Ohr zu haben.

GHØSTKID funktionieren, aber fixen mich nicht genug an, um nicht doch noch mal bei ROTTING CHRIST vorbeizuschauen. Die habe ich weniger melodisch und eingängig erwartet, aber das lag dann wohl an meinen falschen Erwartungen. Voll schön, halt auch ab und zu etwas richtigen Metal zu hören zu bekommen. Und der Strand tut der Stimmung auch echt keinen Abbruch! Da kann man auch gern noch mal ein Öhrchen ins immer noch aktuelle Album „The Heretics“ legen.

Ja, und dann war da noch Leo Moracchioli mit seiner Pop-to-Mainstream-Metal-Kapelle FROG LEAP. Ich habe lange vermieden, mir das Zeug jenseits von YouTube anzugucken. Jetzt muss ich da durch. Der Titelsong von Ghost Busters funktioniert schon mal fast. Ist halt Ghost Busters. Mit Metal unterlegt. Und dann kam...Ach, geht auf setlist.fm und schaut dort nach! Es kam halt, was Leo so macht. Das macht er nicht schlecht, aber auch nicht besonders gut. Er macht es halt. Vielleicht muss es irgendwer machen. Meistens haben die Originalversionen mehr Charme und Charakter. Live ist der Bass immerhin geil. Und auch wenn ich das nicht sehr feiere, sehe ich zahllose tätowiere Gestalten, die das Tanzbein schwingen. Läuft also!


(c) Ralf Hawaii

Ja, nee, doch noch ein Nachtrag: Leos Ego-Karaoke-Party spielt entweder Songs, die einen nicht interessieren, oder Songs, die man mag und deswegen nicht besonders gut findet, was er damit anstellt. Und wenn dann die hässliche Sonne des plumpen Sexismus aufgeht, ist es Zeit, die Segel zu setzen. Bevor du nach "Titten" bettelst, schau lieber noch mal auf deine eigene Nudel, Herr Makkaroni!

Interessanterweise hat die Sängerin Jules Mitch von SETYØURSAILS ihr Publikum nicht darum gebeten, ihre Geschlechtsorgane zu präsentieren. Vielmehr haben sie und ihre Band hervorragende – eigene! – Songs gespielt. Das weiß das mitgehende Publikum vor der Backyard-Stage offensichtlich zu schätzen und feuert die Band aus Köln mächtig an. „Nightfall“ heißt ihre neuste Platte und die nehme ich mal als Gelegenheit, mich in die Nacht hineinfallen zu lassen, um noch ein wenig Kraft für den dritten Tag übrig zu haben.

Klickt auch morgen wieder rein, denn das hier war erst Tag 2 von 3!

Tag 1 verpasst? Den gibt es hier!


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