24.06.2022, Ferropolis, Gräfenhainichen

FULL FORCE 2022: Teil 1 – Heiße Kaiju-Zombie-Eier-Legenden am Freitag

Text: Jazz Styx
Veröffentlicht am 04.07.2022

Drei Jahre Warten finden ihr Ende, als das Full Force Festival am 24. Juni 2022 endlich wieder stattfinden darf. Auf der Insel in der Stadt aus Eisen im Süden von Sachsen-Anhalt stehen vier Bühnen in der Sommerhitze und locken drei Tage lang mit Metal und Core.

Natürlich gibt es Unschönes zu berichten. Allem voran das bargeldlose Bezahlsystem, dessen Aufladung bei 40 Euro beginnt, das trotz seiner Alternativlosigkeit Gebühren kostet und nie den korrekten Kontostand anzeigt in der App, die selbst eine ganze Sammlung von Kritikpunkten verdient, die spätestens dann relevant werden, wenn man bedenkt, dass sie anscheinend das einzige System ist, das über Planänderungen im Ablauf des Festivals informiert, aaaaaber mit diesem kurzen, langen Absatz sei der Unmut abgehandelt und wir starten in die übelst heißeste Core-Party von ganz Gräfenhainichen!

Starten wir? Ich weiß es nicht! Irgendwie sollten GUTALAX – nicht zu verwechseln mit gutem Lachs – doch schon seit einer halben Stunde ihren Grindcore-Porngrind-Goregrind-Goreporn-Coregrind-Durchfall [die eigentlich korrekte Bezeichnung für den GUTALAX-Stil lautet Klobürsten-Grind. Anm. d. Lektorats] über die Medusa Stage am Strand ergießen. Vielleicht hat man festgestellt, dass es dumm wäre, so früh auf dem Festival schon alles in ewig stinkendes Kackbraun zu tauchen – und das bei der Hitze! Das zieht doch Fliegen an und beschwört Fieberfantasien. Im monströsen Kaiju-Format steigt Furzi, die gigantische Scheißhausfliege aus dem Gremminer See und pflanzt den Festivalbesuchern ihre Fliegenlarven in die weichgekochten, alkoholgeschwängerten Leiber, wodurch sie in willenlose Zombies verwandelt werden, die nur noch durch Metalcore zu stoppen sind.


(c) Ralf Hawaii

Mit dieser ausbleibenden Scheißerfahrung wechsele ich zurück in eine nur wenig wirklichere Dimension, in der die äußerst alltäglichen ANY GIVEN DAY von der Mainstage, der Mad-Max-Bühne, in meine Gehörgänge kriechen – wie jeden Tag. Wie jeden Tag? Nein, absolut nicht! Sondern wie am ersten Tag nach drei verdammten Jahren Wartezeit auf die einzig wahre Lebenserfüllung – Festivalfeeling! Endlich wieder! Da sind ANY GIVEN DAY genau der richtige Einstieg. Das sind nämlich die, die vor ca. 100 Jahren mal dieses überragende „Diamonds“-Cover gemacht haben. Seitdem sind sie nur besser geworden. Heute sind sie regelrecht gut! OK, die Ansagen sind nur so halbgut. Ich hatte vergessen, wie wenig ich dieses Kasperletheater-Blabla von der Bühne vermisst habe: „Seid ihr alle daaaaa?“ Aber hey. Fuck it! Party! Außerdem traue ich mich noch immer nicht, Sänger Dennis Diehl wirklich zu kritisieren, weil er noch immer so aussieht, als würde er die Sänger anderer Metalcorebands zum Frühstück verzehren – ohne Ketchup! Also hört rein in die aktuelle Platte „Overpower“, sonst snackt er auch das Personal eurer Lieblings-Herz-Schmerz-Kapelle weg!

Zeitgleich rotzkeifgröhlt Kat Moss von SCOWL reichlich unmodelhaft ihren Knüppel-Hardcore-Punk in quasi grindcorekurzen Songs von der neusten und kleinsten Bühne des Full Force herunter. Geradezu hinterhofromantisch kommen vor der Backyard Stage zwischen bröckelnden Gemäuern und getürmten Containern Oldschool-Hardcore-Show-Erinnerungen hoch, die ich allerdings nie gesammelt habe. Ist meinem zarten Gemüt zu tough! Ich bin nicht hardcore! Du schon? Dann hör mal rein ins Debütalbum „How Flowers Grow“von SCOWL!

Als wäre es der Soundtrack zu den Änderungen im Timetable, weht „Wind Of Change“ von der Hauptbühne durchs sonnengebratene Ferropolis. Wer hätte gedacht, dass dieser Song mit auf die Ukraine angepasstem Text und im Style von ANY GIVEN DAY so überragend gut funktioniert?

Und wie passend ist es bitte, dass WARGASM leider nicht auftreten! Als hätte der Song den War vertrieben. Leider ist nicht der Krieg abgesagt, sondern das Konzert von WARGASM. Damit fällt sehr guter Elektropunkposthardcorenumetal aus. Gestrichene Flüge! Weltpolitische Realität sollte keinen Einfluss auf Festivals haben! Da sollte mal jemand eine Petition starten!

Also weiterziehen. An NECK DEEP vorbei, die beweisen, dass die Skater-Mukke der 90er nicht tot ist, zurück zur Hinterhofbühne, wo jetzt die ZOMBIEZ Rap-Metal der ultimativen Extraklasse rauskotzen werden – hoffentlich!

ZOMBIEZ haben nämlich längst präsentiert, dass ihr metallisierter Hip-Hop auf Platte funktioniert: „Zatan lebt!“. Live hingegen kämpfen sie mit dem typischen Rap-Problem, dass alles mehr oder weniger nach wütenden Typen mit Ghetto-Manieren klingt. Außerdem dürfen wir uns ihren Gitarristen nur vorstellen. Irgendwie sei der tot. Hoffentlich nicht wirklich! Nee, scheint das Konzept zu sein. Alles ist tot. Geht ja um ZOMBIEZ. Na, dann hat sich das sicherlich auch mit der Mütterbeschlaferei erledigt. Und bitte kommt mir jetzt nicht noch mit Nekrophilie!

OK, Hip-Hop kann man natürlich hassen oder aber auch richtig doll hassen. Deswegen ziehe ich weiter zur Medusa Stage, wo Gerüchten zufolge richtig echter Metal gehört worden sein soll. Also Metal, der auch nach Metal klingt. Nicht nach Pop, nicht nach Trap, nicht nach Rap, nicht nach Core, sondern nach Metal. So was soll es noch geben! Irgendwas zwischen Groove Metal und Melodic Death Metal. Und es ist sogar metallic genug, um aus metalmotherfucking Schweden zu kommen. ORBIT CULTURE! (Nicht Morbid Couture, aber die wird hier auch reichlich getragen.) Wie es sich für ein echtes Metal-Publikum gehört, das den ganzen Strand besetzt hat, wird hier bei allem astreinen Geknüppel bestenfalls mit einem Zeh im Stiefel mitgewippt – mehr wäre hysterisch! So soll das sein! So läuft das! Weitermachen! Reinhören! Ins aktuelle Album „Nija“. Naja? Ach so!

Und dann kommen ZEAL & ARDOR. Leider nicht wie letztes Mal in der Dämmerung am Strand, sondern auf der Mainstage. Logisch. Die Band wächst. Schnell. Zu recht! Aber ich will gar nicht über ZEAL & ARDOR schreiben, denn für den Amerikaschweizer Manuel Gagneux und seine Band gibt es schlichtweg keine Sprache. Wer heute den Black Gospel Metal von ZEAL & ARDOR live hört, wird noch seinen Urenkeln von diesem Moment erzählen. Ich weiß, dass ich Übertreibungen streue, wie Assi-Toni seinen Samen und bei dem soll es bekanntlich mehr Snu Snu als Pi Pi gegeben haben, aber an dieser Stelle meine ich es 100% ernst. Es gibt nichts besseres als ZEAL & ARDOR! Merkt euch meine Worte: ZEAL & ARDOR werden noch dahin reifen, bald als die beste Metalband unserer Generation zu gelten. Das sind sie längst, aber es werden noch viel mehr Menschen erkennen! Einfach mal reinhören! Egal in welches Album, welche EP, welchen Song! Meinetwegen lauscht auch nur dem verfickten Echo des Schicksals, denn es spielt ZEAL & ARDOR! Kannst du es hören? ZEAL & ARDOR sind alles, alles auf der Welt! Und sie haben meinen Nacken ruiniert. Am ersten Festivaltag. Ich bin zu alt für den Scheiß!

Schneller Wechsel zu SUICIDE SILENCE, die erst einmal Mitch Lucker (verstorbener Sänger der Band) ehren und seine besondere Verbindung zum Full Force herausstellen, bevor sie übelstes Deathcore-Gemetzel über den Strand schicken. Ich sollte das mehr genießen, aber nach ZEAL & ARDOR ist alles andere nur noch Musik. Und trotzdem: „Seconds from the end, what's it gonna be? Pull the trigger, bitch!“ Sekunden vom Ende fühle ich mich auch. Mein Hirn ist von der Hitze gegrillt, mein Körper von der frenetischen Anbetung bei Z&A dem guten Lord – „the dark one“! – näher denn je. Ich sollte schlafen!

Mit den letzten Energiereserven geht es nach SUSI noch zu VEIN.FM, aber der Symphonic Power Metal von AMARANTHE auf der Mainstage überpoppt alles. Kann man mögen, muss man aber nicht. Ich muss schlafen!


(c) Ralf Hawaii

Aber es spielen doch noch BULLET FOR MY VALENTINE! Und zum Glück trage ich Furzis Kaiju-Eier NECK DEEP in meinem untoten ZOMBIEZ-Körper. So bin ich doch noch in der Lage, in vollem Unbewusstsein bei den waliser Heavy-Metalcore-Legenden den Macarenapogo of Teenagergefühlen zu tanzen – im Sitzen … oder liegen … im Halbschlaf … oder Koma. Nein, nein, ich kann mich bestens an alles erinnern! Oder an vieles! Oder an einiges! Immerhin an irgendwas! Da war doch dieser eine kolossal machtvolle Satz: „You want a battle? Here's a war!“ Da hilft auch kein "Wind Of Change" mehr! Der Rest versinkt im Burgundergrau der Weinseligkeit und in der Erschöpfungsumnachtung der übermenschlichen Müdigkeit.

Festival! Ich hatte es fast vergessen! So fühlt sich das also an! Geil!

Klickt auch morgen und übermorgen wieder rein, denn das hier war erst Tag 1 von 3!


WERBUNG: Hard
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