11.06.2020, Pannonia Fields II, Nickelsdorf

Nova Rock 2020 - das Festival das nie stattfand: Tag 2

Veröffentlicht am 12.06.2020

Nova Rock 2020 ist abgesagt – wie alle namhaften oder nicht so namhaften Festivals nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa, ja, weltweit. Es war ein Schock für die Freunde harter Musik, dass das renommierteste Festival unseres Landes wie so viel andere Veranstaltungen der Pandemie zum Opfer fiel. Getreu nach dem Motto „You can't cancel Rock'n'Roll!“, haben wir uns Gedanken gemacht, wie Nova Rock 2020 aussehen hätte können, wenn das Festival unter Einhaltung aller Corona-Sicherheitsrichtlinien doch stattgefunden hätte.

Hierzu haben wir uns in die Person eines durchschnittlichen Festivalbesuchers versetzt und seine fiktiven Erlebnisse auf dem Festival das nie stattfand protokolliert. Vielleicht hie und da ein klein wenig übertrieben und nicht vollends ernst gemeint, präsentieren wir euch nun den zweiten fiktiven Festivalbericht zum legendären Nova Rock 2020! (Reihenfolge und Spieltage der Bands evtl. inkorrekt)


Tag 2 – Donnerstag

Überraschenderweise habe ich gut geschlafen. Zumindest dachte ich das, bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich versuchte den Knoten, den mein Körper auf der Rückbank meines Autos gebildet hatte, auseinander zu flechten. Jetzt liege ich in den Strahlen der frühen Morgensonne auf der Wiese außerhalb des Autos (ohne Maske!), meine Gliedmaßen zucken vor Schmerz und ich hoffe einfach, dass mich niemand sieht und in Quarantäne steckt. Ein Stückchen weiter vorne sehe ich jemanden, dem es den Zuckungen und den Schmerzlauten nach ähnlich geht (allerdings hat er pflichtschuldig den Mund-Nasen-Schutz umgebunden) – zumindest bin ich nicht alleine. Während ich so da liege und darauf warte, dass der Schmerz nachlässt, lege ich mir in Gedanken einen Plan zurecht. Denn ich konzentriere mich auf eine Bühne und will nach vorne – ganz vorne.

Nachdem sich mein geschundener Körper wieder einigermaßen dazu durchgerungen hat seine wichtigsten Funktionen zu erfüllen, nämlich aufrecht zu stehen, übe ich mich in notdürftiger Körperflege – ob und wo es Duschen gibt weiß ich nicht einmal, aber vermutlich muss ich für die Benutzung mindestens einen halben Tag warten und zusätzlich eine Niere abgeben – dann stopfe ich meine Habseligkeiten für den Festivaltag (inklusive heller Maske zum Wechseln, der gestrige Tag hat mich einiges gelehrt...) in meine Tasche und stapfe unter Anleitung der App los. Glücklicherweise habe ich mein Handy über Nacht geladen...

Den strapaziösen Marsch in der stetig heißer werdenden Vormittagssonne nutze ich dazu, eine Dose lauwarme Dosenravioli über möglichst lange Zeit mich hinein zu schaufeln – bei Essen muss ich nämlich keinen Mundschutz tragen. Bewegung scheint tatsächlich gegen den Muskelkater zu helfen, denn mit jedem Schritt ebbt der Schmerz weiter ab und bis ich am Eingang des Festivalgeländes angelangt bin, fühle ich mich tatsächlich einigermaßen fit. Dass meine Füße stattdessen ein gewisses Taubheitsgefühl aufweisen, ignoriere ich geflissentlich.

Die Schlange am Eingang ist am Vormittag noch überschaubar und ich bin tatsächlich nach nicht allzu langer Wartezeit mit Babyelefantenabstand an der Reihe - Fieber messen, Ticket checken, Ausweis checken, App checken, Taschenkontrolle vom Marsmännchen – los geht’s! Der erste Weg führt mich zum Bierstand, wo ich mich mit überraschend wenig Wartezeit gleich mit drei Großgebinden Bier eindecke. Danach mache ich mich auf zur Hauptbühne, um den Platz meiner Träume zu ergattern. Nachdem ich dem etwas unentspannten Security am Kontrollpunkt vorm Bühnengelände glaubhaft versichert habe, dass die drei Kübel (zwei in der Hand, den angetrunkenen in den Gürtel eingehängt, damit ich möglichst nichts verschütte) wirklich ausschließlich für mich sind, sehe ich mich am Bühnengelände, das ich gestern quasi nur von Hinten gesehen habe, um. Akribisch studiere ich die App und entdecke einige grüne Punkte in Bühnennähe. Zielstrebig schiebe ich mich von Feld zu Feld, passiere den FOH, belege ein Feld mit Sicht zur Bühne und richte mich häuslich ein. Den Rest des Tages werde ich ständig ein Auge auf die App haben um meinen Platz stetig zu verbessern.

Es dauert, bis dass das Programm mit BOSTON MANOR endlich beginnt. Während die Sonne höher klettert und auf meiner Haut brennt, wird mir klar was ich heute Morgen vergessen habe – die Sonnencreme. Aber zurückgehen ist keine Option. Nicht unter diesen Umständen. Der doch eher seichte Pop-Punk der motiviert auf der Bühne herumhopsenden Briten (ich kann tatsächlich Menschen auf der Bühne erkennen!) schallt über das Gelände, doch irgendwie erreicht mich das eingängige Liedgut nicht so wirklich. Stattdessen entdecke ich ein frei gewordenes Feld, eine Reihe näher zur Bühne, ziehe schnell meine Maske über und tänzle elegant mit meinen Bierkübeln unter Protesten meiner App quer durch drei andere Felder auf meine neue Position. Die Sonne wird schön langsam unangenehm auf meiner Haut und die Hitze macht die Wartezeit auf den nächsten Act unerträglich.

Dafür entschädigen mich BATTLE BEAST mit einer energiegeladenen Bühnenshow, auch wenn Brüllwürfel Noora ebenfalls sichtlich mit der unfassbaren Hitze zu kämpfen hat. Dass sich das Publikum nur mäßig begeistert zeigt, während sie am Vortag die Zwillingsband BEAST IN BLACK (gegründet vom rausgeworfenen Ex-Gitarristen von BATTLE BEAST) augenscheinlich ordentlich abgefeiert haben, irritiert mich etwas. Ich schiebe es allerdings auf die Hitze, da sich die Leute in den umliegenden Feldern ähnlich lethargisch zeigen und nur verhalten Applaudieren – links neben mir hat sich jemand aus zwei Bierkübeln und einem T-Shirt ein Sonnensegel für seinen Kopf gebastelt – den Sonnenbrand auf seinem T-Shirt-losen Körper möchte ich nicht haben.

Während meine App mir, warum auch immer, QUERBEAT auf der zweiten Hauptbühne vorschlägt, perfektioniere ich meine Publikumsschach-Fähigkeiten und rücke durch strategisch kluge Moves bis in die fünfte Reihe vor der Bühne vor. Gerade als DEVIN TOWNSEND für sein Prog-Spektakel die Bühne entert, mache ich einen grünen Spot in der zweiten Reihe aus und mache mich sofort auf den Weg – kurz bevor ich meinen Querschläger über fast 20 Felder beende, tritt ein Konkurrent in das Feld ein und es springt auf Rot – VERDAMMT! Hektisch mache ich kehrt, doch mein vorheriges Feld ist ebenfalls belegt. Meine App randaliert, während ich unter den vielschichtigen Prog-Klängen des Großmeisters kreuz und quer durch das Gelände haste, auf der panischen Suche nach einem grünen Fleck. Mit Desinfektionsmittel bewaffnete Securitys sind bereits auf mich aufmerksam geworden und bewegen sich zielstrebig in meine Richtung. Panik steigt in mir auf, als die Securitys mit strengem Blick und Abstand mit der Desinfektionsspritze zuerst auf mich und dann nach hinten zeigen. Geknickt lasse ich mich von den schrankartigen, vermummten Kreaturen eskortieren. Dann, jäh, springt kurz vorm FOH ein Feld auf grün – ich nehme es geistesgegenwärtig in Beschlag und zeige den Securitys stolz das grüne Häkchen auf meiner App. Murrend machen die beiden Bulldoggen kehrt und ich kann zumindest noch einen Teil der Show von DEVIN TOWNSEND genießen – aufgrund einer Intelligenzbestie vor mir, die fortwährend mit ihrem Shirt in der Luft herumwedelt, wechsle ich auf die App, um HeavyDevy genauer auf die Finger zu schauen. Glücklicherweise war einer der Bierkübel während meiner hastigen Flucht schon leer, so habe ich durch das unglückliche Intermezzo wenigstens nichts von meinen Getränken verloren.

Ich beschließe es dennoch noch einmal zu wagen und arbeite mich während der Wartezeit und dem Auftritt der 90er-Crossover-Truppe H-BLOCKX listig wieder weiter nach vorne. Ich unterbreche das akribische Studium der App nur, um die härteste „Ring Of Fire“-Coverversion genau wie sehr, sehr viele Anwesende gebührend abzufeiern, dann konzentriere ich mich wieder gänzlich auf meine Strategie. Das unangenehme Brennen auf meiner Haut ignoriere ich dabei.

Als MOTIONLESS IN WHITE ihre Nova-Rock-Premiere bestreiten, habe ich mich bis in die vierte Reihe vor der Bühne vorgeschlängelt. Das Blastbeat- und Breakdown-Gewitter der Truppe aus Pennsylvania sägt angenehm in meinen Ohren und ich finde es extrem schade, dass Moshpits, Circlepits und Crowdsurfing aufgrund der diesjährigen Gegebenheiten weder erlaubt noch überhaupt möglich sind. Es juckt augenscheinlich so einige Leute gewaltig, trotz der Hitze einen rabiaten Moshpit anzuzünden, doch die Gefahr von Securitys oder gar Seuchenschutzmännchen mit Babyelefantenabstand vom Gelände gescheucht zu werden, ist zu groß. So müssen es eben der Applaus und ein lautes Zuprosten richten.

In der Pause geschieht es. Erste Reihe. Mittig vor der Bühne. Ein grünes Feld leuchtet in meiner App auf. Ich reagiere instinktiv – Maske auf, die zwei noch verbliebenen Bierkübel, einer noch fast voll, einer beinahe leer, geschnappt – aus dem Augenwinkel sehe ich einen Konkurrenten, eine Reihe weiter vorne, der dieselbe Idee und räumlichen Vorteil hat. Ohne zu zögern schleudere ich ihm im Laufen meinen Bierkübel von hinten zwischen seine Beine, sodass er strauchelt und fällt. So entscheide ich das Rennen für mich. ICH HABE ES GESCHAFFT!

Mein Konkurrent indes weiß nicht woher der Kübel gekommen ist und beschuldigt den Besitzer des Feldes in dem er gestrauchelt ist. Süffisant grinsend bemerke ich, wie sich sowohl sein als auch mein ehemaliges Feld wieder nachbesetzen und rot färben, während die beiden Streithähne in eine handfeste Keilerei verfallen. Kurz darauf stürmen mehrere Securitys die Szenerie und trennen die beiden Streithähne. Beide werden weggebracht und den Männchen in ihren Seuchenschutzanzügen übergeben. Ich verschwende keinen Gedanken daran, wie es den beiden Kontrahenten jetzt wohl ergehen mag und wie sich die armen Schweine in diesen Ganzkörperkondomen in der sengenden Hitze fühlen mögen. ICH. BIN. VORNE.

Zufrieden lehne ich mich an die heißen Stahlbarrikaden vor der Bühne, die in der sinkenden Sonne Schatten spenden und stürze den halben pisswarmen Inhalt des letzten Kübels hinunter. Wenn man es schnell trinkt, geht es eigentlich. Während OF MICE AND MEN den Härtegrad noch einmal anziehen, bevor dann die Hymnen von ALTER BRIDGE in den Abendhimmel erschallen werden, beginne ich müde zu werden. Keine Frage, OF MICE AND MEN, die bereits als Support von Größen wie LINKIN PARK, FIVE FINGER DEATH PUNCH und BULLET FOR MY VALENTINE ihre Sporen verdient haben, sind verdammt gut. Aber so ein klein wenig ausruhen darf man sich dann doch auch einmal, zumal die Temperaturen jetzt endlich wieder ein bisschen erträglicher werden. Glücklich schließe ich die Augen und lasse mir vom etwas übersteuernden Bass Rücken und Schultern massieren. Ein kurzes Nickerchen wird schon drin sein...

Jemand stupst mich an. „Abstand!“ raunze ich automatisch und drehe mich in die andere Richtung. Wieder stupst mich jemand an. „Abstand!“ schimpfe ich noch einmal. Doch trotzdem werde ich noch einmal, ungleich unsanfter, angerempelt. „Was zum..“ setze ich an, und fahre hoch. Ich blicke in die Gesichter von mehreren Securitys, die einen Halbkreis um mich gebildet haben. Einer von ihnen hält eine Stange in seiner Hand, mit der er mich wohl angestoßen hat. Es ist stockfinster. Und sehr still.

„Würden sie sich jetzt bitte zurück zu ihrem Auto begeben? Das Gelände ist geschlossen.“ Moment, WAS?! Ich werfe einen erschrockenen Blick auf meine App – es ist weit nach Mitternacht. Ich habe ALTER BRIDGE und VOLBEAT verschlafen! Ich grunze eine Entschuldigung, exe aus Frust den lauwarmen Rest meines Kübels und trotte unter den Argusaugen der Security dem Ausgang entgegen. Ich könnte mich ohrfeigen.

Mit Grant im Bauch stelle ich mich noch bei einem Bierstand an, um wenigstens noch irgendetwas Kühles durch meine Kehle rinnen lassen zu können, während irgendwo im Hintergrund die enervierende Utz-Utz-Musik von SCOOTER dröhnt, die den Late Night Act des heutigen Festivaltags geben. Was speziell die Leute aus der Metalszene an dem Hyper-Hyper-Geschrei des wasserstoffblondierten Deutschen finden, wird mir auf ewig verschlossen bleiben. Dass der Bierstand dann ausgerechnet ein paar Leute vor mir seine Ausgabeluke schließt, bringt mich innerlich dem Kochen nahe. Wütend hämmere ich den Befehl zum Rückweg zum Auto in meine App und kicke unterwegs jeden Bierkübel weg, der mir unterkommt. Einer davon trifft einen unschuldigen Besucher, der mit einem Schmerzensschrei zu Boden geht. Ich ergreife im entstehenden Tumult schnell die Flucht.

Die gefühlten 100 Kilometer Rückweg heben meine Laune nicht. Die gefühlt mehrstündige Wartezeit vor dem Scheißhaus, dass ich dafür mit einer lautstarken Explosion und einer Einlage mit Biowaffenfähigkeit beglücke, ebenfalls nicht. Mit grimmiger Zufriedenheit nehme ich Notiz, wie der Desinfektions-Prinz von meiner Duftbombe rückwärts wieder aus dem Dixi geschleudet wird. Zurück am Auto exe ich eine 1,5l-Flasche pisswarmes Mineral und knacke die Ravioli-Dose mit bloßen Händen. Ich reiße mir das stinkende Shirt vom Leib und dusche mich mit der nächsten Flasche Mineral. Das lauwarme Wasser spült den Staub und Dreck von meinem Körper und entzündet ein feuriges Brennen auf meiner Haut. Ach ja, der Sonnenbrand. Ich suche erfolglos nach der Sonnencreme, während ich eine zweite Dose Ravioli inhaliere. Dosen und Plastikflaschen pfeffere ich mit dem Nachdruck der Wut die in mir gärt irgendwo in die Botanik – mir scheißegal wer sie abkriegt, oder wessen Auto eine Beule vom Dosenhagel davonträgt.

Erneut werfe ich das Auto an, um eine halbwegs angenehme Temperatur für die Nacht zu erhalten. Während ich versuche eine bequemere Position als am Vortag zu erlangen, drängen die geexten 1,5l Mineralwasser wieder zurück in die Natur. Ich reiße genervt die Autotür auf, uriniere kurzerhand ans Auto meines Nachbarn und versuche dann noch einmal zu schlafen.

 


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