12.08.2018, Kampnagel, Hamburg

CHELSEA WOLFE & PETER WOLFF

Text: Jazz Styx
Veröffentlicht am 14.08.2018

Das dunkle Wolfsrudel sammelt sich: CHELSEA WOLFE tritt mit ihrem düsteren Programm „Hiss Spun“ im Hamburger Kampnagel auf. Im Vorprogramm spielt PETER WOLFF.

Durch ausgesprochen pinke Messehallenatmosphäre verlasse ich den Sommerfestival-Innenhof und betrete die Dunkelheit, die für den wolfigen Abend bereitgestellt wurde. Darin tummeln sich alle möglichen Gäste, vorwiegend aber Nachtgestalten zwischen Gothic, BDSM und Metal – und ein älteres Ehepaar. Die beiden sind sich noch unsicher, ob sie hier richtig sind. „Keine Stühle!“, wundern sie sich. Ziemlich niedlich – und etwas gespenstisch, wie ihre tiefen Gesichtsfurchen im mattblauen Licht bizarre Schatten in ihre totenfahlen Gesichter werfen. Omis Telefonat mit ihrem Sohn oder Enkel Kevin offenbart jedoch, dass sie tatsächlich zu CHELSEA WOLFE wollen. Unterdessen wirft ein Beamer das Bewegtbild eines Gullideckels unter fließendem Wasser (reine Vermutung) an eine Leinwand.

PETER und der WOLFF und das Meer

Vorab hören wir PETER WOLFF. Passt namentlich ja ganz gut. Das erklärt Omi am Telefon auch ihrem Enkel und lacht sich kaputt. Siebenmal. „Kevin! Hörst du mich? Ist doch witzig! Findest du nicht? Ist doch witzig! Der heißt auch Wolf!“
Brüllender Lärm mit der akustischen Qualität von USB-Boxen ohne eigenen Stromanschluss scheppert durch die Halle. Das kann ja heiter werden! Die Dunkelheit macht mir das Schreiben von Notizen beinahe unmöglich. Auch das kann ja heiter werden!

Was der ehemalige Gitarrist von DOWNFALL OF GAIA da an seinen elektronischen Geräten zusammenzaubert könnte der Soundtrack zu leicht psychedelischen Tiefseeaufnahmen sein. Klingt tief, trifft aber nicht tief. Es ist langsam, ausgeglichen und schwer, sehr, sehr schwer. Das tiefblaue Leuchten umgibt ihn wie das Meer. Nicht das Meer der coolen Summer-Club-Raver-Surf-Teens an der sonnigen Oberfläche. Auch nicht das Meer der unnachgiebig vernichtenden Leere wie bei SLOWs „V – Oceans“. Eher ein deskriptiv betrachtetes, dokumentarisch in Erfahrung gebrachtes Meer.
Elektronischer Ambient Bore Doom von der Solo-Debüt-Platte „Repeat“. Klingt vorwurfsvoll, aber nur, weil so viele Menschen die tiefe Schönheit der bewussten Langeweile unterschätzen. PETER WOLFF zeigt sie uns in akustischer Form. Leider findet das Konzert nicht in einem Salzwasser-Floating-Becken statt, sondern in einem angesichts der Bässe überall klappernden Sauna-Kasten. Zur Musik hätte eine milde Kälte besser gepasst als diese unnötige Hitze (sogar draußen ist es kühler).


(c) Björn Franck

„Flux, Hiss, Welt, Groan“

Als CHELSEA WOLFE endlich beginnt, gehört 22 Uhr schon eine ganze Weile zur Vergangenheit. Die Nacht passt zwar zum Ambiente, auch wenn man sie in diesem Schwitzkasten nicht bemerkt, aber besonders nett sind diese Zeiten für die arbeitende Bevölkerung nicht. Egal. Äußerst ästhetisch ist, was Chelsea und ihre Band da durch die Box brummen lassen. Dazu wummert das Licht durch den Nebel – oder aber es bildet schneidende Strahlen oder Stroboskopgewitter. Jedenfalls wird man brutal geblendet. Aber immerhin ist es perfekt auf die Musik abgestimmt und durch die Farbgebung weiß man genau, wann man applaudieren soll. Kapiert trotzdem nicht jeder.

Die Musik von CHELSEA WOLFE wird oft aus Pop-Perspektiven mit allerlei morbid-schwarzer Dunkelheits- und Tod-Metaphorik umrissen. Wenn man sonst aber durch die tiefsten Winkel des Depressive Suicidal Black Metal und die dunkelsten Täler des Funeral Doom wandert, ist die Düsterkeit von CHELSEA WOLFE nur seicht. Negativ wertend muss dieser Umstand aber nicht aufgenommen werden. So geht es Chelsea mit ihrem experimentellen Folk Gothic Doom Metal wohl auch nicht darum, Gefühle von Angst, Verzweiflung und Trauer zu maximieren, sondern vielmehr darum, eine ganz eigene Klangästhetik aufzubauen, in der das dumpfe Dröhnen der Instrumente von ihrem Gesang als weiteres Instrument zerschnitten wird. Mitunter sind es scheinbar averbale Laute oder einzelne Wörter, die die schattenhafte Dame von sich gibt und gerade dadurch so sehr ins Schwarze trifft. So beweist die Amerikanerin, dass ihr Liveprogramm „Hiss Spun“ ebenso gut funktioniert wie ihre aktuelle Platte „Hiss Spun“.


(c) Björn Franck

Die dunkle Menge, die zwar außer Nicken kaum Bewegung zeigt, aber wie gebannt wirkt, scheint das genauso zu sehen. Abgesehen vielleicht von Gustav, der das Konzert wohl mit einem Goa-Happening verwechselt hat – oder erfolglos versucht, sein ADHS mit einer Selbstmedikation aus LSD und Pilzen in den Griff zu bekommen. Wahrscheinlich heißt er gar nicht Gustav, aber so kurtig, wie er seine Michaeligkeit durch die Johannistik stephant, pault er auch noch vor Sebastian den Frederik. [Anm. d. Lekt.: Medikation für den Kollegen erhöhen. Unseren.]

Wo war ich? Ach ja, auf dem Heimweg von einem starken Konzert, bei dem CHELSEA WOLFE sehr überzeugen konnte, PETER WOLFF aber etwas beliebig durchs Aquarium geblubbert ist. OK war die Location, OK der Sound – mehr leider nicht. Obwohl ich sehr zufrieden mit dem Abend bin, gibt es auch eine kleine kopfschüttelnde Gestalt in mir, die aber wohl auch bei Beuys und Miró so dumm wäre, zu behaupten, dass sie das auch könnte. Dieser Gestalt erscheint Doom als das, was man macht, wenn der Gitarrist nicht mehr kann als der Bassist. Und Chelseas hohen Töne weiß er auch nicht von Katzengeschrei zu unterscheiden. Aber diese Gestalt hat nichts zu sagen und so lächele ich in die tiefe Nacht und empfehle die Konzerte von CHELSEA WOLFE weiter.


​Alle Fotos in diesem Livereport wurden von Björn Franck am 04.08.2018 in der Wiener Arena aufgenommen.
Hier geht's zur vollständigen Gallerie.


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