14.07.2018, Bäckerberg, Scharnstein

Sick Midsummer 2018

Veröffentlicht am 20.07.2018

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Sie sind schon was feines, diese kleinen Festivals irgendwo im Nirgendwo. Unser journalistisches Dream-Team Anthalerero und Mike war für euch am neunten SICK MIDSUMMER unterwegs, um ein paar Impressionen dieses einzigartigen Metal-Events und „schönsten Festival Österreichs“ (O-Ton Anthalerero) auch in Bild- und Textform für die Nachwelt zu konservieren.

Die Anfahrt auf den Bäckerberg, nahe der oberösterreichischen Alpenvorlandmetropole Scharnstein, ist ein wenig tricky. 18 Kilometer geht es vom Tal aus über Güterwege, durch Gehöfte, vorbei an Wiesen und durch Wälder, bis man sich denkt: Alter, da kommt nichts mehr. Doch dann, ein Schild! „Sick“ sagt es uns, und wir wissen, hier sind wir am rechten Weg. Das SICK MIDSUMMER-Festival hat durch diese exponierte Lage etwas exklusives, fast wie eine elitäre Privatparty. Die Location: ein sehr allein auf weiter Flur gelegener Bergbauernhof, dessen Besitzer sich hauptsächlich der Rotwild-Zucht widmen, und wenn man genau hinschaut, dann sieht man sie auch, die Hirsche und Hirschkühe, die sich im Schatten auf ihrer Weide in sicherer Distanz zum lärmenden Metal-Volk ausruhen.

Man kommt, sieht, und fühlt sich wohl. Es gibt einen übersichtlichen Park- und Campingplatz, das Gelände ist klein und gut strukturiert, in der Garage ist eine Bar mit Disco-Appeal, davor gibt’s lecker Kuchen, Chili und Dal (ein indisches Linsengericht) vom offenen Feuer, und natürlich Leberkäsesemmeln. Weiter unten betritt man durch ein geräumiges Merch-Zelt den Innenhof des für diese Gegend typischen Vierkantbaus. Hier befindet sich die Bühne und man kann sich bei zwei Bars mit kühlem Nass versorgen. Und das Beste: sollte es regnen (was es an diesem Nachmittag gottlob nur einmal kurz und heftig tat), kann sich das gesamte Volk quasi irgendwo unterstellen, denn eigentlich ist nur der Innenhof „Open Air“ und die umliegenden Gebäudeteile bieten Schutz vor Wind und Wetter.

Das Metaller-Volk ist entspannt, was bei dieser beruhigenden Umgebung ja auch nicht verwundert: aus der Ferne grüßen Traunstein und Totes Gebirge, das Wetter ist warm, aber nicht zu heiß, das Bier ist kühl und für Nachschub ist dank der vielen helfenden Hände an den Bars auch immer schnell gesorgt (Hiermit gleich mal ein riesen Dank an die gesamte Crew!).  Bis auf ein paar schon relativ früh in bester Neymar-Manier herumkugelnde Alkoholleichen und vorrübergehenden Wassermangel im Toilettenwagen (egal, sind wir heute halt mal dirty!) gibt es kaum Begleiterscheinungen irgendwelcher Art, und das Publikum ist trotz des Schwerpunkts auf Black und Death erstaunlich bunt gemischt: bereits um fünf am Nachmittag wird in der Garage bereits fleißig „We’re not gonna take it!“ von TWISTED SISTER und „Lick It Up“ von KISS gegröhlt, man sieht quasi Eltern mit Kleinkindern, Waldschrate, Dorfjugend und ein paar „Normalos“ Seite an Seite mit der rockenden Zunft dem Wein, dem Weib und dem Gesang frönen. [Mike]
 

Vom angesprochenen Gesang gibt es bei BEREAVEMENT dann eher weniger, denn der Opener des traditionell Krawallastigen Lineups am Berg schwang gleich einmal mit abgrundtiefem Gegrunze die wuchtige Oldschool-Death-Abrissbirne in den zu diesem Zeitpunkt sengend heißen Innenhof.  Knackig-griffige Riffs und hämmernde Blastbeats animierten die bereits in großer Zahl anwesenden Besucher alsbald die Haarpropeller zu schwingen und so für etwas Abkühlung zu sorgen. Passend zum wütenden Songmaterial der Linzer, die sich mit ihrer knackigen Performance einige Fans erspielen konnten, zeigte auch der Himmel gegen Ende des Sets seine grantige Seite und sandte einen zunächst noch lauen, in der Umbaupause dann aber doch recht kräftigen, von Donnergrollen unterlegten Schauer auf den Bäckerberg herab. Es sollte dann glücklicherweise der einzige wettertechnische Schönheitsfehler des schon fast traditionell vom Wetterglück gesegneten Festivals sein.


Hatte man ob des kurzen aber heftigen Gewitterregens zunächst noch die Befürchtung, dass den Tiroler Krawalleros von ASPHAGOR das Corpsepaint weggeschwemmt werden könnte, so bewiesen die Skelettknuddelnden Pandabären aus dem heiligen Land im Anschluss, dass es für finstere Atmosphäre nicht zwangsläufig auch Dunkelheit braucht. Obwohl pünktlich zu Beginn des Sets wieder die Sonne in voller Intensität vom Himmel brannte, übernahmen ASPHAGOR die drückende Gewitterstimmung der Umbaupause volley und prügelten den zahlenmäßig inzwischen noch einmal ordentlich erstarkten Zuschauern ihre rasenden aber durchwegs melodischen Schwarzmetallhymnen mit Präzision mitten ins Kleinhirn. Heißa, da freut sich nicht nur der Nachwuchspanda, wenn rasende Gitarrenfahrten auf markerschütterndes Gebell treffen und technische Finesse schamlos mit einer großen Portion Wahnsinn im Stageacting kopuliert. Dass ASPHAGOR dafür nicht nur von den heimischen Besuchern (die spezielle Atmosphäre des Sick Midsummer hat sich wohl schon über die Landesgrenzen hinaus herrumgesprochen...) entsprechend abgefeiert wurden, war hochverdient! Eigentlich hätte man den zuletzt ordentlich durchstartenden ASPHAGOR auch einen etwas späteren Slot spendieren können... zwecks der Atmosphäre warats gewesen.


Wie man eisig kalte, beunruhigende Atmosphäre trotz hellstem Sonnenlicht erzeugen kann, das exerzierten im Anschluss auch HUMANITAS ERROR EST auf ziemlich beeindruckende Weise vor. Klar, in der Dunkelheit, mit stimmungsvoller Beleuchtung hätte die Deutsche Formation wahrscheinlich erst so richtig heftig zur Geltung gekommen, doch alleine das was man nachmittäglichen Tageslicht zu Gesicht bekam, konnte schon nachhaltig beeindrucken. Speziell die Bühnenpräsenz der blutüberströmten Anett, des deutlich dominanter agierenden Teils des rein weiblichen vokalen Duo Infernales, konnte, wie schon im Vorjahr bei Lebenssucht, diese spezielle zwischen Faszination und Abscheu pendelnde Atmosphäre erzeugen. So wie sich der pfeilschnelle Black Metal von HUMANITAS ERROR EST in die Gehörgänge grub, so schossen die blitzend-bösartigen Blicke der beiden Sängerinnen wie glühende Pfeile in den Zuschauerrund und nagelten die neugierig hereinlinsenden Besucher auf der Stelle fest. Klar, musikalisch bewegte man sich eher in einem kommoden Allerwelts-Schwarzmetall-Bereich, doch das machten die beiden entfesselt agierenden Damen an der Front mit ihrem packenden Gebaren locker wett. Höchst sehenswert! [Anthalerero]


NERVECELL haben heute quasi den Exoten-Bonus. Eine Band aus dem Emirat Dubai live auf einem oberösterreichischen Bauernhof, das klingt nach Premiere, und sowas gab’s wohl noch nicht mal im Musikantenstadel. Das mega-sympathische Trio, verstärkt durch einen Live-Drummer, lässt auch von Beginn weg nichts anbrennen. Irgendwo zwischen Thrash- und Death-Attacken fahren sie ein ziemlich tightes Brett mit bestem Fräs-Sound, der im Vierkant seinen ultrabrutalen Widerhall findet und die Leute spätestens ab dem dritten Song zu Bang-Exzessen und stattlichem Beifall hinreißt. Vor allem Bass-Vokal-Tier und Charmebolzen James Khazaam ist ob seines markanten Aussehens mit Rauschebart und beschwörenden Organs omnipräsent, und man glaubt am Schluss gar nicht, auf welch engem Raum noch nachhaltige Circle Pits möglich sind. Die Crowd ist jetzt also, auch wegen des endlich eintreffenden Schattens im Hof, entsprechend auf wohliger Betriebstemperatur, und nachdem die Band ihren Abriss mit Erfolg über die kleine Bühne gebracht hat, findet man die Bandmitglieder am Merch-Stand, wo sie hingebungsvoll für Selfies posen, smalltalken, für den Rest des Abends einfach nur Fans sind und zusammen mit uns unwürdigem Fußvolk einfach nur die Party genießen. Für mich persönlich, neben DORDEDUH, die Band des Festivals! [Mike]  


Die hereinbrechende Dämmerung kündigte die grimmigen LVTHN an, die aus Belgien ihren Weg zum Sick Midsummer gefunden hatten. Mit markerschüttterndem Gekeife bemühte sich der Fünfer nach Kräften mit seinem depressiven Liedgut der sterbenden Sonne den Todesstoß zu versetzen. Alleine, die von tiefer Verzweiflung geprägte Atmosphäre wollte nicht so recht auf die Zuschauer, die der durchaus einnehmenden Bühnenshow mit höflichem Interesse folgten, überspringen. Zwar konnte man weder an Sound (ok, ein bißchen weniger Lautstärke hätte es, wie bei fast allen Bands des Abends, auch getan), musikalischem Können oder Bühnenpräsenz herummäkeln, dennoch wirkten LVTHN unterm Strich zu bemüht um wirkliche Begeisterungsstürme entfachen zu können.  Allerdings hatten die Belgier auch einen denkbar undankbaren Platz in der Running Order,  indem sie direkt vor der aus dem Nachbarland stammenden Death-Dampframme SINISTER, auf die ein großer Teil des Publikums bereits ungeduldig wartete und die dann auch pflichtschuldig die Bude aufmischten, auf die Bretter mussten... [Anthalerero]


Die 1988 gegründeten Holland-Deather SINISTER zählen nicht nur zur internationalen Todesblei-Speerspitze, sonder sind heute Abend auch die dienstälteste Band, obwohl von der Gründungsbesetzung eigentlich nur noch Sänger und Ex-Drummer Aad Kloosterwaard übrig ist. Für meinen Geschmack verirrt sich der Front-Grunzer aber vor allem zu Beginn des einstündigen Sets etwas zu sehr im Grindcore. Das passt ab und an nicht wirklich zum furztrockenen Standard-Death der Band, wird aber im Verlaufe des Sets etwas homogener – weil: Gekeife passt hier irgendwie besser als Bree-Bree-Bree. Routiniert und mit Hingabe beschallen SINISTER, passend zur einsetzenden Abenddämmerung, den Bäckerberg mit einem deftigen Potpourri aus Alt und Neu, der Sound ist anfangs etwas verwaschen, wird später aber ein wenig besser, so kommen die Shredder-Gitarren, Blast-Attacken und Bass-Breitseiten im Hof voll zur Geltung und ich bin das erste Mal genötigt, mir die Ohrstöpsel anzuziehen. Unbezahlbar übrigens die Performance von Trommeltier Toep Duin, der sich zähnebleckend buchstäblich den Arsch abspielt, und den ich nicht nur einmal kurz vor dem körperlichen Kollaps wähnte. Das Publikum ist zum Ende des Sets hin ziemlich enthusiasmiert, der Boden ist quasi geebnet und betoniert für mehr. Die folgenden HELRUNAR versemmeln aber leider – meines Erachtens nach – mit einer allzu steifen Performance (mit drei Promille Partylaune will halt kein Mensch Lieder über den Dreißigjährigen Krieg hören…) die Stimmung wieder fast zur Gänze. [Mike]


Leider muss man diesem Kurzumriss des Kollegen zustimmen – wiewohl sich der Innenhof zu HELRUNAR brechend voll präsentierte und der Sound ansonsten recht amtlich (wenn auch wieder einmal einen Zacken zu laut) und technisch einwandfrei aus den Boxen böllerte, mochte das tiefgründige Material  der Deutschen nicht so recht zünden. Das lag vielleicht daran, dass HELRUNAR mit großer, fast ein wenig zu verbissener Ernsthaftigkeit an ihren Auftritt herangingen, was den Draht zum hier am Bäckerberg traditionell sehr lockeren und gelösten Publikum erschwerte. Am finster grollenden Schwarzmetall mit Pagan-Einschlag konnte es nicht gelegen haben, zumal gerade das gebotene ältere Material den größten Zuspruch seitens des Publikums erhielt. So erwies sich der Gig von HELRUNAR als etwas zweischneidiges Schwert, der die Erwartungen nicht so ganz erfüllen konnte – vielleicht waren die Deutschen mit ihrer kalten Atmosphäre und der verbissenen Performance einfach nicht kompatibel zur Berg-Klientel. [Anthalerero]


Die zweite Überraschung des Festivals für mich sind definitiv die Rumänen DORDEDUH, die heute als Rausschmeißer und Late-Night-Special gleichermaßen auftreten. Die Stimmung könnte passender nicht sein, die Nacht ist lau, die Leute sind bierselig, und die Truppe ist ob ihrer  Herkunft aus dem Banat mystisch. Nichtdestotrotz stellt die Combo um die ehemaligen NEGURA BUNGET-Recken Cristian „Sol Faur“ Popescu und Edmond „Hupogrammos“ Karban ein paar ziemlich klangintensive Monolithen in den nächtlichen Vierkanter, die Songs des bereits 2012 erschienenen selbstbetitelten Debuts bewegen sich doch fast alle über der 7-Minuten-Schallmauer, und auch einen nicht minder kurzen Song vom in Bälde anstehenden Zweitling stellt die Band heute vor. Der atmosphärische, immer wieder mit ruhigen und folkloristisch-avantgardistischen Tönen durchsetzte Black Metal erinnert wenig an NEGURA BUNGET, oftmals aber an ENSLAVED, manchmal auch an PRIMORDIAL, und kommt heute zu später Stunde in dieser Umgebung gleich noch mal doppelt so intensiv. Mit Bier und Gänsehaut stehe ich da und mich durchfluten Wellen der musikalischen Glückseligkeit.

 

Leider hat auch die schönste Sause irgendwann ein Ende, und noch lange hallen die letzten Akkorde des sechzehnminütigen Abschluss-Pfostens „Jind De Tronuri“ durch die Wälder und über die Wiesen des Bäckerbergs. Ich bin zu dieser Zeit bereits so verliebt in das SICK MIDSUMMER, dass ich dem Veranstalter vehement einen zweiten Festivaltag einzureden versuche. Aber einige Dinge soll man vielleicht auch einfach nur so lassen, wie sie sind. Weil, wenn ich vieles nicht weiß – aber ich bin mir doch ziemlich sicher, nächstes Jahr beim zehnjährigen Jubiläum wieder genau hier zu stehen – mit einem kühlen Bier, mit Gänsehaut, mit coolen Leuten, mit Hirschen … und einfach nur glücklich. [Mike]
 

So wie es der Kollege, der von einem kleinen Stormbringer-Schreiberling zum ersten Mal auf den Bäckerberg geschleppt wurde, treffend beschrieb, lieferten DORDEDUH den absolut perfekten Abschluss eines großartigen, bereits zum dritten Mal in Folge ausverkauften (!) Festivals. Es ist wahrlich schwierig, die spezielle Atmosphäre dieser wunderbar familiären Atmosphäre wiederzugeben, dennoch haben wir wie immer versucht die Magie des Bäckerbergs so gut wie möglich für euch einzufangen – dieses Jahr sogar in Bild UND Ton in Form einer kurzen Video-Retrospektive.

Unser Dank gilt wie immer dem engagierten Veranstalterteam und ihren fleißigen Helfern, von deren Zahl man dieses Jahr durch die kleidsamen roten Crew-Shirts erstmals eine Ahnung bekam. Viele bekannte Gesichter und neue Bekanntschaften machten aus dem Sick Midsummer erneut ein unvergessliches Erlebnis, dessen spezielle Atmosphäre noch lange in den Erinnerungen nachhallen wird. Nicht nur für unseren tapferen Videofilmer Mike, auch für das kleine Fotoantha steht fest, dass das Sick Midsummer auch bei seinem 10. Jubiläum wieder ein unbedingter Fixpunkt im Konzertkalender sein wird. Macht einfach weiter so, ihr seid perfekt, so wie ihr seid!

Eigentlich machen wir ja in Artikeln keinesfalls und niemals nicht so etwas Profanes wie Emojis – aber hier machen wir mal eine Ausnahme: <3 <3 <3

DANKE, Sick Midsummer! Bis nächstes Jahr! [Anthalerero]


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