08.10.2017, Rockhouse-Bar, Salzburg
DER WEG EINER FREIHEIT & REGARDE LES HOMMES TOMBER & STORMRAGE
Feierte man am Vortag gegenüber im Saal noch eine beschwingte Rock-Party bei der Release-Show von SPEED LIMIT, so stand am Tag danach ein höchst Interesse erweckendes Kontrastprogramm vom anderen Ende der Härteskala an. Black Metal am Sonntag, dem Tag des Herrn – passender geht es kaum! Doch wer auf blutiges Gemetzel und satanische Riten hoffte, der wurde höchstens mit dem einheimischen Opener STORMRAGE entsprechend bedient, während bei DER WEG EINER FREIHEIT und REGARDE LES HOMMES TOMBER eine etwas feinere Klinge geführt wurde. Was aber nun niemanden vom sonntäglichen Ritual abhielt, wie die überraschend hohe Besucheranzahl bewies.
Ihr erinnert euch vielleicht noch daran, als wir an einem trüben Oktobertag im Jahre 2015 einen jungfräulichen Konzertgeher zu einer Black Metal Show schickten? Ja? Nun, die arme Haut ist inzwischen wieder aus der geschlossenen Anstalt entlassen worden, erfreut sich bester Gesundheit und hat ihr Leben neu geordnet. Wohl sind ein paar Dinge (wie zum Beispiel der unerklärliche Hang zu schwarzem Gewand) hängen geblieben und auch um den Schlafrhythmus des armen Kerls dürfte es nicht allzu gut bestellt sein, doch im Großen und Ganzen ist unser Versuchskaninchen wieder in die Normalität zurückgekehrt. Grund genug also, die geplagte Seele gleich wieder zu okkupieren und sie, fast auf den Tag genau zwei Jahre später, in den nächsten Pfuhl der Dunkelheit zu werfen.
Eine weithin sichtbare Leuchtreklame mit dem Schriftzug „RXCKHXUSE“ weist mir den Weg zu einem modernen Gebäude, in dem die Bar untergebracht ist, in der ich mich heute mit meinem Date treffen soll. Sie hat mich mit dem Hinweis hierher gelockt, dass das, was hier heute stattfinden würde, wahrhaft außergewöhnlich sei, und ich es absolut nicht versäumen dürfte. Ich habe zwar keine Ahnung was auf mich zukommen wird, doch ich bin guter Dinge, denn die Personen, die mich umringen als ich die Bar betrete, sehen zwar grundsätzlich wie äußerst gute Gründe aus, des Nächtens schnellstmöglich die Straßenseite zu wechseln, doch die Stimmung ist entspannt und locker. Mit meiner Vorliebe für schwarze Sachen, die meiner hoffentlich-bald-fixen-Freundin besonders zu gefallen schien, falle ich hier wenigstens nicht auf. Das heißt, eigentlich schon, denn die höchst seltsamen und teilweise verstörend bis abartigen Drucke, die Manche hier auf ihren schwarzen Shirts und Kapuzenjacken präsentieren, bereiten mir großes Unbehagen. Zudem erinnert mich die Situation an irgend etwas, doch ich komme einfach nicht drauf...
Ich bemerke, dass sich am anderen Ende des Stollens, in dem diese äußerst gemütliche Bar untergebracht ist, etwas tut. Ich erblicke eine Bühne auf der ein Schlagzeug und einige Instrumente aufgebaut sind, hinter welchen ein Tuch gespannt wurde, das mit französisch klingenden Worten bedruckt ist. Ich bestelle mir ein Bier und nähere mich der Bühne, während ich noch überlege was uns wohl geboten wird. Gediegene französische Chansons? Oder doch anspruchsvoller Jazz? Ich bin in Musik leider nicht so bewandert, doch es interessiert mich brennend was die nette junge Dame, die sich mit mir hier treffen wollte, wohl emotional so berühren mag, dass ein Verpassen desselben gar Gotteslästerung gleich kommen würde.
Es bimmelt in meiner Hosentasche und ich hole mit zittrigen Fingern mein Handy hervor. Es ist eine Nachricht von ihr. Sie würde sich leider verspäten und erst zur zweiten Band kommen können. Ich solle mir keine Sorgen machen. Ich seufze und überlege, ob ich mir noch ein zweites Bier holen soll, doch die Entscheidung wird mir von einsetzender Musik abgenommen. Ah, das klingt eher klassisch... „Yeah, STORMRAGE!“ schnappe ich aus einem Gesprächsfetzen neben mir auf und im nächsten Moment erstarre ich, als mein Blick auf schmutzstarrende Gestalten fällt, die in zerfetzten Gewändern auf die Bühne wanken. Ketten klirren, Gebeine und Schädel baumeln von ihnen herab und in ihren Blicken funkelt das Feuer der Hölle. Etwas in mir ist alarmiert, eine tiefe, urtümliche Angst steigt in mir auf, steigert sich zu einer Kaskade von Empfindungen, die wie Peitschenschläge auf mich einprasseln. Ich will auf dem Absatz kehrt machen und flüchten, doch ich komme nicht mehr dazu.
Tiefrot wie Magma aus dem Schoße der Erde brennt sich das Licht in meine Netzhaut, blendet mich, lähmt mich. Ein hämmerndes, apokalyptisches Inferno bricht los, überwältigt mich und reißt mich hinab in den Schlund der Hölle. Ich presse die Hände auf meine Ohren, doch es ist zu spät. Die Klänge sengender Gitarren fressen sich wie Kettensägen in mein Trommelfell, durchtrennen meine Verbindung zur Wirklichkeit und werfen mich hinab in den finstersten Abgrund dieser Welt. Ich spüre wie ich falle, fühle wie meine Hände über Gitterstäbe gleiten und klammere mich wie ein Ertrinkender daran fest. Ungeschützt bricht die Apokalypse über mich herein, während ich verzweifelt um Fassung ringe, mich einem Ertrinkenden gleich festklammere an dem kalten Gitter, das meine letzte Verbindung zur Wirklichkeit darstellt.
Ich werde hin und her gerissen von den finsteren Wogen dieser Musik, die wie ein Vorschlaghammer in meine Magengrube schlägt. Ein Hammer, dessen Kopf garstige Funken sprüht, die sich in meine Eingeweide fressen, schmerzhaft durch meinen Körper zucken und mir unendliche Pein bescheren. Mit tränenverkrusteten Augen versuche ich mich zu orientieren und erblicke den Dämon, der das Orchester der Hölle dirigiert – sein entrückter Gesichtsausdruck, die tiefen, kehligen Töne die an den Wänden meines Selbst kratzen... in seinen Händen hält er einen Schädel mit gebogenen Hörnern. Ich schaudere, will flüchten, mich verkriechen, doch mein Körper ist wie gelähmt. Die Finsternis hält mich in ihren Klauen, schickt gleißende Pfeile durch meine gemarterten Gebeine und peinigt meine Augen mit dem Anblick der rotglühenden Ausgeburten der Dämonenwelt.
In einem letzten, verzweifelten Aufbäumen versuche ich, mich aus jenen Klauen zu winden, die mich inmitten dieses Irrsinns gefangen halten. Das Gebrüll des Dämonen durchdringt Mark und Bein, ich winde mich unter den Schlägen seiner Adjutanten, flehe den Gehörnten um Gnade an – doch sie wird mir nicht gewährt. Das dämonische Wesen reckt, begleitet von infernalischem Geschrei der Gitarren, ein Kreuz in die Höhe und ich hege Hoffnung, versuche meinen Glauben an das christliche Symbol aus den Untiefen meiner gemarterten Existenz zu ziehen, doch der Dämon dreht das Symbol der Erlösung, verkehrt es ins Gegenteil, zeigt mir in schonungsloser Brutalität meine Ausweglosigkeit auf.
Meine Gliedmaßen erschlaffen, mein Wille ist gebrochen. Ich löse meine Finger von dem Gitter, gebe meinen Rettungsanker auf und lasse mich fallen. Hinab in die Dunkelheit, diesen Hort des Bösen, hinab auf den nachtschwarzen Grund des Universums, auf dem ich mich auf ewig in Einsamkeit und Verzweiflung winden werde. Dort unten im Kerker der Pein, wo mich die Magma aus dem Herz der Sterne versengt und der Herzschlag des Universums meinen Körper erbeben lässt, mich martert und zerreibt bis mein Selbst zu Staub verfällt und schmerzvoll vergeht in den unendlichen Weiten der immerwährenden Schwärze.
Doch dann... die Klänge wabern, verblassen, und der Schmerz verebbt. Die Hölle hat mich wieder ausgespien. Zitternd öffne ich meine Augen. Schwarz gekleidete Besucher stehen in Gruppen zusammen, unterhalten sich angeregt bei einem Bierchen – und dort, wo soeben noch die existenzverachtenden Klänge meine Seele und mein Trommelfell beinahe zum Bersten gebracht hätten, räumt gerade eine Gruppe junger Musiker, verschwitzt aber bestens gelaunt, ihre Instrumente von der Bühne. Tiefe Verwirrung ergreift Besitz von mir, denn außer mir scheint niemand sonst solch einen Höllentrip hinter sich zu haben. Eher im Gegenteil – die Leute wirken entspannt, direkt glücklich und prosten sich mit ihren Bieren zu. Mein Glas - irgendwann vor diesem Ritt durch den zu Tönen gewordenen Wahnsinn hatte ich doch auch ein Glas, oder? - muss irgendwann zwischen dem Meteoriteneinschlag und der Apokalypse in meinem Denkapparat verloren gegangen sein, also beschließe ich, mir doch noch ein Bier zu holen. Aber wo bleibt eigentlich mein Date ...?
Die Barkeeperin ist freundlich und schenkt mir ein Lächeln, wohl weil ich noch immer etwas weiß um die Nase bin. Mit nervösen Fingern nestle ich an meinem Handy herum, während mich meine Füße wie von selbst zurück vor die Bühne tragen. Auf dem hinter der Bühne gespannten Tuch prangen noch immer die Buchstaben REGARDE LES HOMMES TOMBER und eine eigenartige, nicht unangenehme Art von Spannung liegt in der Luft. Es riecht nach brennenden Kerzen und Räucherstäbchen, während ich ungeduldig auf eine Antwort auf meine Nachricht warte, dann endlich der erlösende Ton. „Schatz, wo bist du? Ich kann dich nicht finden.“
Schatz... unerwartet und eiskalt erwischt es mich von hinten. Die Finsternis ist zurück und umhüllt mich mit Nebelhänden, während die Töne wie Peitschenstränge auf mich einsausen. Jeder Hieb der unbarmherzigen Stahlsaiten schält mit Präzision das Fleisch von meinen Knochen, bis mein Selbst nackend und gepeinigt vor seinem Schöpfer steht. Verhüllte Gestalten schlurfen durch den Nebel, in ihren Händen die Instrumente der Zerstörung entfesseln sie erneut die Dämonen, bringen die Untiefen der tiefsten Höllen zurück auf die Erde, während Blitze zucken und der Donner des Schlagzeugs im Stakkato grollt. Wabernd zieht der Geruch des Todes herauf und erfüllt mich mit Grauen. Nackte Panik ergreift meinen zerrütteten Geist, als die schwarzen Gestalten zu Gesängen vom Verderben und dem Ende der Welt anheben, hervorgepresst aus blutenden Kehlen nur noch entfernt an menschliche Existenz gemahnend.
Der Bass tritt mir in die Magengrube und die Saiten der Instrumente kratzen mir unter unbeschreiblicher Pein das Fleisch vom Gebein, bis dann das Schlagzeug den letzten Funken Menschlichkeit aus meinem geschundenen Körper prügelt. Die Verlockung der rauen Stimme zieht mich hinab in den Schlund der Ewigkeit, wo ich von zähflüssiger schwarzer Lava empfangen werde, die die kümmerlichen Reste meines Geistes versengt. Ich bin allein in der Schwärze, sehe nicht, höre nicht und fühle nicht. Etwas in mir ist zerbrochen, hat mein Selbst ausgespien in die immerwährende Dunkelheit, wo es ziellos durch den Äther streift. Heimatlos, gestaltlos, hoffnungslos.
Und doch... Irgendwo aus dem brodelnden Quell des Universums, dieser Eiseskälte die mein Herz zum Stillstand gebracht hat, meine Glieder gelähmt und meinen Geist versengt hat, steigt etwas empor. Bricht heraus, aus den verwerflichen Schatten, bemächtigt sich meiner Existenz und füllt mein Selbst mit neuer Energie. Der höllische Klangteppich entrollt sich meinem Dasein, lässt mich schreiten über die atmosphärischen Türme schreiender Gitarren, getragen vom rasenden Schlag des tiefschwarzen Metalls in meinem Herzen und untermalt von den infernalischen Chorälen des Hohepriesters der Finsternis.
Ich begrüße den Schmerz wie einen alten Freund, gehe auf in den brachialen, hämmernden Klängen, die meinen zerrütteten Geist mit neuer Energie füllen. Ich blicke auf in den Nebel, in das Stakkato der Blitze, das den Schein des Feuers durchbricht und atme mit geblähten Nasenflügeln den süßen Duft des Todes und der Zerstörung, während die vermummten Gestalten mit stoischer Ruhe ihr Werk fortsetzen. Ich hebe die Hände zum gehörnten Gruß an die Finsternis, spüre die Kraft und Wut die in mir brodeln und schreie die Pein meiner Existenz hinaus. Ich bewege meinen Kopf im rasanten, hypnotischen Tempo der Musik, die meinen Geist erfüllt und mich eins werden lässt mit dem unbändigen Hass des Universums selbst. Neues Leben erfüllt mein Sein, während ich am Abgrund meiner Psyche stehe und lachend die Bombe in den brodelnden Kessel meiner Gefühle werfe.
Viel zu schnell verebben die lebenspendenden Klänge und lassen mich alleine in einer Welt, in der ich nicht sein will. Normale Menschen verlassen die von Dunst verhangene Bühne, rauben mir die Illusion gerade gemeinsam mit den Reitern der Apokalypse zur Zerstörung dieser nutzlosen Welt geritten zu sein. Jemand klopft mir auf die Schulter und prostet mir zu, was ich mit einem abwesenden Nicken honoriere. Etwas in mir hat sich verändert. Nein, nicht verändert, etwas in mir ist befreit, das verschüttet war unter Tonnen an Ängsten und Zwängen der Gesellschaft. Etwas, das schon einmal erweckt wurde...
„Hi! Du magst auch Black Metal? Das ist ja super!“ Eine weiche, helle Hand schiebt sich über meine und ich spüre ihre Kühle auf meiner Haut. Ich blicke hinunter in stahlblaue Augen in einem blassen, kindlichen Gesicht, das von tiefschwarzen Haaren eingerahmt wird. Mein Blick wandert über ein ebenmäßiges, offenes Antlitz, einen schlanken Hals entlang, bis zu den beiden verheißungsvollen Rundungen unter dem schwarzen T-Shirt dessen verschlungenes Logo ich beim besten Willen nicht entziffern kann, und wieder zurück zu diesen kalten und doch so strahlenden, stahlblauen Augen. Mein Date ist da.
„Äh, ja.“ antworte ich. Ziemlich dämlich, aber besser als gar nichts. Sie hakt sich bei mir ein und wir tauschen noch ein paar nichtssagende Floskeln aus, leere Worthülsen für die Umgebung, während unsere innere Spannung ansteigt.
„Gefallen dir eigentlich auch DER WEG EINER FREIHEIT?“ fragt sie. Ich checke mit einem kurzen Seitenblick das neue Backdrop hinter der Bühne und erkenne die Worte in dem verschlungenen Schriftzug – das ist wohl die nächste Band.
„Das weiß ich noch nicht.“ antworte ich wahrheitsgemäß.
„Ach, die gefallen dir bestimmt auch!“ meint sie und drückt sich näher an mich. Ich lächle und streiche ihr geistesabwesend über das weiche schwarze Haar, während die letzte Band des Abends die Bühne betritt.
Atmosphärische Klänge erschließen mir ein Universum von kalter Schönheit, Erhabenheit und doch tiefer Verzweiflung. Wir lauschen den sich aufbauenden Klängen, die uns sanft umgarnen, saugen die Spannung des Moments auf, bis sich die Energie in gleißenden Blitzschlägen entlädt. Hämmernder Rhythmus füllt unsere Herzen und ich spüre wie das Haar des Mädchens neben mir zu kreisen beginnt. Ich beobachte sie einen Moment in entrückter Freude, dann lasse auch ich mich von dem finsteren Mahlstrom der Musik mitreißen.
Wie Schuppen fällt es mir von den Augen, bricht aus mir heraus, überflutet mich. Die apokalyptischen Klänge, getragen von rasender Wut und lähmender Agonie, gepaart mit finsterer, klirrender Kälte und verwoben mit sanften, geradezu zerbrechlichen, ja, fragilen Passagen – all die Wut, die sich ihren Weg aus meinem Selbst bahnt, die Versinnbildlichung von Kälte und unendlicher Einsamkeit, die Gefühle von Hass, Trauer, Liebe, die Geschichte der Menschwerdung und die Pein des menschlichen Seins... Dies ist mein Pfad der Erkenntnis, und ich beschreite ihn nicht zum ersten Mal. Meine Erinnerung gleitet zurück zu jenem, mir seitdem verschlossenen Abend und findet den Faden wieder, den ich im Fegefeuer verloren habe. Die Verdammnis möge über mich kommen, gebracht durch rasendes Spiel, durchzogen von Passagen herzzereißender Melancholie. Dies ist der Weg meiner Freiheit – ich beschreite ihn ohne Angst und Zweifel, mit dem entfesselten Mädchen an meiner Seite.
Ich reite Auf den Stürmen des Untergangs, lasse mich peitschen von den wirbelnden Haaren der Umstehenden, Spüre die Kraft und die Vergänglichkeit der Klänge, die etwas tief in mir berühren, das ich so lange verweigert habe. Ich lasse mich überfluten von den Emotionen, Hass, allumfassender Trauer und Ausweglosigkeit, fühle den Schmerz der Welt und der bedauernswerten Wesen die in ihr gefangen sind, unfähig, auszubrechen wie wir. Ich begrüße die Kaskaden der wilden Raserei, die die melancholische Atmosphäre immer wieder durchbrechen und mich mit neuer, ungezügelter Energie füllen. Die Wut, die in mir brodelt, steigert sich mit der Intensität der Musik, entlädt sich in zuckenden Blitzen, die durch die Bar und über die Körper der Anwesenden huschen. Was für eine Kraft in mir!
Das Tor der Zerstörung wurde aufgestoßen und es ist in seinem Inneren schrecklich schön. Die Boten der Apokalypse auf der Bühne nehmen uns mit, tiefer und tiefer hinab in die Abgründe des Seins, wo die Seelen der Verdammten eingekerkert sind, ohne jegliche Hoffnung jemals die Erlösung zu finden. Stürme der Unsicherheit wühlen die See meines Geistes auf, die beruhigende Gewissheit der Ausweglosigkeit meines Lebens, das unweigerlich im Tode enden wird, glättet die Wogen wieder. Unfassbare Aufruhr und tiefer Frieden ringen in meinem Innersten um die Vorherrschaft und ich male mir aus, wie es sein wird, wenn dieser unendliche Strom aus überwältigenden Emotionen die Welt überfluten und jegliches Lebendige darunter begraben wird. Wie ich jauchzen und jubilieren werde, wenn die Welt in Kälte erstarrt und sich nichts mehr bewegt, nichts mehr lebt außer meinem eigenen, schlagenden Herz, das mit den Resten des sterbenden Universums im Nichts vergeht.
Doch noch ist es nicht soweit. Noch stehe ich hier, fühle das Toben in mir, die jähen Ausbrüche von Wut, durchsetzt von Melancholie, in avantgardistische Töne gekleidet, die sich wie ein eiskalter, flammender Mantel um meinen Geist legen. Wie kann man nur ohne diese Erkenntnis leben? Wie konnte ich jemals ohne diese Erkenntnis leben? Ich sehe den Abgrund und ich trete lachenden Herzens über die Kante, mit Tränen der Freude in den Augen. Ich bin angekommen.
Das Mädchen nimmt meine Hand, unsere Blicke treffen sich und ich versinke in ihren stahlblauen Augen. Ich habe gar nicht gemerkt, dass das Konzert bereits vorbei ist. Wie durch Watte bahnt sich der Jubel des Publikums in meinen Geist – ob sie alle das gleiche fühlen? Das Mädchen lacht glockenhell und zieht mich mit sich, hinaus in die Nacht. Dort, unter wolkenverhangenem Himmel atme ich die kalte, klare Nachtluft, lege den Kopf in den Nacken und genieße die eisigen Regentropfen auf meiner Haut. Ich spüre die Kühle eines glatten, weiblichen Körpers an mir und wende den Blick wieder dem Mädchen zu. Seine stahlblauen Augen schlagen mich erneut in ihren Bann.
Aus dem Augenwinkel sehe ich einen Krankenwagen und zuckendes blaues Licht huscht durch die Nacht. Ich registriere die herausstürmenden Sanitäter, doch sie interessieren mich nicht. Ich beuge mich hinab zu dem Mädchen, das mich mit erwartungsfrohen, leicht geöffneten Lippen erwartet. Im kalten Regen, beschienen vom sanften Licht der Leuchtreklamen treffen sich unsere Lippen und wir tauschen einen innigen Kuss.
Ich fühle wie ich von festen, bestimmten Händen gepackt werde. Menschen zerren mich in den Schlund des Monstrums dessen blaues Blinklicht mir spöttisch zuzwinkert. Kaltes Neonlicht sticht in meine Augen, als sie mich niederzwingen auf eine Bahre, wo ich mit groben Händen fixiert werde. Ich spüre einen Stich an meinem Arm...
Nein, nein! Es war kein Traum! Es war real...
Sie war es. SIE war es!
Heruntergebrochen auf die Quintessenz, die kurze Nachbetrachtung des kleinen, fotografierenden Schreiberlings: Das heimische Abrisskommando STORMRAGE bot mit einem tight gezockten Set einen perfekten Auftakt in den Abend, an dem vor allem die klare Soundqualität wohltuend hervorstach. Selbst der effektgeschwängerte, atmosphärische Schwarzmetall von REGARDE LES HOMMES TOMBER, der im dichten, von Räucherwerk geschwängerten Nebel vorgetragen wurde, kam soundtechnisch pointiert beim Publikum an. Zum Niederknien die unfassbar dichte Performance von DER WEG EINER FREIHEIT, die mit ihrem atmosphärischen Liedgut Begeisterungsstürme unter den Anwesenden zu entfachen wussten.
Was genau unserem Gastberichterstatter nun während diesem stimmungsvollen Abend widerfuhr, können wir euch auch nicht sagen. Eine relativ stark angeheiterte, auf dem Boden herumkriechende Dame, die während der Show von der Exekutive entfernt wurde, schien jedenfalls keinen Einfluss auf den Gemütszustand unseres Versuchskaninchens gehabt zu haben und auch der zugegebenermaßen etwas penetrante Geruch der gefühlt dreihundert Räucherstäbchen auf der Bühne schien keinerlei großartige Bewusstseinserweiterung hervorzurufen. Vielleicht war es ja doch die Musik...
P.S.: Solltet ihr euch gerade durch den enormen Textwulst gekämpft haben und nun ein, mehrere oder gleich eine Gruppe von Fragezeichen über euren Köpfen schweben - dies ist reine Fiktion und sollte damit aufgenommen werden, womit es auch zu Papier gebracht wurde: Mit Humor. Diesen kann man sich leider nicht kaufen oder antrainieren – er wird gewöhnlich im Werkszustand mit ausgeliefert...