07.10.2016, Arena, Wien

KATATONIA & AGENT FRESCO & VOLA

Text: Florian Rosenberger | Fotos: Andreas Graf
Veröffentlicht am 16.10.2016

Wie schon vor drei Jahren im November 2013, als KATATONIA als Support von PARADISE LOST ihr „Viva Emptiness“-Meisterwerk zur Gänze präsentierten (zum Live-Report), freute ich mich schon seit der Ankündigung der Wien-Show in der Arena auf die Tour zum neuen Opus „The Fall of Hearts“. Noch dazu hatten sie diesmal, wie auch schon bei den beiden ((szene))-Shows zu „Night Is The New Day“ 2010  und „Dead End Kings“ 2013 (zum Live-Report), äußerst interessante Support Acts im Gepäck. Waren für mich 2010 – neben KATATONIA selbst – SWALLOW THE SUN und vor allem LONG DISTANCE CALLING die Entdeckungen des Jahres, boten 2013 auch JUNIS und ALCEST ein packendes Konzerterlebnis. 2016 nun kamen VOLA und AGENT FRESCO an die Reihe, wobei vor allem Letztere nach ihrem Headliner-Konzert im B72 bereits auf einige Anhänger zählen konnten.

Bei den Dänen VOLA war die große Arena Halle an einem Freitagabend um 20:00 Uhr auch schon ordentlich gefüllt. Die Band hatte zwar erst vor Kurzem ihr Debüt-Album „Inmazes“ veröffentlicht, einigen Konzertbesuchern waren manche Tracks aber sicher schon via „You-Tube“ geläufig. Die digitale Vermarktung wird, wie mir schon auf Konzerten von Acts wie TESSERACT oder INTERVALS und PLINI aufgefallen ist, wichtiger als die konventionelle Veröffentlichung von Alben. VOLA ist also eine weitere „Internet-Band“, die zwar ihre Sache auch live ordentlich erledigt, dem Genre aber nicht unbedingt Neues hinzufügt.

Wem die Show gefallen hat, dem will ich sie nicht schlecht reden. Mir persönlich war das Keyboard-Geklimpere im Zusammenspiel mit den Sound-Samples aus dem akkurat positionierten „Apple“-IMac, damit man das – mich schon innerlich provozierende – Scheiß-Apfel Logo auch noch schön sieht, zu viel Hipster-Scheiß. Das dadurch angezogene Publikum entsprach jedenfalls meinen Vorstellungen. Schlagzeuger und Bassist legten das Groove-Fundament auf dem Frontmann Asger Mygind seine Riffs und Melodien aufbaute. Der Gesang war zwar durchaus okay, aber im Vergleich zu einem Rody Walker von den unerreichbaren PROTEST THE HERO stellte sich VOLA da fast als eine Mogelpackung heraus, welche die vorgegebenen Djent-Vorgaben lediglich richtig einsetzt. Wie man es interessanter macht, zeigten uns dann die Helden von Morgen: AGENT FRESCO. [Florian Rosenberger]

Nicht einmal ganz ein Jahr ist es her, dass AGENT FRESCO Anfang Dezember 2015 im B72 ihre letzte Aufwartung machten, damals in kleinerem Rahmen, dafür umso persönlicher. Das B72 war brechend voll, jedoch ist die große Halle der Arena ein völlig anderes Kaliber und war trotzdem angenehm locker gefüllt. Ohne viel Tam-Tam betraten die vier isländischen Ausnahmemusiker (davon scheint es im Land der Elfen und Trolle ja eine ganze Menge zu geben) die Bühne und hielten auch nicht lange mit dem ersten „Kracher“ hinterm Berg. Eröffnet wurde, wie auch auf ihrem ersten Album „A Long Time Listening“ (2010), mit dem wunderbar-traurig anmutenden „Anemoi“. Ein Song, der lieber früher als später die Qualitäten der Band auf eindrucksvolle Weise hervorkehrt. Ohne viel Mühe wurden große Melodien am Klavier heraufbeschworen, cleverer Rhythmus sorgte für die nötige Dosis an Komplexität und der umwerfende Gesang Arnór Dan Arnarsons verschlug einem den Atem.

Perfekt live umgesetzt wurde vor allem die Harmonie zwischen komplexer Songgestaltung, großer Melodie und unbändiger Kraft. Wobei sich diese Kraft nicht nur auf das Publikum, sondern offenbar auch auf den Arsch des Sängers übertrug, welcher nach wenigen Songs die Hose desselben sprengte. Dies wurde mit Humor zur Kenntnis genommen, aber genauso schnell auch wieder ignoriert und war in der weiteren Show keinerlei Grund für Zurückhaltung. Glück hat der Mann, der Unterhosen trägt, ja, aber die Kapitulation des Gesäß-Textils überrascht nicht, wenn man gesehen hat, mit welcher Energie Arnór und seine Mannen ihre offenbar aus tiefstem Herzen kommende Musik zelebrieren.

Hörte man bei ihrem letzten Wien-Konzert im intimeren Ambiente des B72 noch jede Menge Alltagsgeschichten, vor allem aus dem Leben des Sängers, gab sich das charismatische Goldkehlchen in der Arena regelrecht wortkarg. Keine Geschichten über seine Heimat oder überraschend persönliche Einblicke in seine angeschlagene Psyche, nachdem er Opfer eines Raubüberfalls geworden oder sein Vater gestorben war. Von all diesen tiefen Emotionen wurde dieses Mal nicht erzählt, sondern sie wurden auf der Bühne gelebt, besiegt und tropften AGENT FRESCO aus jeder Pore. Schönheit, Kraft und eine fast instinktiv anmutende Wendigkeit in ihrer musikalischen Bandbreite machen diese Band schon auf Platte zu etwas Besonderem. Live erreichen die Jungs das durch die ehrliche und ungeschönte Art, mit der sie sich ihrer Musik hingeben und sich einen Dreck darum scheren, ob ihnen dabei der Arsch aus der Hose lacht. [Dr. Gruselglatz]

(Pic by Andreas Graf)

Da meine Arena-Wien-Besuche wie schon bei MASTODON auch als Sozializing-Events dienen, können mir die Umbaupausen vor allem an Wochenenden für Gespräche nicht lange genug sein. Auch diverse alte Bandbekannte von PROTOTYPER und SYMPATHY FOR NOTHING sowie neue Musikerfreunde, wie jene von SKYLAND ESCAPE oder AS GOD CREATED, waren zugegen und Fachsimpeleien nicht abgeneigt. Auch dem Bierkonsum durfte wieder „gefröweint“ werden, ohne dadurch, wie vor einem Jahr nach dem PARADISE LOST Gig, wie ein Wombat aus dem Australien Pub „Down Under“ zu kriechen. "Gesitteter Bierkonsum also", dachte ich mir und wurde sodann gleich zu einem Stamperl Jägermeister eingeladen.

Just in diesem Moment begannen KATATONIA mit “Last Song Before The Fade” vom aktuellen Album “The Fall Of Hearts” ihren ersten Song zu spielen und mein Trinkgeselle Christoph verabschiedete sich lautstark mitsingend in Richtung Menschenmenge. Gleich darauf folgte „Deliberation“ vom diesjährigen 10 Jahre-Jubiläumsalbum „The Great Cold Distance“, ein ruhiger Song mit dem genialen Refrain: „So when you let me in, let me justify…”, der nach Herzenslust mitgegrölt werden durfte. Nachdem WARREL DANE live ja leider bei seiner „Dead Heart In a Dead World“-Tour nicht die Herzen der Fans erwärmen konnte, ließen zumindest am heutigen Abend KATATONIA mit “Serein” die Herzen für das Publikum fallen. (HAMMERFALL kommen erst 2017 wieder!)

Endlich kam nun auch mit „Dead Letters” ein Song vom Vorgängeralbum “Dead End Kings”, mit dem ich mich in den letzten drei Jahren wohl am meisten beschäftigt habe. Schon allein der Einstieg mit den Worten „Vexaton, Internal Void“ brachte mich in die richtige Düsterstimmung des kalten Herbstabends. Mein später Einstieg ins KATATONIA-Universum bei “Night Is The New Day” wurde sogleich mit „Day And Then The Shade“ belohnt. Dieses Album ließ mich über Umwege die „modernen“ ANATHEMA entdecken und war für mich damals eine Offenbarung.

(Pic by Andreas Graf)

Mit “Teargas” vom 2001er Werk “Last Fair Deal Gone Down” wurde in der Diskografie 15 Jahre zurückgegangen, bevor „Criminals“ vom bereits erwähnten “Viva Emptiness”-Opus ordentlich Gänsehaut erzeugte. Dazwischen wurde mit „Saw You Drown“ von “Discouraged Ones” der älteste Song des Abends zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder aufgeführt. „Evidence“ („Be still for a moment…") und “Soil’s Song”, mit ruhigerem Beginn und unglaublichem Dynamikwechsel gekennzeichnet, beendeten den ersten Klassikerreigen.

“Old Heart Falls” bot dann noch schnell aktuelles, ruhigeres Material, bevor es mit „For My Demons” von “Tonight’s Decision” dann etwas brachialer in die Vergangenheit ging (Wer auf die härtere Gangart von KATATONIA steht, sollte sich unbedingt auch die leider vorübergehend auf Eis gelegten GHOST BRIGADE reinziehen). Richtig fett groovte die Soundwalze „Leaders“ das Publikum ordentlich nieder, und mit dem modern klingenden „Forsaker“ wurde dann der Hauptteil des Konzerts beendet. Die erwartete Zugabe hatte es dann aber noch mit insgesamt vier Meisterwerken regelrecht in sich.

“Ghost of The Sun” war mit seinen treibenden Schlagzeugbeats und groovigen Riffs, über denen die geniale Stimme des immer im Finsteren stehenden Jonas Renske thronte – sein Gesicht war während des gesamten Gigs hinter seinen Haaren versteckt –, erst der Anfang. Wenn der Übersänger über die “City of Glass” erzählt und zum Refrain „I trusted you…“ einsetzt, ist das an Emotionen kaum zu überbieten.

„My Twin“ überzeugte mit einer melancholischen Stimmung und vor allem der Refrain ist wieder große Klasse. Der fast noch als frisch zu bezeichnende Song „Lethean“ stellte klar, dass es auch in der jungen Diskografie KATATONIAs bereits Klassiker auf der Setlist gibt. „July“ mit seinem grandiosen – schwindelerregenden – Mittelteil zeigte als sechster Song von „The Great Cold Distance“ auf, welches Album an diesem Konzertabend, der wieder einmal als durch und durch genial bezeichnet werden kann, die zentrale Position einnahm. [Florian Rosenberger]

(Pic by Andreas Graf)


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