13.05- 16.05.16, Agra, Leipzig

Wave - Gotik - Treffen 2016

Text: Martina Schadt | Fotos: fg
Veröffentlicht am 24.05.2016

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Musik hat seine Daseinsberechtigung, so wie fast jede ander Sache auch. Es ist Kunst und die Geschmäcker sehr verschieden, sonst müssten wohl alle die gleiche Art an Musik anhören, die gleichen Dinge tun, etc.. So vielfältig die Musik auch ist, so vielfältig fällt der Kleidungsstil der Besucher des 25. WGT´s aus. Und das macht den Unterschied zu einem "ganz normalen" Popfestival. Und ob der Massen an Besuchern, an Zuhörern bei den Konzerten, ist es sehr homogen, mit Freundlichkeit, Anstand und Rücksichtnahme zugegangen. Dass diese Tugenden nicht immer gewährleistet werden können, steht außer Zweifel. Es wird daruf geachtet und sich entschuldigt, wenn es doch einmal zu einem "Zusammenstoß" kommt. Dies ist ein markanter Unterschied zu herkömmlichen Festivals. Es wird oft die Frage gestellt: "Essen Gotiks Katzen?" Definitiv: NEIN!!! 

Vielen Dank für 25 Jahre!!!

 

Saeldes Sanc & Ernst Horn – Montag 16.05.16 im Schauspielhaus

Ein großer Traum der Band SAELDES SANC ging in Erfüllung: Am letzten Abend des WGT's 2016 durften SAELDES SANC in den edlen Hallen des Schauspielhauses aufspielen. Und das zum 5-jährigen Jubiläum der Band. Besser gehts nicht, denkt man? Oh doch, denn in Ernst Horn (Gründungsmitglied von Deine Lakaien & Helium Vola) hat sich SAELDES SANC einer der profiliertesten Musiker an Klavier und Synthesizer mit ins Boot geholt. Das erste Lied stammte aus der Feder von Helium Vola. Ernst Horn am Klavier begleitete Sängerin Hannah Wagner. Bevor das zweite Lied anfing, gab es einen kleinen Fauxpas zum Schmunzeln. Ernst Horn hatte die Setliste von Hannah Wagner aus Versehen „eingepackt“.... Mit dem Vermerk von Hannah Wagner, „Er möge diese doch bitte herausgeben, begann das Lied etwas zeitverzögert. Während des weiteren beschwingt, belustigten Programmverlaufs schwappte die Spielfreude der Musiker im vollbesetzten Saal ungebremst auf das Publikum über. Es wurde geklatscht, gelacht und ungehemmt mitgesungen. Eine derart gelöste Stimmung wurde durch die offene und herzliche Art der Musiker mit dem Publikum zu kommunizieren  und zu scherzen, verstärkt. SAELDES SANC bedeutet auf Mittelhochdeutsch: „Der Gesang der Glückseligkeit“. Nach diesem Motto entließen SAELDES SANC am Ende ihres Auftrittes das Publikum Freudetrunken und voller Glückseligkeit in die restlichen verbleibenden Stunden des 25. WGT's.

 

The Deadfly Ensemble – Freitag 13.05.16 im Schauspielhaus

Zu einem Schauspiel der besonderen Art versammelten sich am Freitag zu fortgeschrittener Stunde im Schauspielhaus die Dark Cabaret Group THE DEADFLY ENSEMBLE aus Los Angeles. Die schrillen Glocken des Schauspielhauses, die den Beginn jeder Veranstaltung verkünden, waren kaum verklungen und die Türen nicht vollends geschlossen, als die ersten Klänge auf der Bühne ertönten. Von der ersten Minute an bot sich dem Zuschauer ein bewegtes, turbulentes Treiben auf der Bühne, rund um den exzentrischen Sänger, Gitarrist und Ensemblegründer Lucas Lanthier: Da erscheinen im aufsteigenden Nebel märchenhaft gekleidete Musiker, der Bassist mit Henkersumhang, der Schlagzeuger mit Wolfsmaske; stechen im grellen Scheinwerferlicht die spitzen Iros von Cellistin und Gitarrist hervor; etliche Fotografen wuseln um die Musiker herum und filmen und fotografieren ausgiebig die Posen und Bewegungen der Musiker. Und immer ist dieses ganze theatralische Schauspiel gefüllt von der ausdrucksstarken Stimme von Lucas Lanthier, bei dessen Anblick, dessen Mimik und Gestik, dessen graziler, aber auch stürmisch explosiven Art es sich nicht vermeiden lässt, ja es sich gerade aufdrängt, in Erinnerungen an David Bowie zu fallen. Fallen lassen und die Gedanken abheben zu lassen, dass ist es, was man an diesem Abend in den roten Samtsitzen des Schauspielhauses besonders gut konnte. Schade, um jeden Sitz, der ungenutzt blieb!

 

Project Pitchfork – Freitag 13.05.16 im Kohlrabizirkus

Vor dem Kohlrabizirkus sah man am Freitagabend schon von weitem die lange schwarze Menschenschlange, die geduldig auf den Einlass wartete, um einer der, Anfang der 1990er bis zum heutigen Tage, populärsten Vertreter der Elektro-Wave-Szene zu huldigen: PROJECT PITCHFORK. Musikalisch lässt sich die Band allerdings nicht nur auf die Wave–Szene reduzieren. Sie spricht mit ihrer Kritik jeden an und das will sie auch. Der Besucher lässt sich auch nicht nur auf den Goth bzw. Wave beschränken, denn es waren auch „normale“ Besucher in Jeans und einfachem T–Shirt an diesem Abend zu sehen. Und das ist genau das, was Sänger und Frontmann Peter Spilles seit Anbeginn des Bandbestehens als Vorstellung hatte. Mit ihren sozialkritischenTexten setzen PROJECT PITCHFORK Zeichen, die im Grunde genommen zeitlos sind und an Aussagekraft nichts verloren haben. Heutzutage ist diese Kunst der Kritik noch mehr von Bedeutung, die Zeit rast rasant an uns vorbei, die Themen, auf die sie sich nicht festlegen lassen wollen, häufen sich, über die gesungen und über die dann der Zuhörer im Nachhinein diskutieren soll.

Die musikalischen Einflüsse von Project Pitchfork lassen sich lesen, wie das Who is Who der Gothszene. Darunter befinden sich Größen, wie DEAD CAN DANCE, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN und ULTRAVOX. Diese Bands liefern ein reichhaltiges musikalisches Spektrum um seinen eigenen musikalischen Sud zu brauen. Mit ihrer Musik wagten PROJECT PITCHFORK eine positive mystische Attacke, die in dieser Art in der dunklen Szene noch nicht dagewesen war.

 

Pink Turns Blue – Montag 16.05.16 im Alten Landratsamt

Wahrhaftig „gute alte Zeiten“ erlebte man am Pfingstmontag im „Alten Landratsamt“. Mit PINK TURNS BLUE hat es eine Zeitreise gegeben, die musikalisch bis zurück in die Anfang/Mitte der 80er zurückführt. Man kann es sich kaum vorstellen, dass sich hier mehr Waver auf engstem Raum begegnet sind, als während des ganzen WGT–Wochenendes. Eine derart lange Warteschlange hat es am „Alten Landratsamt“ noch nicht gegeben. Für diejenigen, die es geschafft und Zugang in die ehrwürdige Halle erhalten haben, war es ein Berauschnis der besonderen Art. Ein Leckerbissen, der nicht mit einem Häppchen so mal zwischendurch zu vergleichen ist. Die musikalische Würzung von PINK TURNS BLUE liegt irgendwo zwischen JOY DIVISION und THE CURE. Die Musik ist eher minimalistisch gehalten und beschränkt sich hauptsächlich auf Gitarre, Bass und Schlagzeug und ab und an Synthesizersequenzen. Ergo gitarrenlastige Musik mit der unverwechselbaren Stimme von Sänger Michael „Mic“ Jogwer.Als fast jeder nach zwei Zugaben das Konzert zufrieden, in der guten alten Zeit sinnend, verlassen wollte, drehte Pink Turns Blue nochmals am Zugabenregler und legte - sage und schreibe - vier Zugaben auf die Platte. Es hatte den Anschein, dass sie kein Ende finden wollten und das zur Freude des Restpublikums, das nur noch zu ca. der Hälfte dessen bestand, was das „alte Landratsamt“ an Fassungsvermögen besitzt. Völliger Siedepunkt entstand bei dem Lied „Walking on both Sides“. Hier gab es kein Halten mehr und der harte Kern schwelgte sich im links/rechts Rhythmusschwung die Seele aus dem Leib.

 

Peter Murphy – Freitag 13.05.16 im Agra – Treffen - Park

PETER MURPHY dürfte vielen noch im Kopf als Sänger von Bauhaus herumschwirren. Doch er kann auch alleine mit eigener Band. Was er an diesem Abend in der Agra aus dem Hut zauberte, zollt Respekt in höchstem Maße. Es ist nicht so, dass hier ein Konzert einfach nur „heruntergeleiert“ wird. Nein, es ist ein Erlebnis und wird es auch bleiben. Die Größe der Bühne scheint gerade so auszureichen, um den Bedürfnissen PETER MURPHYs gerecht zu werden. Während manchen seiner Liedern sitzt PETER MURPHY auf einem Barhocker. Es scheint als wäre der Sänger verkrampft und sucht nach Worten, die ihn sein Leben lang schon begleitet haben und die er noch nicht aussprechen oder gar besingen konnte. Eben bis auf jenen 13. Mai 2016. Auf der anderen Seite beackert PETER MURPHY die Bühne mal im Stechschritt, mal in einer Art kurzer Raserei. Die dritte Variante bestand darin, dass sich PETER MURPHY vor den Zuhörern provokativ aufbaute, um eine Reaktion, ein Zeichen von eben diesen zu bekommen. Es war ein Verharren, ein Abwarten, das sich eine kleine Zeit hingezogen hat. Manchmal war in all dem Trubel eine ungemeine Ruhe zu verspüren. Diese Bühnenperformance kann und darf von keinem anderen als PETER MURPHY gezeigt werden. Nachahmen wäre zu schäbig, quasi unmöglich!

 

Lord of the Lost - Sonntag 15.05.16 im Agra - Treffen - Park

LORD OF THE LOST zieht in der Agra eine Nummer ab, die ihres gleichen sucht. Diese Band besteht seit 2007 und sie weiß ihren Weg zu gehen. Der letzte Auftritt von LORD OF THE LOST liegt bereits sechs Jahre zurück: Es ist laut Sänger Chris Harms, der in optischer Hinsicht gewisse Ähnlichkeiten mit Klaus Kinski aufweist, immer spannend hier auf dem WGT einen Gig zu spielen. Noch aufregender sei es aber, Lieder zu schreiben und sie zu veröffentlichen, wie die neue Single: „The Love of the God“. Die Mischung aus Goth Rock und Metal Rock kommt sehr gut beim Zuhörer an. Die musikalischen Anleihen klingen stellenweise nach MARILYN MANSON, RAMMSTEIN und NINE INCH NAILS, jedoch ohne die eigene Identität zu verlieren oder gar auf's Spiel zu setzen. Diese Musik ist sicherlich keine Neuerfindung, zu erzählen haben LORD OF THE LOST jedoch reichlich. Ihre Musik ist sehr gut ausgetüftelt und ausgefeilt bis ins Detail. Es entstehen sehr vielschichtig kombinierte Klangwelten, die das Ohr gerne aufnimmt und ins Gehirn transportiert. Daher ist es bei dieser Band nicht verwunderlich, dass trotz oder gerade wegen der Härte der Lieder nicht von Anfang an durchgestartet wird, wie bei der Zündung einer Rakete. Kreativ klingt es allemal, obwohl die stellenweise komplizierten Klangbilder ansonsten aus dem Rahmen fallen und nicht passen würden. Zu meinem Erstaunen sitzt und passt das Klangbild bei jedem Lied, so wie Klamotten passen und in denen man sich auf Anhieb wohlfühlt. So ist es bei LORD OF THE LOST! 

 

Estampie - Samstag 14.05.16 im Heidnischen Dorf

Was gibt es Schöneres als an einem malerischen Ort wie dem Heidnischen Dorf, das ein authentisches Gefühl von Mittelalter vermittelt, sich von den Klängen von ESTAMPIE entführen zu lassen. Die Außentemperaturen waren nicht erbaulich, doch ESTAMPIE sorgte mit ihrer Musik für ordentliche Innentemperaturen. So vergaß man schnell, wie kalt es in Wirklichkeit war.

ESTAMPIE blickt in diesem Jahr auf ihr 30jähriges Bühnenjubiläums zurück. Dabei kann es schon einmal passieren, dass die Mitglieder von ESTAMPIE, dies sind die Urgesteine, Michael Popp (u. A. Harfe, Saz, Ud, Schalmei), Sigrid Hausen, Syrah genannt, (Gesang & Flöten) und Ernst Schwindl (Drehleier), sich nicht mehr daran erinnern können, wie oft sie bereits auf dem WGT aufgetreten sind.

Das Publikum jedoch ist das Elixier ESTAMPIEs, mit dem sie sich auf musikalische Reisen begeben und immer wieder neue Wege beschreiten mit neuen Musikern und mit der Vielfalt der unterschiedlichen mittelalterlichen Instrumenten. Es ist ein vertrautes Gefühl von beiden Seiten, als ob man sich schon lange kennt. Man freut sich immer wieder von Neuem auf den nächsten Auftritt von ESTAMPIE.

 

Eric Fish & Friends - Montag 16.05.16 im Heidnischen Dorf

Als ERIC FISH die Bühne betrat, wusste er wohl auch nicht so recht, warum ausgerechnet er als Musiker zum WGT ins Heidnische Dorf gebucht wurde. Dies kam des Öfteren zum Ausdruck, mit Worten...“Wie viel Zeit ist denn noch“? Gebt mir mal durch, wie lange ich noch spielen darf!“, zum Publikum gewandt...frei nach Fisher Berliner Schnauze. „Wir haben eigentlich keine Zeit, weil wir mitten in der Produktion für ein neues Album stecken!!!“ So ist er nun einmal, der Herr Fish! Immer mal einen trockenen ironischen Witz auf Lager. Neben eigenen Stücken brachten Eric Fish & Friends auch explizite Coversongs der Musikgeschichte auf die Bühne und versetzten das heidnische Dorf damit in Feier- und Tanzlaune.

 

Die Krupps -  Samstag 14.05.16 im Agra - Treffen - Park

Im vierten Jahrzehnt bauen DIE KRUPPS neue Traditionen auf, ohne mit den alten ganz zu brechen. Die Mixtur aus EBM/ Industrial-Rock-Legende sitzt und passt noch immer wie ein maßgeschneiderter Anzug. Angefangen hat alles in der punkbewegten Musik. Eine Umorientierung, warum auch immer zu diesem Musikstil war wohl nötig. Dies tat vor allem dem Sänger der TOTEN HOSEN, Campino, sehr leid.

Hier im Agra Messepark lassen DIE KRUPPS die bekannte „Sau aus dem Sack“ und es gibt was auf die Ohren, die jedes Zuhörerherz höher schlagen lässt. Man kann es sich kaum vorstellen, aber Die Krupps haben bereits EBM/ Industrial–Rock gespielt, da hat es ca. die Hälfte der Zuhörerschaft noch gar nicht gegeben. Und da sieht man mal wieder ein Indiz, wie rasant die Zeit doch vergeht und wie rasant sie vergangen ist. DIE KRUPPS sind im Hier und Jetzt. Sie stehen auf der Bühne und es gibt kein Halten mehr. Der Funke springt förmlich von der Bühne und wieder zurück. Und das nicht nur in dem Kultsong „Der Ambos“, bei dem Sänger Jürgen Engler auf dem von ihm entwickelten Instrument Stahlophon mit einem Hammer drischt.

Soviel Energie, wie die Mannen in diesem Alter von fast 60 Jahren noch auf der Bühne versprühen, lässt einen ehrwürdig Respekt zollen.

 

Darkhaus - Sonntag 15.05.16 im Agra - Treffen - Park

Als Newcomer des Jahres 2013 für das Album „My Only Shelter“ und als beste Support-Band 2014 unter anderem von EISBRECHER, SUBWAY TO SALLY und UNZUCHT, erspielte sich DARKHAUS nun auch die Ehre, die Hallen der Agra zum ersten Mal mit ihrem Dark Rock beschallen zu dürfen. Der Andrang des Publikums hielt sich allerdings zaghaft in Grenzen; dem ein oder anderen Waver oder Goth, mutmaßt man, könnte der Dark Rock von Darkhaus doch zu soft und zu seicht sein. Die getreuen Fans allerdings drängten sich vom ersten Lied an tanzend vor der Bühne und kamen auch voll auf ihre Kosten: Spätestens beim vierten Lied grölten die Anwesenden mit dem aus Schottland stammenden DARKHAUS-Sänger Ken Hanlon, begleitet von den vier Bandmitgliedern an Gitarre, Bass und Schlagzeug, textsicher und aus voller Kehle mit.

 

Coppelius – Montag 16.05.16 im Heidnischen Dorf

Die edlen Herren von COPPELIUS bescherten dem werten Auditorium im Heidnischen Dorf einen außerordentlich famosen Abschluss des WGT – Treffens. Wie immer ein musikalischer Hochgenuss, den die sechs Berliner, auch als tollwütige Pinguine bezeichneten Gehrockträger, mit Klarinette, Cello, Kontrabass und Schlagzeug, auf's Paket legten. Mit ihrem als „Kammer-Core des 19. Jahrhunderts“ bezeichneten Musikstils, sowie ihrer chaotisch, spontanen Art, speziell des Butlers Bastille und seinen eigenwilligen Rezitativ-Ansagen begeisterten sie das Publikum in vollem Maße. Im Angesicht der Tatsache, dass die Herren aus dem 19. Jahrhundert angekündigt haben, sich für unbestimmte Zeit eine Bühnenabstinenz zu gönnen, verstärkte sich der Eindruck, dass das Publikum jeden verbleibenden Auftritt in vollen Zügen genießen und feiern wolle....so waren die Da Capo Jubelrufe des Auditoriums noch weit über die ehrwürdigen Gefilden des Agraparks zu vernehmen.

....auf dass die edlen Herren wiederkehren mögen! Hut ab!!!!

 

 


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