03.04.2014, Arena - kleine Halle

ANNEKE VAN GIERSBERGEN

Veröffentlicht am 09.04.2014

Es sind sicher nicht wenige, die sich die sympathische Holländerin als Frontfrau bei THE GATHERING zurückwünschen. Umso unerklärlicher ist es (wieder einmal), dass sich zu einem Solo-Auftritt von Anneke van Giersbergen gerade mal 150 Leute verirren. Und wieder einmal muss ich schreiben: selber schuld, denn die geballte Frauen-Power an diesem Donnerstagabend zaubert Magie in den Raum und wird für alle beteiligten ein einzigartiges Erlebnis. Eigentlich wäre ja auch ein Video-Interview geplant gewesen, aber als uns Manager und Ehemann Rob Snijders am Nachmittag via SMS mitteilt, dass es um Annekes Stimme gar nicht gut bestellt ist, sie sich scheinbar eine Stimmbandinfektion eingefangen hat, fürchten wir auch schon um den abendlichen Gig und verschieben das Interview mal bis auf weiteres. Aber die 41-jährige wird uns heute noch gehörig überraschen. Zuerst wärmt jedoch erst einmal ANNA MURPHY das Publikum in der kleinen Arena-Halle vor. Die zierliche Schweizerin, die die meisten bislang nur als Drehleier-Spielerin beim eidgenössischen Pagan-Kollektiv ELUVEITIE kennen dürften, fährt mit eigener Band auf, und vom Stil her ist sie dem melancholischen Power-Pop und Trip-Rock von Anneke nicht unähnlich. In ihrem 50-minütigen Set sorgt sie mit ihrer doch recht außergewöhnlichen Stimme des Öfteren für verdutzte Gesichter, schade dass die Kollegen in ihrer Hauptband sie meist bloß als Background-Sängerin rumjodeln lassen.

Heute hier entfalten sich Stimme und Talent der gerade mal 25-jährigen Grazie unglaublich intensiv, und auch wenn die Songs selber keine großen Preise gewinnen werden, so schafft es Anna mit ihrer bescheidenen, und doch überwältigenden Präsenz, ihrer fast schon niedlichen Art und einer großartigen Band im Rücken, das Publikum auf ihre Seite zu reißen. Anneke Van Giersbergen kommt nach kurzer Pause erst mal nur mit Akustik-Gitarre bewaffnet auf die Bühne, und hat gottlob eine Stimme. Wie immer charmant, fast ein wenig verlegen und schüchtern, erklärt sie, die erste Hälfte des Gigs heute rein akustisch zu präsentieren. Sie wolle ihre angeschlagene Stimme, die am Nachmittag von einem renommierten Wiener Arzt vorübergehend gerettet wurde, nicht zu sehr überanspruchen. Das Publikum versteht es, nimmt es dankbar hin - Hauptsache sie singt überhaupt! Die ersten sieben Songs werden in reduzierter Version gleich nochmal eine Stufe eindringlicher, Anneke könnte auch nur alleine mit ihrer Stimme audiophile Gourmets wie mich in ihren Bann ziehen, ja hypnotisieren, und sie tut genau das. Natürlich anfangs vorsichtig, dann ein wenig lauter und gewagter. Oben erwähnter Arzt dürfte auch wirklich was von seinem Fach verstehen, denn zu hören war von einer Stimmbandentzündung absolut nichts.

Ab und zu dreht sich Anneke um, trinkt ein paar Schluck, dann verzerrt sie das Gesicht, auch wenn sie versucht, immer nett zu lächeln wenn sie ins Publikum schaut. Sie hat Schmerzen und man merkt es ihr an. Immer wieder greift sie sich an die Brust, als wolle sie ihre Stimme im Körper halten wollen. Nichtsdestotrotz versucht sie sich nichts anmerken zu lassen, es spielt auch gar keine Rolle mehr, denn sie singt, und sie singt wie eh und je, die Leute im Publikum folgen ihr wie dem Flötenspieler von Hameln. Nach einer eindringlichen Minimalversion von Cindy Laupers "Time After Time" und dem THE GATHERING-Standard "Broken Glass" kommt nach und nach die Band auf die Bühne, setzt nicht gleich voll ein, sondern lässt Anneke die Intensität bestimmen. Die ist auch in reduzierter Form noch immens, und wie ein erlösender Sommerregen bricht die volle, wunderschöne Gewalt von "My Mother Said", "My Boy" oder dem THE GATHERING-Klassiker "Saturnine" über uns herein. Eine Stimmung, man scheint sie nicht in Worte fassen zu können und müssen. Die Band rund um das Ehepaar Anneke & Rob grooved ungemein, und irgendwann tut es gar nicht mehr weh, dass es THE GATHERING nicht mehr in dieser Form gibt - Anneke Van Giersbergen hat hier längst ihre eigenen Standards gesetzt, und obwohl sie auch früher nie irgendwo eingezwängt wirkte, hat sie doch heute alle musikalischen Freiheiten, kostet sie auch aus.

So erleben wir heute eine ausgewogene Mischung aus altem und neuem, das Alte wird ohne Wehmut dargeboten, das Neue frenetisch bejubelt. Am Ende kommt das Fräulein, das eigentlich nie Diva sein wollte und auch definitiv keine ist, für die Zugabe "4 Years" noch einmal zurück, druckvoll hallen zu diesem Zeitpunkt immer noch "Only The Spirits Are Afraid" und "1000 Miles Away From You" in der Halle nach, auch als schon längst die Lichter wieder angehen. Anneke darf heute ausnahmsweise gleich in den Tourbus verschwinden, sie ist müde und es tut ihr hörbar selbst weh, heute nicht mit ihren Fans smalltalken zu können. Jeder einzelne vergönnt es ihr, jeder einzelne ist dankbar, sie heute erlebt zu haben. Eine große Frau, die weiß was sie ihrem Publikum geben muss, und sie gibt es auch unter Schmerzen. Welch ein wundervoller, einzigartiger Abend, gerade auch deswegen, weil Anneke Van Giersbergen trotz nur achtzig Prozent Stimme hundertzehn Prozent Performance geboten hat.



Setlist ANNEKE VAN GIERSBERGEN:

My Electricity (THE GATHERING song) Beautiful One (AGUA DE ANNIQUE song) Songbird All I Want Is You Time After Time (CINDY LAUPER cover) Circles Broken Glass (THE GATHERING song) =============================== Leaves (THE GATHERING song) My Mother Said 1000 Miles Away From You Even The Spirits Are Afraid (THE GATHERING song) My Boy You Will Never Change Saturnine (THE GATHERING song) =============================== 4 Years


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