05.10.2013, Reigen

ORPHANED LAND

Veröffentlicht am 11.10.2013

Wenn die Gebrüder Ghezzo und CONXIOUS zu Konzerten laden, dann ist das meist ein besonderer Anlass. Bands wie SUBSIGNAL oder SIEGES EVEN hätten ohne sie wohl kaum den Weg nach Wien gefunden, und auch für die Wiener Band selbst ist es immer eine gute Möglichkeit, sich einem breiteren Publikum als sonst zu präsentieren. Wobei "breiter" hier wiederum ziemlich relativ ist: der Reigen bietet, wenn voll, knapp 300 Menschen Platz, ist heute gerade mal halb voll, und so wird der schnuckelige Club auch diesmal wieder zum verlängerten Wohnzimmer. Als Opener fungieren pünktlich um 20 Uhr dann eben die Veranstalter selbst - CONXIOUS können mit ihrem doch ziemlich komplexen Prog-Metal auch die ersten Nasen in den Saal und hinter der Bar hervorlocken. Natürlich muss man in einer knappen dreiviertel Stunde schon schön aufpassen, nicht die falschen Songs auszuwählen, schon gar nicht wenn die meisten jenseits der 5 Minuten dauern. Aber Sänger Michi Reiter hat alles fest im Griff, scherzt trotz noch spärlich besuchtem Saal mit dem "Publikum", die Ghezzos und Basser Peter grooven sich durch die teils sehr anspruchsvollen Tracks. Ist nicht jedermanns Sache, klar. Was manchmal klingt als würde man WATCHTOWER mit halber Geschwindigkeit hören (was in diesem Fall durchaus als Kompliment zu verstehen ist), ist jedoch mit sehr viel Herzblut und Überzeugung dargebracht und ein schöner Einstieg in diesen wunderbaren Abend.

Ganz andere Töne schlagen THE MARS CHRONICLES aus Frankreich an. Mit ihrem wuchtigen Post-Core, der einmal sehr brachial daherkommt, dann wieder sehr verhalten, erinnern sie an Bands wie SCALE THE SUMMIT, vom Goove her auch immer ein bisschen an FEAR FACTORY. Die ziemlich junge Band - gegründet erst 2012 - gibt ihr Set aus fünf Tracks bereits auf einem extrem hohen Professionalitäts-Level zum Besten, Drummer Morgan Berthet zählt nicht zu Unrecht zu den großen Nachwuchs-Hoffnungen aus dem Franzosenlande und sieht aus wie der kleine Bruder von Jacoby Shaddix (PAPA ROACH). Das Publikum ist bereits aus seiner Lethargie erwacht und goutiert die extrem energiegeladenen Sounderuptionen mit heftigem Kopfgenicke. Eine Band, deren Namen man sich schon mal merken sollte, nein: muss!

Ebenfalls aus Frankreich stammen die Dark-Metaller KLONE, die sich mit THE MARS CHRONICLES auf dieser Tour auch noch den Schlagzeuger teilen. Das Quintett lässt unheimlich viel Energie zwischen den Instrumenten fließen, da fliegt der Schweiß, da knistert die Luft, und auch die zurückhaltenden Wiener Headbanger wagen sich jetzt schon fast bis an die Bühne. Die Franzosen können bereits aus vier Alben schöpfen und verstauen in den knapp 50 Spielminuten einen Kracher nach dem anderen, Songs wie "Give Up The Rest" und "Holloway" driften in die Ecke ihrer Landsmänner GOJIRA und haben auch ein wenig diesen frühen TOOL-Touch. Abgerundet wird die energische Vorführung durch eine gelungene Neubearbeitung von BJÖRK's "Army Of Me", und das Gedränge am Merch-Stand danach kann nur als positives Signal gewertet werden.

Optisch ein wenig zu viel Arafat-Tuch präsentieren die aus Jordanien stammenden Death Metaller BILOCATE, und Sänger Ramzi Essayed blickt durchwegs finster in die Menge. In Jordanien Metal-Band sein, das erfordert nicht nur starke Nerven, da muss man auch ab und an mal um sein Leben fürchten. Umso mehr lassen die sechs Jungs auf dieser Tour durch den "ach so freien Westen" natürlich die Sau raus. Gelegentlich klingt der mit Keyboards unterstützte Todesmetall ein wenig nach alten CRADLE OF FILTH, und es ist erstaunlich was sich diese Herrschaften trotz der teils widrigen Umstände in ihrem Heimatland an instrumentalem Können draufgetan haben. Mit immerhin drei Langspielern kann die Truppe aus Amman bereits aufwarten, und der Großteil der Setlist besteht aus Material vom aktuellen "Summoning The Bygones"-Album. Ich denke international wird man mit dieser heftigen Performance durchwegs auf positive Resonanzen stoßen, schön dass BILOCATE - immerhin eines der Aushängeschilder der arabischen Metal-Szene - die Chance bekommen sich auf dieser Tour von ihrer Zuckerseite zu zeigen.

Natürlich ist der Großteil der Metalheads heute wegen ORPHANED LAND da, und als Kobi Fhari, Uri Zelcha und ihre Mitbrüder die kleine Bühne betreten, ist's endlich auch vorbei mit dem "imaginären Fotograben", den man in Wien ja so gerne mal macht. Von Beginn weg hängen die etwa 150 Fans an den Lippen des charismatischen Frontmanns, der wie immer im Kaftan und ohne Schuhe auf der Bühne steht - als wäre er mal eben mitten durch die Wüste in den Reigen gelatscht gekommen. "Through Fire And Water" und "All Is One" sind ein guter Start in den eineinhalbstündigen Set, der sich einerseits durch mittlerweile extrem hohe Professionalität auszeichnet, andererseits wirken die fünf Protagonisten aber immer down to earth, und man fühlt sich bald wie eine große Familie, die gemeinsam zu orientalischen Metal-Hymnen abfeiert. Selbst sanfteres Liedgut wie "Let The Truce Be Known" interpretieren die Israelis mit immens viel Hingabe, da steht einem dann auch schon mal die Gänsehaut. ORPHANED LAND geben nicht die Weltverbesserer, und schon gar nicht wollen sie uns missionieren oder irgendeine Message aufs Aug drücken. Die Message ist allein die Musik, sie ist universell, grenzenlos und schön. Und mit "All Is One" hat man das Motto des heutigen Abends ja quasi in der Kurzversion parat. Ramzi von BILOCATE kommt für einen Song auf die Bühne, Israel und Jordanien Schulter an Schulter - es sind diese kleinen Gesten der Freundschaft, die einen berühren. Bei den heimlichen Hits "Sapari" und "Norra El Norra" singt der ganze Saal mit und alles schunkelt, wiegt und bangt den Head, mittendrin wird die Israelische Flagge geschwungen. Wunderbar. Trotz teils kontroverser Meinungen über die Ziehkinder von Steven Wilson (PORCUPINE TREE) empfindet man mittlerweile hauptsächlich Respekt. Respekt, weil ORPHANED LAND trotz allen Unkenrufen, Debatten und anfänglichen Widrigkeiten immer positiv geblieben sind und nie aufgegeben haben, ihren Traum zu träumen: Musik ist die einzige Religion der Welt. Das muss man nicht akzeptieren, aber man darf es. Und der Erfolg gibt ihnen - nicht nur heute Abend - recht.


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