07.01.2011, Wiener Stadthalle (Halle D)

ROCK MEETS CLASSIC

Veröffentlicht am 13.01.2011

Einen "Seniorenclub" der etwas anderen Art gab es dieser Tage in Wien zu besuchen, und ganz so beschaulich, wie im legendären ORF-Format sollte es dabei natürlich nicht zugehen: Immerhin gaben sich mit Ian Gillan (DEEP PURPLE), Dan McCafferty (NAZARETH), Lou Gramm (FOREIGNER) und Les Holroyd (BARCLAY JAMES HARVEST) gleich vier absolute Legenden des Hard Rock in der Wiener Stadthalle im Rahmen der "Rock Meets Classic"-Tour 2011 die Ehre, und wurden dabei noch vom Bohemian Symphony Orchestra Prag sowie der Mat Sinner Band unterstützt! Dass sich auch ein Drachentöter ein solch potenziell hochkarätig besetztes Altherrentreffen nicht entgehen lassen kann, versteht sich von selbst, und so pilgerte meine Wenigkeit dann auch fromm am 7. Januar gen Urban-Loritz-Platz, um den Rock-Götzen vergangener Tage noch einmal höchstpersönlich zu huldigen. Der erste kleine (aber leider nicht ganz unerwartete) Schock kam dann beim Betreten der Halle: Diese war für Stadthallen-Verhälnisse wirklich minimalst geöffnet, die Ränge komplett zu, und selbst in den Parkett-Reihen fanden sich viele leere Plätze - viel mehr als 3000, vielleicht 4000 Leute können da nicht gewesen sein. Schade eigentlich, denn in Deutschland beispielsweise sind die Shows zum Teil ausverkauft; nur zeigt sich darin wieder einmal die chronische Rock-Anämie in der österreichischen Medienwelt einerseits, und die zunehmende Konzert-Trägheit des Rockpublikums hierzulande andererseits. Denn eigentlich sollten solche Namen, trotz fortgeschrittenen Alters, immer noch große Hallen ausverkaufen können! Aber natürlich nutzen alle großen Namen nichts, wenn die Show drumherum nicht passt; und zugegeben, ein bisschen etwas vom oben angesprochenen Seniorenclub kann man dem Event nicht absprechen. Ein wenig verhalten geht nicht nur das Publikum zu Werke, auch Band und Orchester zeichnen sich nicht unbedingt durch mitreißendes Spiel aus. Nach dem kurzen instrumentalen Intro wird dann auch schon NAZARETH-Fronter Dan McCafferty auf die Bühne gebeten und legt mit dem schön und stimmungsvoll dargebotenen "Dream On" gleich mal amtlich los. Die alte Rockröhre kratzt dabei zwar schon ordentlich, aber dennoch präsentiert sich der gute Herr in formidabler Fasson, und solche Über-Songs wie "Love Hurts" und das abschließende "This Flight Tonight" haben natürlich auch rein gar nichts von ihrer Genialität verloren. Die Umrahmung durch das Orchester trägt dann natürlich auch noch zur Stimmung bei, und es kann getrost gesagt werden, dass der Einstieg hier geglückt ist! Nach stehenden Ovationen für Herrn McCafferty gibt sich das Orchester kurz einem rein klassischen Part hin, und spielt quasi als Durchschnauf-Gelegenheit für das Publikum gleich mal Maurice Ravel's bekannten "Bolero", ehe dann Band-Chef und PRIMAL FEAR-Basser Mat Sinner die zweite Rocklegende im Bunde ankündigt, nämlich Lou Gramm von FOREIGNER. Der in der Vergangenheit ja oftmals mit gesundheitlichen Problemen geschlagene Gramm präsentiert sich allerdings anno 2011 zumindest stimmlich noch immer in Höchstform; optisch erinnert er dank Jeans, blauem Hemd und schneeweißem Haar doch eher ein bisschen an Papa Schlumpf. Nichtsdestoweniger ist es sicher Gramm, der am heutigen Abend von den Rock-Legenden die beste stimmliche Leistung abliefert, und Hits wie "Cold as Ice" und natürlich das unvermeidliche "I Want To Know What Love Is" auf hohem Niveau präsentiert. Ganz so frenetisch wie vorher Dan McCafferty wird er zwar nicht abgefeiert, trotzdem geht ein durchaus zufriedenes Publikum in die Pause. Ja, das ist diese Art Show, bei der es tatsächlich noch eine Pause gibt. Und ja, auch ich bin fasziniert.

Nach der kurzen Unterbrechnung darf dann des Metals liebste Gastsängerin, Amanda Somerville, sonst eher zurückhaltend im 4-Personen-Chor (übrigens nebst PRIMAL FEAR-Schreihals Ralf Scheepers) untergebracht, auch kurz mal die Lead Vocals übernehmen, und singt dabei mal glatt sämtliche der alten Herren in Grund und Boden. Man kann ja sagen, was man will, aber die gute Frau Somerville versteht einfach ihr Handwerk, und ich muss gestehen, bei dem einen Song, den sie hier zum Besten gibt, ist fast konstant Gänsehaut angesagt - und ich glaube, da ging's nicht nur mir so. Das Publikum dankt's mit überraschend begeistertem Applaus, und dann macht man auch schon Platz für Les Holroyd von BARCLAY JAMES HARVEST. Nun, zugegeben, mit dem Schaffen dieses netten älteren Herren (der auch bestimmt seit den 1970igern nicht mehr beim Friseur war) und seiner Prog-Rock-Partie BARCLAY JAMES HARVEST bin ich nicht so vertraut, ein paar schöne Songs hat er aber allemal im Repertoire, so beispielsweise das zwar etwas religiös angehauchte, aber dennoch stimmungsvolle "Hymn" (man sehe sich dazu etwa das legendäre Berlin-Konzert aus 1980 an!). Leider kann er es weder stimmlich noch intonationstechnisch mit seines Standeskollegen aufnehmen, und gerät so etwas zum Filler. Die Platzierung direkt vor dem Main Act is sohin natürlich nicht ganz unklug, denn der Mann, auf den wohl die meisten Besucher an diesem Abend gewartet haben, steht schon in den Startlöchern; und nach dem doch recht kurzen Set von Les Holroyd entert schließlich "The Voice Of Rock" höchstselbst, namentlich Ian Gillan, die Bretter der Stadthalle zu den klängen des orchestral veredelten "Highway Star". Spätestens jetzt ist natürlich das Publikum auch vollends auf Betriebstemperatur, von Karl Moik und Florian Silbereisen ist glücklicherweise weit und breit keine Spur zu sehen, und auch die etwas betagteren Konzertbesucher fordern hier ausnahmsweise mal, dass die Musik lauter statt leiser gedreht werde! Zwar hat auch Mister Gillan kein übermäßig langes Set, dieses besteht dafür ausschließlich aus den wichtigsten Klassikern der Purple'schen Bandgeschichte: So reiht sich "Perfect Strangers" and "Strange Kind Of Woman" (seltsam?), draußen wie drinnen herrscht eine "Black Night", und der wahrscheinlich am besten dargebotene Song von Ian Gillan, "When A Blind Man Cries", wird natürlich dem früheren GOTTHARD-Frontmann Steve Lee gewidmet, von dessen frühzeitigem Tod diese Tour überschattet wurde, zumal er ja ursprünglich an Stelle von Les Holroyd hier hätte dabei sein sollen. Danach gab's kurze Unterbrechung, ehe dann mit dem ebenso unvermeidlichen wie auch nach vierzig Jahren immer noch funktionierenden "Smoke On The Water", bei dem noch mal alle "Rock Meets Classic"-Sänger gemeinsam mit Ian Gillan auf der Bühne der Stadthalle stehen - und spätestens jetzt ist das Veteranentreffen komplett! Fazit: Für Liebhaber der klassischen Rock-Klänge vergangener Tage ist so eine Tour natürlich ein gefundenes Fressen, und angesichts der großkalibrigen Sänger, insbesondere natürlich Ian Gillan, ist auch der doch respektable Ticketpreis verschmerzbar. Ein wenig blaß war dagegen leider die Band um Mat Sinner, besonders die Gitarristen konnten außer durch schwammigen Sound und unsauberes Spiel nicht wirklich überzeugen. Grandios dafür einzig Amanda Somerville, gut Lou Gramm und Dan McCafferty, passabel Les Holroyd und - man muss es leider sagen - Ian Gillan. Der sieht zwar mittlerweile immer mehr wie ein (schlankerer) Wolfgang Amrbos aus, singt auch intonationstechnisch immer noch richtig, aber ein bisschen fehlt dem tiefvioletten Sangesorgan halt mit stolzen 65 Lenzen mittlerweile doch etwas der Saft. Einzig bei "When A Blind Man Cries" kann er restlos überzeugen, bei Power-Songs wie "Highway Star" bleibt aber auch ein Ian Gillan in diesem Alter ein bisschen hinter den Erwartungen zurück. Und dass man mit 65 auch einen Stimmbandbrecher wie "Child In Time" mal in den Ruhestand schicken kann, das wird ihm wohl jeder seiner Fans verzeihen - auch wenn man den Song natürlich gerne live hören würde. Kurzum, man kann sein Geld zweifelsfrei schlechter investieren als in "Rock Meets Classic", und auf Grund der Seltenheit und Einzigartigkeit des Formats ist die Show absolut empfehlenswert. Der ganz große Kracher ist es leider nicht geworden; ein wenig merkt man es den Herren halt schon an, dass sie mittlerweile ein bisschen in die Jahre gekommen sind. Aber sehen wir es mal so: Mir ist lieber, die Gentlemen rocken auch im hohen Alter noch relativ hochklassigen auf den Bühnen dieser Welt, als sie müssen sich altersbedingter Fadesse und Demenz hingeben. Und gut sind sie trotz allem noch. Und wie wir alle wissen: "Sweet child in time you'll see the line - the line that's drawn between the good and bad."


WERBUNG: Hard
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