11.12.2007,

The Asylum Tour 2007

Veröffentlicht am 15.12.2007

Der elfte des Monats Dezember im Jahre des Herren MMVII war ein besonderer Abend meynes jungen Lebens. Ein Abend, der meyne Aussichten und Ansichten für die Ewygkeit in Frage zu stellen und zu verändern sich anschickte, und mein zartes Gemüt schwerest auf die Probe zu stellen nicht zu feyge war. Ich hatte bereyts vor geraumer Zeit vernommen, dass die neue Sensation von jenseits des Atlantiks – EMILIE AUTUMN (für alle des Angelsächsischen nicht mächtigen: soviel wie „Emilie des Herbstes“) – bald auch an den Ufern der Donau zu hören seyn würde, und zwar in dem renommierten Haus der Musik, das untern Kennern auch „Planet der Musik“ genannt wird. Viel Gutes hatte ich bereits über diese Teufelsgeygerin vernommen, die ihrem Ahnen Paganini offensichtlich alle Ehre mache – so hieß es in den populären Magazinen, und auch jenes Wunderding, das man internationales Netz nennt, verhieß ähnliches. So machte ich mich auf, mit meiner neuartigen, des Photographierens mächtigen Maschine, euch, verehrter Leser, eynen kleynen Eyndruck des Geschehens zu verschaffen, das sich an diesem elften Dezember ereygnete. Doch seid gewarnt, ihr, die ihr weyterzulesen waget – viele von euch werden wohl über die furchtbaren und sittenwidrigen Geschehnisse entsetzt seyen. Mögen meyne Bilder dem ehrenwerten Leser bezeugen, was ich an diesem Abend sah, und meyn Bericht meyne Gedanken hierzu. Schon balde nach meyner frühen Ankunft stellte ich mein Ansinnen in Frage: Hatte es mich hier auf eyne Versammlung von Vampieren verschlagen? Dunkel bekleydete Gestalten, Männer wie Frauen, in Korsetten und wallenden Mänteln bevölkerten schließlich die unter der Erde gelegenen, gruft-artigen Hallen des Planeten der Musik. Viele von Ihnen sahen gar schrecklich blaß aus, was mich vermuten ließ, dass das lebensgebende rote Blut ihre Adern bereyts lange verlassen haben musste. Ich beschloß sodann, mich möglichst unauffällig unter diese Figuren zu mischen, die bereyts angefangen hatten, alkoholischen, süßen Met zu sich zu nehmen, wohl um in eyne ausgelassene Stimmung zu kommen und ihren diabolischen Gelüsten besser frönen zu können.

Als die Masse der Gestalten noch etwas zugenommen hatte, betrat schließlich ein ungemeyn schöner, lockiger Jüngling die Bühne, auf der bereyts seltsame Aufbauten zusammengetragen worden waren, deren Sinn und Zweck sich meyner bescheydenen Auffassungsgabe nicht erschließen wollte. Selbst der ehrwürdige Oscar Wilde hätte diesen anmutigen Burschen nicht besser erträumen können. Man teylte mir mit, dass er auf den Namen LUCAS LANTHIER höre und Amerikaner sey, der in seyner Musik Folklore und moderne Elemente vermische. Der Jüngling, der weybliche und männliche Züge auf unheimliche Weyse vereinte (so waren zum Beyspiele seine Fingernägel rot angestrichen, wie auch seyne Lippen; zudem trug er Schuhwerk, das offensichtlich für Frauen vorgesehen schien), bot mit seiner Gitarre mehrere düster-unheymliche Ständchen dar, die allesamt Geystergeschichten und ähnlichen Spuk illustrieren sollten, wie er wiederholt auf seyne charismatisch-hypnotische Art betonte. So gelang es ihm denn auch, das Publikum auf seyne Seyte zu ziehen – seyn spärlich instrumentiertes, aber dennoch ausdrucksstarkes Liedgut war den Applaus allerdings auch wert. Nach eynigen vielbejubelten Liedern verließ der Jüngling schließlich die Bühne, um für EMILIE AUTUMN Platz zu schaffen.

Voll der Erwartung drängte sich das Publikum schließlich mehr und mehr an die Absperrung kurz vor der Bühne, die wohl gewaltsame Ausschreitungen und ähnliches zu verhindern angedacht war. Ich persönlich begab mich in den gefährlichen Zwischenraum zwischen Bühne und Absperrung, um die bestmöglichen photographischen Resultate zu erzielen. Nach einer gefühlten Ewigkeyt war es schließlich so weit – die viktorianisch-kostümierte Posse der Geygerin betrat die Bühne. Drey gar aufreyzend gekleydete Damen, die mit ihren unsittlichen Bewegungen schnell die Aufmerksamkeyt aller auf sich zu ziehen vermochten. Schließlich erschien ihre Meysterin – EMILIE AUTUMN selbst – um ihre Gefolgsdamen zurecht zu weysen. Prunkvolle Gewänder und aufwändige Dekoration erfüllten die Bühne, die nun von vier fast übernatürlich schönen Frauen bevölkert war. Der Abend wurde schließlich durch den eponymischen Gesang mit Namen „Opheliac“ eröffnet, dessen Shakespearische Anspielung auch dem aktuellen Schallplattenwerk der Autumn den Namen einst verliehen. Seltsamerweise schienen wie durch Magie keyne Instrumente von Nöten, um die viktorianisch-industriellen Klänge hervorzubringen, die die Musik der AUTUMN so besonders ausmachen, was den Gefolgsdamen der Geygerin erlaubte, sich weyterhin auf der Bühne zu räkeln, während EMILIE AUTUMN selbst sich um den Gesang ihrer Werke kümmerte.

So ging es dann auch eine ganze Weyle dahin – die meysten Lieder der neuen Schallplatte wurden dargeboten, darunter auch das bösartige „Liar“ („Lügner“), das versöhnliche „Misery Loves Company“ („Elend liebt Gesellschaft“), sowie „I Want My Innocence Back“ („Ich will meine Unschuld zurück“) oder das klimaktische „Dead Is The New Alive“ („Tot ist das neue Lebendig“). Unterbrochen wurden die Darbietungen jedoch von gar wenig überzeugenden Gesprächseinlagen, die wohl das Publikum animieren sollten, aber gar zu aufgesetzt erschienen. Überhaupt beschlich mich mehrmals der Eyndruck, dass ich mich wohl in eines der französischen Varietés verirrt haben musste, da die Darbietung so wenig Augenmerk auf die musikalischen Aspekte, sondern wesentlich mehr Akzent auf die gestalterischen Elemente legte, die dennoch blaß und übertrieben schienen. Zwar waren die vier Grazien auf der Bühne eyn wahrer Augenschmaus, jedoch hatte ich mir eynen doch in erster Linie musikalischen Abend erwartet.

Etwas versöhnt wurde ich schließlich dadurch, dass gegen Ende der Darbietung EMILIE AUTUMN endlich zu ihrer Geyge griff und ihr eyne wahrhaft diabolische Musik entlockte, die dem Meyster Paganini tatsächlich wohl in nichts nachstehen dürfte. Während das Publikum die Geygerin den ganzen Abend lange feyerte, ging ich doch mit etwas gemischten Gefühlen meyner Wege, als sich das Konzerte kurz vor der Geysterstunde seynem Ende zuneygte.


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