Interview: CALLEJON - Bernhard Horn

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Ich finde, es ist immer total positiv und geil, wenn der Einzelne seine Entscheidungen auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz trifft. Am Ende wird es aber, glaube ich, ohne eine gesamtgesellschaftliche Wende, und das zielt vor allem auf die Politik und die multinationalen Konzerne, nicht möglich sein, hier wirklich etwas zu bewegen.

Angekommen in CALLEJONs "Metropolis", sprachen wir mit einem der Architekten und Hausherren der Band, Gitarrist Bernhard, über das Album, aktuelle Themen und die Live-Situation...

Veröffentlicht am 26.09.2020

Stormbringer: Servus! Erstmal möchte ich mich vorab dafür bedanken, dass du dir Zeit für Stormbringer.at und unsere Fragen an dich/euch nimmst. Die wichtigste Frage zuerst: Wie geht es euch? Alle gesund?

Bernhard: Danke, uns geht es gut, wir sind gesund, und mit dem Release des Albums jetzt auch ganz schön erleichtert.

Stormbringer.at: Bevor ich auf "Metropolis" zu sprechen komme, würde ich gerne wissen, wie ihr privat und auch als Band die Zwangspause durch Covid-19 erlebt. Ihr seid natürlich eine Band, die live ziemlich geil kommt, man spürt die Freude und Energie in jeder Sekunde. Mit einem neuen Album im Anschlag muss es wahnsinnig kribbeln und schmerzen, nicht damit auftreten zu dürfen, oder?

Bernhard: Das ist natürlich schon eine krasse Ausnahmesituation. Wir hatten noch Glück im Unglück, weil wir kurz vor Beginn der Pandemie bzw. der krassen Ausbreitung des Virus in Europa noch auf Tournee waren, und die erste Jahreshälfte sowieso hauptsächlich mit der Albumproduktion etc. beschäftigt waren. Aber trotzdem ist es schmerzlich, das Album nun nicht direkt live präsentieren zu können. Andererseits wollen wir auch keine halbgaren Notlösungen wie Autokonzerte oder Streaming-Shows machen – dabei kommt einfach nicht die Dynamik und Unmittelbarkeit herüber, die unserer Ansicht nach für eine gelungene Live-Inszenierung von CALLEJON unverzichtbar ist.

Stormbringer.at: Nun zu eurem Album. Was soll ich sagen? Ich bin wirklich begeistert. Ob es euer bislang bestes ist, kann ich nach wenigen Wochen damit nicht seriös beurteilen, zumal derartige Eindrücke sich meist ohnehin erst nach Jahren festigen. Nichtsdestotrotz hat es mich auf vielerlei Ebenen beeindruckt. Wenn ich mich richtig entsinne, wurde "Metropolis" im Promosheet als cineastisch bezeichnet und das war tatsächlich der ideale Aufhänger, der mich nach etlichen Durchgängen nicht mehr losliess. Die großartigen Lyrics, der extrem leidenschaftliche Vortrag der Lyrics, die abwechslungsreichen und durchdacht arrangierten Instrumentals (ich komme noch im Detail darauf zu sprechen) – man hat ständig das Gefühl, in einem, nein, in eurem Film gefangen zu sein. Seid ihr Musiker, die nach einer Albumsession erstmal Abstand zum Endergebnis benötigen, um alles realisieren zu können, oder habt ihr mittlerweile schon einen genauen Eindruck davon, was euch mit "Metropolis" gelungen ist? Oder anders gesagt: Wie geht es euch mit diesem Album, vielleicht auch im Vergleich zu eurer bisherigen Diskografie?

Bernhard: Erstmal vielen Dank für die lobenden Worte. Wir sind mit dem Album tatsächlich extrem zufrieden, sowohl in musikalischer als auch in produktionstechnischer Hinsicht. Ich glaube, man hört dem Album an, dass wir uns relativ klar von einer künstlerischen Vision haben leiten lassen, d.h. "Metropolis" ist vielleicht nicht ganz so experimentell wie bspw. Fandigo, was nicht bedeutet, dass diesmal alles durchgeplant am Reißbrett entstanden wäre. Aber ich glaube, wir haben das selbstbewusster geschrieben – und unser Eindruck ist, dass das auch sehr deutlich wahrnehmbar ist, was uns natürlich extrem freut. Die Entstehung und Produktion von "Metropolis" war aber auch ein extrem kräftezehrender und intensiver Prozess, und wir sind froh, dieses Album jetzt endlich auch veröffentlicht zu haben.

Stormbringer.at: Eure Kollegen NEAERA und HEAVEN SHALL BURN haben 2020 ja bereits eindrucksvoll vorgelegt, also nicht nur im jeweiligen Gesamtpaket, sondern auch bei den Texten. Ihr schlagt auf "Metropolis" in eine ähnliche Kerbe - auf eure ureigene Weise natürlich. "Fandigo" war im Vergleich dazu relativ introvertiert und irgendwie depressiv, "Metropolis" hingegen erscheint mir, ohne diese düstere Seite von euch komplett auszublenden, deutlich angriffslustiger, rebellischer, manchmal gar punkiger. Während ihr auf dem Vorgänger beispielsweise noch von "Utopia" geträumt habt, zückt ihr dieses Mal in sehr vielen Songs direkt das Megafon und schreit konkrete Probleme heraus, kotzt euch so richtig über sie aus, reflektiert aber auch in einem angemessenen Rahmen. "Gestade der Vergessenheit" hat mich da am Ende als Conclusio so richtig abgeholt, v.a. auch mit dem krassen Sample am Ende. Ohne jetzt direkte Vergleiche ziehen zu wollen, könnte man "Metropolis" gewissermaßen auch als Fusion aus "Blitzkreuz/Wir sind Angst" und "Fandigo" betrachten, weil all deren Charakteristika präsent scheinen, aber auf ein noch höheres Level gehoben werden konnten. Was hat euch dieses Mal inspiriert, also außer der gleichnamige Film von Fritz Lang, oder liess sich der Inhalt dessen einfach sehr gut auf die Realität übertragen, dass das quasi verschmolzen ist?

Bernhard: Ja, ich gebe dir definitv recht, dass "Fandigo" ein deutlich zurückgezogeneres, isoliertes und introvertiertes Feeling transportiert hat, als das neue Album. Welche CALLEJON-Alben in welcher exakten Gewichtung nun bei "Metropolis" Einzug gehalten haben, hängt wahrscheinlich auch sehr von der eigenen Perspektive ab. Ich glaube, dass wir bei dem Album die Kern-Charakteristika von CALLEJON in einer konzentrierten Form zusammengebracht haben. Jedenfalls habe ich den Eindruck, dass bei Metropolis viele Leute ihre jeweiligen Lieblings-Alben von CALLEJON als größten Einfluss heraushören ;)

Stormbringer.at: Wusstet ihr von Anfang an, dass ihr wieder deutlich lautstarker auftreten wollt, oder hat sich das beim Songwriting einfach ergeben? Und wie wichtig stufst du es ein, dass man seine Plattform nutzt und den Mund aufmacht?

Bernhard: CALLEJON ist eine Metal-Band, deshalb ist es eigentlich nicht so verwunderlich, dass sowohl Sound als auch Inhalt unserer Musik ziemlich drastisch sein können. Das ist, je nach Song und Album, natürlich mal mehr und mal weniger der Fall. Nach "Fandigo" und "Hartgeld im Club", die beide auf ihre Art recht experimentell waren, haben wir glaube ich diesmal weniger ausprobiert, sondern sind konzentrierter ans Werk gegangen. Ich weiß nicht, was genau gemeint ist mit "seine Plattform nutzen und den Mund aufmachen" - und wie wichtig das ist oder sein sollte, muss jeder für sich entscheiden. Für uns funktioniert es so, wie wir es machen. Wir äußern uns zu manchen Themn sehr konkret, zu anderen vielleicht eher musikalisch bzw. künstlerisch – Musik zu machen ist für uns natürlich auch oft einfach eine Verarbeitungsstrategie der Dinge, die uns beschäftigen.

Stormbringer.at: Instrumental habt ihr euch eure Experimentierfreudigkeit erhalten. Ihr spielt mit Samples, Electronica bzw. Industrial, klassischem Metalcore aber auch mit metallischeren Elementen. Es wird wieder deutlich mehr geschrien, die großartigen Clean-Hooks bleiben aber. Viele werden sich darüber freuen, dass "Metropolis" härter als "Fandigo" ist, aber ich vermute, dass das gar nicht eure Intention war, sondern dass dieser Abwechslungsreichtum mit dem gesunden Schuss Härte einfach wunderbar zu den Themen, die ihr darauf verarbeitet, gepasst hat, oder?

Bernhard: Ehrlich gesagt haben wir darüber nicht so viel nachgedacht. Wir haben die Songs so geschrieben, wie sie sich für uns richtig angefühlt haben, das ist ja kein Lego-Baukasten, in dem man sagt: So viel Härte sollte dabei sein, dann aber so und so viel Melodie, soviel Metalcore und soviel Industrial. CALLEJON war immer schon eine Band, die irgendwie im Metal zuhause ist, aber auch viele andere Einflüsse bzw. Spielarten mitnimmt.

Stormbringer.at: Beim Artwork, also nicht nur dem Frontcover, sondern auch der Landkarte, die der Deluxe-Box beiliegen wird, geht ihr auch einen Schritt "zurück" oder zumindest einen Schritt weg von Fotografie, setzt stattdessen auf Bastis einzigartigen Stil. Wie kam es dazu?

Bernhard: Der typische Zeichenstil von Bastibasti ist ja eigentlich immer schon Bestandteil von Callejon gewesen – aber bei den letzten Alben ist dieser Aspekt irgendwie nicht so prominent auf dem Frontartwork gelandet, weder bei "Blitzkreuz", noch bei "Wir sind Angst", noch bei "Fandigo" oder "Hartgeld im Club". Es war einfach wieder an der Zeit, dieser visuellen Komponente den nötigen Raum zu geben.

Stormbringer.at: Da wir eh schon bei der Deluxe-Box sind: Wer kam auf die coole Idee mit der Karte bzw. die Boxinhalte generell? Oftmals liegt ja nur Schnickschnack bei, der wenig bis nichts mit einem Album und dessen Thema zu tun hat. Auch die Gottficker-Statue passt ja wunderbar zum Album.

Bernhard: Das ist, wie eigentlich alle optischen Elemente die zu CALLEJON gehören, also neben Artwork auch die Videos und Merchdesigns, Bastibastis Werk. Die Stadtkarte und die verschiedenen Poster natürlich sowieso, aber auch die Gottficker-Figur hat er konzipiert und designed. "Metropolis" lebt als Album ja auch von seiner atmosphärischen Dichte, deshalb war es uns wichtig, dass alle Aspekte dieser Welt gerecht werden, das schließt dann auch die Boxinhalte mit ein.

Stormbringer.at: IN HEARTS WAKE, eine großartige Metalcore-Band aus Australien, haben ihr aktuelles Album "Kaliyuga", für das ich gerne eine Hörempfehlung aussprechen möchte, klima-neutral herstellen lassen. Wie findest du die Idee und wär' das auch was für euch? Euer Merch wird ja bereits mit Fairtrade-Produkten gefertigt, wenn ich nicht gänzlich falsch liege.

Bernhard: Das ist richtig, wir produzieren unser Merchandise wo immer möglich als Fairtrade-Produkt. Die Idee, ein Album komplett klimaneutral zu produzieren, ist natürlich fantastisch. Unter diesem Gesichtspunkt haben wir unsere Produktion noch nicht wirklich betrachtet, aber wenn ich das mal revue passieren lasse, ist die Klimabilanz auch gar nicht so schlecht – wir hatten de facto keine klimarelevanten Reisen, da wir die Produktion sowieso ziemlich autark und zum Großteil in unserem eigenen Studio durchgeführt haben. Ich finde, es ist immer total positiv und geil, wenn der Einzelne seine Entscheidungen auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz trifft. Am Ende wird es aber, glaube ich, ohne eine gesamtgesellschaftliche Wende, und das zielt vor allem auf die Politik und die multinationalen Konzerne, nicht möglich sein, hier wirklich etwas zu bewegen.

Stormbringer.at: Nach "Blitzkreuz" und "Fandigo" seid ihr jeweils ein spaßigeres Album-Projekt mit Cover-Versionen angegangen. Brauchen CALLEJON dieses Gegengewicht, diese etwas positiveren Vibes mittlerweile, um "mal runterzukommen" bzw. sich nicht zu sehr von den ansonsten eher ernsteren Gegebenheiten runterziehen zu lassen?

Bernhard: Vor allem macht es uns als Typen auch Spaß, den CALLEJON-Kontext ein bisschen zu verlassen und sich quasi auf einer Party-Spielwiese auszutoben. Inwiefern das für die Band CALLEJON als künstlerisches Konstrukt tatsächlich wichtig ist, kann ich gar nicht sagen, aber zumindest macht es ab und an mal Spaß ;)

Stormbringer.at: Gehört ihr zu den Bands, die bereits (Tour-)Pläne für 2021 schmieden oder wartet ihr erst einmal ab, wie sich die Situation entwickeln wird?

Bernhard: Tatsächlich haben wir für Februar/März 2021 eine Tournee geplant, und wir hoffen natürlich, dass diese auch stattfinden kann. Natürlich kann man im Moment aber nicht mit einhundertprozentiger Sicherheit sagen, wie die Infektionssituation in den nächsten Monaten aussehen wird.

Stormbringer.at: Ich möchte mich nochmals für die investierte Zeit sowie euer großartiges neues Album "Metropolis" bedanken. Die letzten Worte sollen dir gehören!

Bernhard: Vielen Dank für das ausführliche Interview. Wir hoffen, dass unser Album "Metropolis" euch Spaß macht und dass wir uns nächstes Jahr auf der Tour sehen!


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