Interview: LONG DISTANCE CALLING - Jan Hoffmann

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Das ist natürlich schon ein krasser Zufall, dass Titel und Konzept des Albums jetzt so erschreckend gut zu der derzeitigen Situation passen.

Gemeinsam mit Jan wurde über das neue Album, die Vergangenheit und die Zukunft der Band geplaudert.

Veröffentlicht am 27.06.2020
Jan, der Bassist von LONG DISTANCE CALLING hat sich freundlicherweise zum Release des neuen Albums "How Do We Want To Live" für uns Zeit genommen, um mit uns über den neuen Longplayer sowie die aktuelle Situation zu plaudern.
 
Sehr cool, dass das funktioniert und geklappt hat. Ihr habt ja derzeit sicher einen ganz schönen Stress, um euer neues Album zu promoten, oder?
 
Naja, was heißt Stress...es macht auch Spaß. Die Platte kommt sehr gut an. Wir hatten noch nie so viele Interviews. Durch das Konzept des Albums gibt es natürlich auch sehr viel zu erzählen.
 
Ihr zeigt mit dem Albumtitel und dem Konzept fast schon hellseherische Fähigkeiten. "How Do We Want To Live" ist eine Frage, die in den letzten Wochen und Monaten sehr oft gestellt wurde. 
 
Das ist natürlich schon ein krasser Zufall, dass Titel und Konzept des Albums jetzt so erschreckend gut zu der derzeitigen Situation passen. Der Rahmen für unsere Platte stand allerdings schon im Herbst letzten Jahres. Als das dann aber alles so los ging dachten wir uns schon "wow, das passt ja wie die Faust aufs Auge".
 
Eine Verschiebung der Veröffentlichung stand zwar auch kurz im Raum, wir uns aber relativ schnell dagegen entschieden.
 
Vor allem das Video zur Single "Immunity" mit den News-Feed-Schnipseln als Hintergrund lässt es einem kalt über den Rücken laufen und scheint, als wäre der Song genau für diese Zeit geschrieben worden.
 
Vor allem bei diesem Album wollten wir generell auch bei den Videos die Gedanken anregen und wachrütteln.
 
Das scheint euch gelungen zu sein. Das Feedback zum neuen Album ist aber auch abseits der Videos durchwegs positiv.
 
Ja, das Feedback der Presse ist bisher sehr gut. Jetzt sind wir gespannt, was die Fans sagen, wenn sie das Album erstmals im Ganzen hören können.
 
Bei dieser Platte war es nämlich besonders schwierig, einzelne Tracks auszukoppeln. Am besten genießt man unser neues Werk nämlich in einem durch und in Ruhe mit Kopfhörer.
 
Ein Song wie "Voices" überrascht für sich allein ja schon erstmal, da er doch anders klingt, als vieles, was ihr in den letzten Jahren veröffentlich habt.
 
Genau. Aber im Kontext des ganzen Albums macht dann alles wieder Sinn.
 
Wenn man sich wie ihr auf diesem Album soundtechnisch in neue Richtungen bewegt, hat man da die Fans im Hinterkopf und überlegt, wie gut oder schlecht das ankommen könnte?
 
Wie versuchen das während der Entstehung von neuem Material komplett von uns fern zu halten und einfach das zu tun, worauf wir Bock haben. Erst wenn alles fertig ist, macht man sich darüber Gedanken, wie es ankommen könnte.
 
Was war der Auslöser, sich mit diesem Thema (künstliche Intelligenz, Beziehung Mensch/Maschine) zu beschäftigen?
 
Wir durften im September 2019 eine Veranstaltung musikalisch begleiten, wo genau diese Themen von unterschiedlichsten Sprechern behandelt wurden. Da haben wir dafür Feuer gefangen. Weil es ein Thema ist, das immer aktuell sein wird.
 
Das ist auch der Grund für die elektronischen Einflüsse, die vermehrt auf dem Album vorkommen. Einfach, um dem Futuristischen mehr Gewicht zu geben.
 
Wie entsteht ein Album in der Regel bei euch? Sind das gruppendynamische Prozesse und gibt es Bandmitglieder, die federführend beim Songwriting sind?
 
In der Regel treffen wir uns einfach alle zusammen und beginnen zu spielen. Der Unterschied bei "How Do We Want To Live" war, dass die elektronischen Elemente, die sonst immer erst im Nachhinein ergänzt werden, diesesmal bei einigen Songs zu Beginn erarbeitet wurden und die restliche Instrumentierung drum herum gebaut wurde. Das machte das Songwriting spannender
 
Gibt's für dich personlich besondere Highlights auf dem Album?
 
Eigentlich die gesamte Platte an sich. Vor allem auch weil ich finde, dass wir noch nie einen so guten Sound auf einem Album hatten.
 
Privat hat man natürlich seine Favoriten. Das wären für mich "Hazard", "Immunity" und "Ashes". Der letzte Song, weil er düster ist, aus dem Rahmen fällt und mich persönlich an PINK FLOYD erinnert. 
 
Das Album live auf der Bühne zu promoten ist derzeit leider auch nicht wie gewohnt möglich. Was sind da eure nächsten Pläne?
 
Die Regelungen waren bei uns zum Teil auch ähnlich streng wie in Österreich. Noch ist an Konzerte nicht zu denken. Auf der einen Seite war es natürlich gut, dass das so gehandhabt wurde aber als Band mit neuem Album war es schwierig. Unsere Tour für September steht allerdings noch und die wollen wir auch, wenn es irgendwie geht, durchziehen.
 
Der Kulturbereich ist ja in Österreich leider sehr lang links liegen gelassen worden. Es fehlte an Perspektive und klaren Ansagen.
 
Das war auch in Deutschland so. Obwohl es ein wahnsinnig großer Bereich ist.
 
Konntet ihr die Lockdown-Zeit kreativ nutzen?
 
Das Songwriting für "How Do We Want To Live" war schon fertig. Es ging noch um den letzten Mix und den letzten Feinschliff, was sich trotz Lockdown auch gut machen ließ. 
 
Ansonsten steht derzeit die Promo im Vordergrund. Wir haben z. B. unsere Social-Media-Kanäle noch nie so intensiv beackert wie jetzt.
 
Noch einen kurzen Blick in eure History. Als Instrumentalband besetzt ihr eine Nische. Das verlangt vom Hörer eine gewisse Neugier, weil wir alle darauf "konditioniert" sind, uns an den Vocals anzuhängen. War das damals eine bewusste Entscheidung.
 
Wir wollen eben genau das nicht, dass sich die Zuhörer an Vocals festklammern können, sondern wir wollen, dass die Leute ihren eigenen Film fahren und zu unserem Sound abdriften können.
 
Entstanden ist das aber durch Zufall. Wir haben damals einfach niemanden gefunden, der unseren Vorstellungen entsprochen hätte. Da haben wir uns dann einfach gedacht "gut, dann machen wir es eben so. Ohne Gesang." Obwohl instrumentale Musik ja eigentlich gar keine Nische ist. Klassische Musik, Soundtracks, elektronische Musik, Techno...das ist alles instrumental. Nur in unserem Genre ist es nicht so häufig.
 
Vor allem wenn wir keine Headliner-Show spielen, sondern Vorband sind brauchen die Zuhörer immer ein paar Songs, bis ihnen klar wird, dass da kein Sänger mehr kommt. Dann kriegt man sie aber auch meistens.
 
Ihr habt aber punktuell dann trotzdem Gast-Sänger dabei wie auch auf dem aktuellen Album.
 
Genau. Wir haben ja nicht prinzipiell was dagegen. Wir haben nur bei den beiden Alben, wo wir viel Gesang dabei hatten gemerkt, dass wir uns nicht 100 %ig wohl dabei fühlen und auch bei unseren Fans ist es nicht ganz so gut angekommen.
 
Wir sehen solche Gastvocal-Songs jetzt als Farbtupfer für unsere Alben.
 
Habt ihr eigentlich Live-Termin in Österreich auf dem Plan?
 
Ja. Wir planen Ende 2020/Anfang 2021 eine Europa-Tour, wo dann sicherlich neben Deutschland auch die Schweiz und Österreich im Kalender vorkommen werden. Jetzt im Herbst stehen aber mal nur Deutschlandtermine fest.
 
Wenn du einen Wunsch äußern dürftest: mit welchen Bands/Musikern würdest du gern mal auf der Bühne stehen?
 
Wir hatten ja schon das Glück, mit vielen tollen Bands die Bühne zu teilen. Allerdings wäre es mit STEVEN WILSON bzw. PORCUPINE TREE oder mit TOOL was ganz Besonderes. Wobei ich mich nie zwischen TOOL und A PERFECT CIRCLE entscheiden kann.
 
Bei TOOL und Co. ist es ähnlich wie bei euren Alben - man muss sich die Zeit nehmen, um das Album bewusst anzuhören.
 
Manche Alben funktionieren einfach am besten, wenn man sich die Zeit nimmt und ganz bewusst die Musik hört. Ähnlich wie bei einem guten Buch.
 
Aber ist es nicht gerade auf den Streaming-Plattformen ein Problem, wenn nicht in den ersten 5 Sekunden des Intros etwas passiert?
 
Ja, auf Spotify schießen wir uns natürlich mit einem acht-Minuten-Song ein wenig selbst ins Knie. Es gibt ja schon viele Tracks, die nur eineinhalb bis zweieinhalb Minuten lang sind und genau darauf zugeschnitten wurden. Nur um die Klickzahlen nach oben zu treiben.
 
Das ist uns aber egal. Unsere Songs dauern so lang, wie sie dauern. Wir halten auch noch an der Form des Albums fest. Obwohl es eventuell besser wäre, in kürzeren Abständen einzelne Singles zu veröffentlichen. Es gibt immer wieder neue Entwicklungen mit denen man sich beschäftigen muss.
 
Willst du zum Abschluß unseren Leserinnen und Lesern noch was mit auf den Weg geben?
 
Ich hoffe sehr, dass wir wieder mal Österreich zu kommen. Vielleicht auch mal außerhalb von Wien, um andere Locations kennen zu lernen. Obwohl ich Wien sehr mag. Ich finde die Stadt sehr bunt und sehr anders.
 
Aber hört euch die Platte an. Wenn ihr uns unterstützen wollt, kauft euch die Platte, es gibt ein tolles Box-Set und hoffentlich sehen wir uns alle bald live wieder.
 
Vielen Dank nochmal für deine Zeit und das Gespräch
 

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